Süddeutsche Zeitung

Guttenberg-Sturz und das Internet:"Guttbye", Hoffnungsträger!

Der Sturz des CSU-Hoffnungsträgers Karl-Theodor zu Guttenberg wäre ohne das Internet kaum möglich gewesen. Er beweist: Längst hat die Politik die Kontrolle über ihre Botschaft verloren. Übrig bleibt der spöttische Wunsch, "Milli Vanilli" möge zum Zapfenstreich spielen.

Johannes Kuhn

Am Ende war alles nur ein großer Witz: "Guttbye" hieß das Schlagwort, unter das Twitter-Nutzer ihre Botschaften zum Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) einordneten. Während der Verteidigungsminister redete, gingen sekündlich Hunderte Guttbye-Kurznachrichten auf der Mikroblogging-Plattform ein.

Schnell getwitterte Sprüche wie "Hoffentlich nimmt Kai Diekmann den Rücktritt an" oder "Milli Vanilli zum Zapfenstreich" sind nur ein Teil der Auseinandersetzung. Der "Internetgemeinde" genannte heterogene Kreis aktiver und meinungsstarker Netzbürger spielte beim Fall des CSU-Hoffnungsträgers eine Rolle, die über die des Meinungsbeschleunigers hinausging.

Zwar hatte die Süddeutsche Zeitung den Fall publik gemacht; ohne die Plattform Guttenplag Wiki, bei der Internetnutzer die Doktorarbeit nach möglichen Plagiatsstellen durchforsteten, hätte die gesamte Dimension der Affäre allerdings kaum in einer solch kurzen Zeit so detailliert dokumentiert werden können.

Die Kultur des Crowdsourcings, also der kollaborativen Zusammenarbeit im Netz, erwies sich dabei einmal mehr als effiziente Möglichkeit, komplexe Sachverhalte schnell zu prüfen und zu einem objektiven Ergebnis zu kommen. Ganz schnell konnte jedermann den Unterschied zwischen Original und Guttenberg-Plagiat feststellen - eine Transparenz, die viele in Politik und der Berichterstattung über sie vermissen.

Die Folgen einer solchen dezentralen Organisationsform hat der US-Medientheoretiker Clay Shirky einst in seinem Buch Here Comes Everybody beschrieben: Konsumenten werden durch sie zu Prosumenten, zu Teilnehmern, die gleichermaßen produzieren wie konsumieren.

Viraler Schock für den Minister

Im Falle Guttenberg war dies nicht nur beim Plagiatswiki zu sehen. Die Debatten zur Affäre fanden im Netz an den verschiedensten Orten statt: in Facebook-Gruppen, die sich für oder gegen den Minister positionierten, in Blogs, dem Kommentarbereich von Online-Nachrichtenseiten, Juraforen oder Wissenschafts-Communitys.

Jede neue Meldung, jeder Aspekt wurde dabei zum Teil der großen Gesamtdebatte, die Einschätzung eines Facebook-Freundes war für manchen wertvoller als der Leitartikel eines bekannten Journalisten, die persönliche Betroffenheit eines Doktoranden in seinem Blog aufschlussreicher als theoretische Abhandlungen über die Moral der Wissenschaft.

Die dezentrale, viral genannte Verbreitung eines Themas macht das Web für Politiker gefährlich, da sie damit nicht mehr Herr ihrer Botschaften sind. Ein Werbespot Guttenbergs für die Uni Bayreuth wirkte so plötzlich wie Realsatire; eine Seite wie "zu Guttenberg looking at things", bei der Bilder des Ministers humorvoll aus dem Zusammenhang gerissen werden, wird zum Webhit - und stellt den seriösen Politiker ganz nebenbei auf die Ebene einer Witzfigur.

Die Demokratisierung der Meinungsmache war vielleicht nirgends deutlicher zu sehen, als beim Umgang mit einer Umfrage der Bild-Zeitung: Als bei Bild.de ein Voting zu einem möglichen Rücktritt Guttenbergs kurzzeitig verschwand, weil sich eine knappe Mehrheit gegen einen Amtsverbleib des Ministers aussprach, wurden Internetnutzer sofort darauf aufmerksam. Die Abstimmungsseite kehrte an weniger prominenter Stelle wieder zurück.

Der Aufstieg der Prosumenten

Wie groß die Rolle des Gegenwinds aus dem Netz bei der Entscheidung Guttenbergs war, ist nicht zu messen - zumal es dort auch zahllose Stimmen gab und gibt, die den Ex-Minister bis zum Schluss verteidigten und den Medien Kampagnenjournalismus vorwerfen.

Tatsächlich hat das Netz den Einfluss der Mainstream-Medien längst relativiert: Die dezentrale Informationssuche im Internet ermöglicht es jedem Einzelnen, sich seine Meinung zu bilden, sie widerlegen oder sie bestätigen zu lassen, sie zu äußern und zu verbreiten.

Die Causa Guttenberg wird nicht die letzte Station des unaufhaltsamen Aufstiegs der Prosumenten-Kultur sein.

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