Süddeutsche Zeitung

EU-Initiative zu Ladegeräten:Welches Kabel hätten's denn gern?

Nach wie vor sind die Anschlüsse von Handys und anderen akkubetriebenen Geräten nicht einheitlich - dabei gäbe es eigentlich einen geeigneten Standard.

Von Julia Hippert

Würde man sie alle aus den Schubladen kramen, es wäre ein riesiger Berg an Elektroschrott: Ladegeräte und -kabel. Bei jedem neuen Handy sind sie dabei, pro Jahr kommen in der EU so 11 000 bis 13 000 Tonnen Elektroschrott zusammen. Der wird zu großen Teilen nicht fachgerecht entsorgt: die Deutsche Umwelthilfe schätzt, dass die Sammelquote für Elektroschrott 2017 in Deutschland nur bei 45 Prozent lag. Dabei enthält Elektroschrott auch Stoffe, die Menschen schaden können. Zudem gehen wertvolle Rohstoffe wie Gold oder Platin verloren. In einer von der EU durchgeführten Umfrage im Juni 2019 stimmten 76 Prozent der befragten 2850 Verbraucher der Aussage zu, dass die aktuelle Situation für Handynutzer lästig ist. Viele ärgerten sich darüber, dass nie klar ist, welches Kabel denn nun zu welchem Gerät passt. Außerdem sei es häufig schwierig, ein passendes Ladegerät zu finden, wenn man unterwegs sei.

Das EU-Parlament hat deshalb die EU-Kommission dazu aufgefordert, sie müsse "dringend regulatorische Maßnahmen ergreifen", damit die Menge an Elektronikabfall verringert und die Verbraucher in die Lage versetzt werden, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Doch wegen Corona wird das nun so schnell nichts werden.

Mit dem vielseitigen USB-C lassen sich nicht nur Handys, sondern auch Laptops laden

Eigentlich sollte das Problem ohnehin längst gelöst sein. Das erste Mal hatte die EU-Kommission 2009 einen Versuch unternommen, Ladekabel-Anschlüsse zu vereinheitlichen. Die führenden Hersteller von Mobiltelefonen hatten sich damals auf eine freiwillige Selbstverpflichtung verständigt, die Ladekabel der "in der EU verkauften, Daten übertragendenden Mobiltelefone zu harmonisieren". Umgesetzt wurde die Selbstverpflichtung aber nur in Teilen. Immerhin: Mittlerweile gibt es nicht wie 2009 noch 30 verschiedene Anschlüsse, sondern drei: das am weitesten verbreitete USB-C, Apples Lightning-Format - das etwa 20 Prozent des europäischen Marktes ausmacht - und Micro-USB. Letzteres wird vor allem in günstigen Geräten verwendet. USB-C kann nicht nur für Smartphones, sondern auch für andere Geräte wie Kopfhörer, Tablets und sogar Laptops genutzt werden.

Dagegen, die Buchsen zu vereinheitlichen, hat sich vor allem Apple bisher gewehrt. Der Konzern behauptet, so ließe sich die Menge an Elektroschrott nicht verringern: "Es gibt mehr als eine Milliarde Apple-Geräte mit Lightning-Anschluss. Eine Gesetzgebung zur Vereinheitlichung von Ladekabeln würde (...) eine nie dagewesene Menge an Elektroschrott erzeugen." Das sieht Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe anders: "Alle paar Jahre kommt es zu neuen Anforderungen oder Funktionen von Ladekabeln. Dadurch findet ohnehin ein Austausch der alten Ladekabel statt. Eine Vereinheitlichung würde daher die unnötige Produktion von Ladekabeln verringern, da leichter auf vorhandene Ersatzkabel zurückgegriffen werden kann."

