Handy-Tracing:Überwachung ja, aber nur mit klaren Regeln

Coronavirus - Datenschutz

Zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus wird die Nutzung von Handydaten diskutiert. Die Option eines direkten Zugriffs von Behörden war zunächst jedoch schnell wieder vom Tisch.

(Foto: dpa)

Im Kampf gegen Corona auf digitale Hilfsmittel zu verzichten, wäre ethisch kaum vertretbar. Voraussetzung ist jedoch, dass digitale Bürgerrechte konsequent durchgesetzt werden.

Kommentar von Andrian Kreye

Wer die Seuche bekämpfen will, muss Patienten und Bürger überwachen. Lokal, national und weltweit. Die Technologie für den größten Überwachungsapparat in der Geschichte der Menschheit war schon vor der Pandemie längst im Einsatz. Nicht nur in China, auch in den Demokratien des Westens gehören Tracking, Standortbestimmung, Kontaktanalyse und Bewertungssysteme zum digitalen Alltag. Das dient der Werbung, füttert Big-Data-Maschinen wie Google Maps und wurde auch längst schon missbraucht, vom amerikanischen Geheimdienst NSA beispielsweise oder vom sozialen Netzwerk Facebook. Datenschutz ist ein Rechtsanspruch, der längst noch nicht den universellen Status wie andere Bürgerrechte hat. Das sollte er aber. Mehr denn je. Gerade wenn man ihn vorübergehend aussetzen muss, wie jetzt.

Der Whistleblower Edward Snowden, der den NSA-Skandal vor sechseinhalb Jahren aufdeckte, hat sich am Montag schon zu Wort gemeldet. Angesichts der weltweiten Maßnahmen, die Corona-Pandemie auch mit digitalen Maßnahmen zu bekämpfen, sieht er eine akute Gefahr, dass nun Überwachungsmechanismen entstehen, die nie mehr zurückgefahren werden. Gerade die Erfahrungen aus dem NSA-Skandal zeigen, dass aus einer Krise wie den Anschlägen des 11. September staatliche Kontrollmechanismen ein Eigenleben entwickeln, die auch in einer Demokratie von der Exekutive an Parlament und Justiz vorbeigesteuert werden.

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Allerdings ist die Bedrohung der Pandemie für die Allgemeinheit sehr viel größer als die Gefahr des islamistischen Terrors. Es wäre ethisch kaum vertretbar, digitale Methoden nicht einzusetzen, wenn Regierungen nicht nur viele Menschenleben, sondern auch Existenzen, Arbeitsplätze, Bildungswege und blanke Nerven retten könnten, weil der Normalzustand damit schneller wiederhergestellt wird.

Auf digitale Hilfsmittel zu verzichten wäre ethisch kaum vertretbar

Das sind ganz einfache Rechnungen. Muss eine Behörde die Kontaktpersonen eines Covid-Patienten telefonisch und persönlich benachrichtigen, kostet das viel Personal und Zeit, von der Fehlerquote einmal abgesehen. Eine digitale Erfassung persönlicher Netzwerke, wie sie in den sozialen Netzwerken längst üblich und von AGBs abgesichert ist, könnte den Job innerhalb von Sekunden erledigen, inklusive Benachrichtigung der Kontaktpersonen.

Momentan läuft die Diskussion über digitale Überwachung durchaus in die richtige Richtung. Vorbild für das Warnsystem für Kontaktpersonen ist nicht China, sondern eine App aus Singapur, die mit Bluetooth funktioniert und datengeschützt eingesetzt wird. Das haben Juristen auf netzpolitik.org gut erklärt. Wünsche, Handydaten breitflächig zu nutzen, wurden erst einmal abgewehrt. Das war zumindest der Stand bei Redaktionsschluss.

Droht eine neue Zweiklassengesellschaft?

Noch ist aber weder der weitere Verlauf der Pandemie abzusehen noch sind es die Maßnahmen, die nötig sein werden, um einen nationalen und auch globalen Normalzustand zu erreichen. Braucht man in Zukunft Impfpässe zum Reisen? Werden die USA dem Rest der Welt restriktive Reisebedingungen aufdrängen, wie sie das auch nach 9/11 taten? Wird es eine - vielleicht auch nur vorübergehende - Zweiklassengesellschaft der Geimpften oder Immunen und der Gefährdeten geben? All dies sind Zustände, die digitale Überwachung erfordern. All dies sind Methoden, die langfristig Bürgerrechte gefährden.

Deswegen ist jetzt der Zeitpunkt, die lange schwelende Debatte über digitale Bürgerrechte zu führen und Konsequenzen zu ziehen. Datensouveränität ist kein Luxus. Der digitale Raum braucht ein System aus "checks and balances", aus demokratischen Kontrollmechanismen. Nicht nur, weil sich die Beispiele, wie Autokraten und Scheindemokraten die Pandemie nutzen, um ihre Macht auszubauen, häufen. Die Debatte um digitale Rechte und Regulierungen läuft auch in freiheitlichen Demokratien schon lange und brachte nur wenige Ergebnisse. Die Kräfte, die auch in Deutschland und Europa auf den digitalen Zwilling jedes Nutzers einwirken, sind größer, als die meisten wissen.

Wenn die Exekutive und ihre starken Frauen und Männer im Mahlstrom der Pandemie digitale Instrumente brauchen, kann man sie ihnen nicht verwehren. Doch Parlament und Justiz müssen die Entscheidungen fällen, was damit getan und wie weitreichend damit umgegangen werden kann. Fehlen ihnen die Expertisen, so gibt es auch in Deutschland genügend zivile Organisationen, die sie einbringen können. Allen voran (und trotz des Namens) der Chaos Computer Club, aber auch Algorithm Watch, die Redaktion von Netzpolitik oder deutsche Vertreter der European Digital Rights.

Noch nie war der digitale Raum so wichtig wie jetzt. Noch nie hat er seine Stärken so bewiesen. Gerade deswegen steigt der Druck, ihn jetzt zu gestalten. Denn wenn eine Gesellschaft im Moment der Not und Angst Freiheiten ohne Kontrolle aufgibt, die sie lange erkämpft hat, wird sie diese nicht automatisch wiederbekommen.

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