Süddeutsche Zeitung

Gutscheinportal Groupon:Schöne Fassade, hässliches Problem

Der US-Internetkonzern Groupon geht nach Berlin und eröffnet dort mit Tamtam seinen internationalen Firmensitz. Doch der Schein trügt. Die finanziellen Verluste sind hoch, es gibt peinliche Rechenfehler. Auch die Aussichten sind nicht rosig.

Sophie Crocoll und Christoph Giesen

Plötzlich ist er da, der Chef. Er steht auf der Treppe und ruft seinen Angestellten "Guten Tag" zu. Auf Deutsch. "Das habe ich im Unterricht auf der High School gelernt", schiebt er auf Englisch hinterher. Andrew Mason ist Chef des Internet-Unternehmens Groupon. Er trägt ein Holzfällerhemd und ausgewaschene Jeans. Er freue sich, in Berlin zu sein - und dass seine Firma hier ihre internationale Zentrale eröffne. "Ich bin total neidisch auf euer tolles Büro."

Marmorsäulen, helles Parkett, eine Treppe mit gusseisernem Geländer im Foyer. Das haben sie in Chicago nicht. Fast 1000 Mitarbeiter sollen künftig für Groupon in der Zentrale in Berlin arbeiten und über die Geschäfte in über 40 Ländern wachen. Einige hundert Angestellte stehen im Foyer. Sie zücken aufgeregt ihre Smartphones und knipsen ihren Chef. Andrew Mason ist ihr Mark Zuckerberg.

Nach der kurzen Ansprache übergibt Mason das Mikro an einen Mann mit Bart und Brille. Er stellt sich als Chargé d'Affaires der amerikanischen Botschaft vor. Er trägt als einziger einen Anzug, aber der ist ihm ein, zwei Nummern zu groß. Berlin, sagt er, sei eine phantastische Stadt für ein IT-Unternehmen. Und ein großartiger Ort zum Leben. "Der Bürgermeister würde sagen, die Stadt ist sexy." Aber Klaus Wowereit ist nicht gekommen. Er hat kurzfristig abgesagt.

Außen hui, innen pfui?

Die Eröffnung des neuen Büros zeigt die prächtige Fassade eines Unternehmens, das in den vergangenen Monaten eher den Eindruck gemacht hat, als verberge sich hinter dem schönen Äußeren nur wenig. Außen hui, innen pfui? Im November ist Groupon an die Börse gegangen, es war der größte Börsengang in sieben Jahren, nur Facebook hat danach im Mai noch mehr Geld eingesammelt. Seitdem ist der Groupon-Kurs von 20 Dollar um mehr als die Hälfte auf 7,45 Dollar gefallen.

Im März musste die Firma zugeben, dass sie im vierten Quartal weniger Umsatz und Gewinn gemacht hatte als zunächst verkündet. Groupon hatte sich verrechnet, bei genauem Nachzählen ergab sich ein Verlust von gut 65 Millionen Dollar - statt von 43 Millionen. Ein nicht nur peinlicher, sondern auch teurer Fehler. Seit seiner Gründung hat Groupon über 500 Millionen Dollar verbrannt. "Zum Börsenkurs äußern wir uns nicht", sagt bei der Eröffnung eine Sprecherin knapp.

Das Unternehmen ist sehr schnell gewachsen. Überall in der neuen Zentrale haben sie giftgrüne Plakate aufgehängt: Meet the fastest growing company ever - so hat das Wirtschaftsmagazin Forbes sie mal genannt. Dabei ist das schnelle Wachstum einer der Gründe für die hohen Verluste. Firmenchef Andrew Mason spricht von Groupon gern als Jugendlichem, der in einem erwachsenen Körper steckt. Es soll eine Entschuldigung sein, warum noch nicht alles funktioniert.