Die meisten Ladegeräte bestehen heute aus zwei Teilen, dem Kabel und dem Netzstecker samt Ladeelektronik. Dies, so die Autoren einer EU-Studie, könne dazu beitragen, die Mengen an Elektroschrott zu verringern. Wenn nur ein Teil defekt ist, kann auch nur dieses ausgetauscht werden. Um Elektroschrott zu reduzieren, müssten Handy und Ladekabel getrennt voneinander verkauft werden. Die Analyse im Auftrag der EU kommt zu dem Schluss, dass sich die Zahl der Ladekabel und damit auch die Menge an Elektroschrott viel effektiver reduzieren ließe, würden auch Mobiltelefone und Ladegeräte getrennt voneinander verkauft: "Je mehr Mobiltelefone ohne Ladegerät verkauft werden, desto größer wäre die Entlastung für die Umwelt. Allerdings würden viele Kunden nicht mitziehen. Die Umfrage ergab nämlich auch, dass 40 Prozent der Befragten es ablehnen, ein Handy ohne ein Ladegerät zu kaufen. 36 Prozent lehnten es ab, ein neues Mobiltelefon nur mit Ladekabel aber ohne Ladegerät zu kaufen. Häufigste Begründung: Werde ein vollständiges Ladegerät aus Stecker und Kabel mit dem neuen Telefon geliefert, müsse man sich keine Gedanken machen, wie und mit welchem Gerät das neue Handy zu laden sei. Nur neun Prozent wären bereit, das neue Handy ohne Ladegerät zu kaufen - wenn es dann auch billiger wäre. In der Kostenfrage sieht Philipp Sommer von der Umwelthilfe einen guten Ansatzpunkt für Wandel: "Das Ladegerät ist ja nicht kostenlos, nur weil es beigefügt ist, sondern das wird natürlich auch auf den Preis aufgeschlagen. Das heißt, der Handypreis könnte zukünftig auch günstiger sein, wenn das Ladegerät eben nicht mehr zwingend dabei ist."

Gerade Hersteller, die versuchten, das günstigste Smartphone anzubieten, könnten den Preis senken, wenn sie kein Ladekabel mehr mitliefern würden. Für einen solch weitreichenden Eingriff in die bisherigen Freiheiten der Tech-Unternehmen sieht die EU-Studie aber kein Mandat und keine gesetzliche Grundlage. Ein solcher Vorstoß würde den Umfang der angestrebten Initiative zur Vereinheitlichung der Schnittstellen "erheblich verändern", sei "hoch umstritten" und "berge das erhebliche Risiko, dass der EU Regulierungswut vorgeworfen werden könne". Die Autoren der Studie vertrauen lieber darauf, dass der Markt sich selbst reguliert.

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Bei billigen Ladegeräten kommen nur 60 bis 80 Prozent des Stroms im Handy an

Handy und Ladegerät getrennt voneinander zu verkaufen, hätte einen weiteren Vorteil, sagt Bernd Wunder, Gruppenleiter Gleichstrom-Netze am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie: "Wenn die Ladegeräte als Zubehör mitgeliefert werden, kosten sie in der Herstellung um die fünf Euro. Weil sie in der Fertigung billig sein müssen, ist auch die Qualität entsprechend gering." Sie brauchen deshalb mehr Strom als bessere Ladegeräte. Es kommen nur 60 bis 80 Prozent der Energie, die aus der Steckdose in das Ladegerät fließen, als Akkuladung im Gerät an. Ginge es nach Wunder, sollte die EU nicht nur über die Vereinheitlichung der Schnittstellen, sondern auch über die Energieeffizienz von Ladegeräten und Kabeln nachdenken. Die Nutzer hätten schließlich mehr davon, wenn sie sich nur ein Ladekabel kaufen müssten, dass vielleicht teurer ist, dafür aber effizienter und dank standardisierter Schnittstelle für mehrere Geräte einheitlich benutzbar.

Die Hersteller wollen in jedem Fall am bisherigen Konzept festhalten. Sie argumentieren, Kunden würden ein Ladekabel als Standardzubehör erwarten. Ein voll funktionstüchtiges Handy - inklusive Ladelösung - zu kaufen, sei gerade bei teuren Geräten erlerntes Konsumentenverhalten. Einen Beleg für diese These liefern die Hersteller nicht. Sie argumentieren auch, es gebe Bedenken unter Verbrauchern, dass die Geräte nicht optimal geladen würden oder es sogar zu Schäden am Akku oder dem Gerät kommen kann, wenn weniger qualitative Ladegeräte von günstigeren Anbietern verwendet werden. Hersteller äußerten den Autoren der EU-Studie gegenüber Bedenken, dass ihr Ruf Schaden nehmen könnte und sie für etwaige Schäden zur Verantwortung gezogen werden könnten. Eine Lösung, die gar kein Ladekabel benötigt, wäre kabelloses Laden, bei dem das Handy auf eine Induktionsspule gelegt wird, ohne über ein Kabel mit der Steckdose verbunden zu sein. Aber auch diese Technik macht Probleme. Daniel Granatella vom Prüfinstitut vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik: "Die Effizienz solcher Ladeschalen ist im Vergleich zur kabelgebundenen Ladung nicht sehr groß. Das Handy muss sehr genau auf der Spule positioniert werden um eine gute Kopplung und somit Ladeleistung zu gewährleisten."

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SZ vom 22.04.2020/mri
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