Mason hat die Internetfirma 2008 gegründet. Sein Geschäftsmodell: Findet sich eine Gruppe von Käufern, gibt es für sie Gutscheine für ein Essen oder einen Haarschnitt, die weniger kosten als im Laden. Die Idee war neu und lockte viele Schnäppchenjäger. Investoren sahen in Groupon das zukünftige Amazon der kleinen Läden, sie überschütteten Mason mit Geld: Nur 20 Monate nach der Gründung war die Firma mit über einer Milliarde Dollar bewertet.

Im Mai 2010 übernahm Groupon den deutschen Nachahmer Citydeal, eine Gründung der Internetunternehmer-Brüder Samwer. Citydeal war da selbst keine fünf Monate alt. Es fanden sich zwei, die offenbar perfekt zueinander passen. Manche sagen: zwei mit ähnlichem Größenwahn. Im Dezember 2010 schlug Groupon dem Vernehmen nach ein Übernahmeangebot von Google aus - es soll bei über sechs Milliarden Dollar gelegen haben. Inzwischen ist das Unternehmen 4,65 Milliarden Dollar wert. "Das schnelle Wachstum von Citydeal in Europa hat bewiesen, dass das Groupon-Modell funktioniert", sagte Andrew Mason mal. Aber genau daran zweifeln viele.

Beobachter sagen: Die Firma wächst, solange sie immer neue Standorte eröffnet, Start-ups übernimmt und viel Werbung macht. "Groupon hat Einkaufen zum Gruppenerlebnis gemacht. Aber das Geschäftsmodell ist leicht zu kopieren. Und Groupon hat sich nicht an die Wünsche der Kunden angepasst", sagt die Gartner-Analystin Neha Gupta.

Jens Hutzschenreuter, seit Juli Chef für Zentraleuropa, sagt, er plane genau das: Besser zugeschnittene Angebote für die Empfänger, also keine Maniküre-Gutscheine mehr für Männer. Außerdem will er Groupons Kundenbindungsprogramm aus den USA nach Europa bringen. Damit können Kunden bei den Händlern Punkte sammeln - das soll sie überzeugen, auch ohne Gutschein wieder in den Laden zu kommen. Viele Händler klagen, dass sie Gutschein-Kunden nur ein einziges Mal sehen und dann nie wieder.

Manche Händler gingen durch Angebote pleite

Kauft ein Kunde aber nicht mehrmals in dem Laden ein, macht der Händler Verlust: Er verzichtet nicht nur wegen des Preisnachlasses auf die Gutscheine, sondern gibt auch noch einen Teil der Einnahmen an Groupon ab. Manche Geschäfte haben den Ansturm auf Angebote so unterschätzt, dass sie pleite gegangen sind, weil sie keine voll zahlenden Kunden mehr bedienen konnten. "Auch für kleine Geschäfte ist Groupon ein gutes Marketinginstrument. Sie sollten sich aber nicht ausschließlich darauf konzentrieren", sagt Hutzschenreuter. Er wolle Mitarbeiter künftig gezielter schulen, damit sie Ladenbesitzer besser informieren.

Oft beschweren sich auch Gutschein-Käufer, weil die Angebote nur zu bestimmten Tageszeiten eingelöst werden können oder zusätzliche Kosten entstehen. Groupon braucht aber immer mehr zahlende Kunden, damit das Geschäftsmodell funktioniert. Verlieren sie das Interesse, wird es schwer. In Deutschland hatten Insider zuletzt immer wieder von schlechten Arbeitsbedingungen berichtet. Mitarbeiter würden unter Druck gesetzt, bekämen Vorgaben, die unmöglich zu erfüllen seien, müssten Kunden versprechen, was die hören wollen. Groupon bestreitet das.

Im Juni haben zwei deutsche Geschäftsführer das Unternehmen verlassen, mit Marc Samwer ist nun auch der letzte der drei Brüder bei Groupon ausgeschieden. Der schwedische Investor Kinnevik hat seine Anteile verkauft. In den USA hat sich Mitgründer Eric Lefkofsky aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Es könnten die ersten Auflösungserscheinungen sein. Vielleicht hat Klaus Wowereit das als einer der ersten bemerkt.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2012/pauk/str
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