GPS-Ortung für Kinder:Voll die Peilung

Handy, Uhr oder Kreditkarte: Dank des riesigen Angebots an GPS-Geräten können Eltern ihre Kinder immer besser überwachen - die Folgen sind problematisch.

Alex Rühle

Ist es romantische Verklärung oder war das wirklich so, dass wir Vierzigjährigen noch wilder aufgewachsen sind als unsere eigenen Kinder? Dass wir den Tag über draußen waren, am Fluss, im Wald, bei Freunden, und abends irgendwann zum Essen heimkamen, während unsere Kinder heute auf starr umgrenzten Spielplätzen aufwachsen, umringt von Mutterbänken?

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(Foto: Foto: Hersteller)

Tatsache ist jedenfalls, das die Kindersicherheitsindustrie weltweit floriert. Als neuestes Gadget wurde soeben auf der Elektronikmesse in Las Vegas die "Num8" vorgestellt, eine Kinderarmbanduhr mit integrierter GPS-Funktion. Die Firma Loc8u bewirbt die Uhr mit der Behauptung, sie sei das erste eigens entwickelte Gerät, mit dessen Hilfe Eltern Tag und Nacht nachvollziehen könnten, wo der Nachwuchs gerade stecke.

GPS-Armbändchen für Neugeborene

Das ist eine relativ forsche Behauptung, es gibt längst Heerscharen ähnlicher Geräte, die das Kind von der Geburt bis ins frühe Erwachsenenalter an die Eltern binden. Einige Frauenkliniken bieten heute schon GPS-Armbändchen für Neugeborene an, als Schutz gegen Entführungen oder Verwechslungen.

Ist das Kind dann so alt, dass es erstmals alleine aus dem Haus kann, überreicht man ihm das "Kinderhandy Junior Tel", das beworben wird als "eines der einfachsten Handys der Welt mit außergewöhnlichen Betreuungsfunktionen": Das Kind muss, ähnlich alten Menschen, die in einer betreuten Wohnanlage leben, zu bestimmten Zeiten am Tag eine Taste drücken, damit die Eltern wissen, dass es noch lebt; vergisst das Kind zu drücken, geht ein Alarm los.

Im Kinderhandy iKids können Eltern Zonen eingeben, die das Kind nicht überschreiten soll; verschiedene Jacken und Schuhe mit eingenähtem Peilsender lassen sich ähnlich programmieren. Verlässt das Kind den vorgegeben Radius, schlagen Jacke, Schuhe oder iPhone auf dem Rechner der Eltern Alarm und zeigen auf wenige Meter genau an, wo das Kind verbotener- oder irrtümlicherweise hingegangen ist.

Voll die Peilung

Für den älteren Teenager bietet ein amerikanischer Autoversicherer dann das Sicherungssystem namens Teensurance. Man gibt vorher im Auto ein, wie schnell das eigene Kind fahren, in welchem Radius es sich bewegen und zu welcher Uhrzeit es das Auto benutzen darf. Und die Kreditkartenfirma Plastyc Inc. verkauft eine Visa-Karte, die den Eltern alle Geldbewegungen der Jugendlichen meldet. Zudem verbietet die Karte den Kauf von Waffen, Sprengstoff, Alkohol, Tabak und Pornographie aller Art.

Die Vorteile einer solchen Kreditkarte sind offensichtlich, es ist für alle Eltern beruhigend zu wissen, wenn ihr Kind keinen Sprengstoff kauft. Und durch die digitale Geschwindigkeitssperre ist die Zahl der tödlichen Unfälle von Jugendlichen nachweislich zurückgegangen. Trotzdem sind sich in Amerika, wo die Kinderüberwachungsinstrumente bislang viel begeisterter eingesetzt werden als hierzulande, Psychologen nahezu einig in ihrer Ablehnung solcher Geräte.

Der Jugendpsychologe Gerald Bostick sagt, die Pubertät sei die Zeit, in der der Mensch lernt, unabhängig zu sein. "Wie soll das gehen, wenn die Eltern in deinem Handy hocken?" Je mehr Überwachungstechnik man benutze, desto weniger lerne das Kind, sich eigenständig in einer unbekannten Umwelt zu bewegen. Außerdem werde Teenagern dadurch permanent die Botschaft vermittelt, man misstraue ihnen.

Die Psychologieprofessorin Denise Porath von der John Carroll University ergänzt trocken, "wenn Eltern ins GPS-Stadium kommen, dann haben sie irgendwo vorher die richtige Abzweigung verpasst." Eltern, die das Bedürfnis hätten, permanent ihre Kinder zu orten, sollten schauen, ob sie auf ihre Kinder nicht irgendwelche eigenen Verlustängste projizieren.

Das Elternpaar in Frankreich, das kürzlich gegen eine Entbindungsklinik klagte, weil diese ihrem neugeborenen Säugling für einige Stunden das GPS-Bändchen aufgrund von Wartungsarbeiten - am Sender, nicht am Kind - abgenommen hatten, sollte sich solche Fragen bestimmt stellen. Gleichzeitig kann man schon verstehen, dass solche Handys und Uhren in Zeiten, in denen beide Elternteile arbeiten und viele Kinder zehn bis zwölf Stunden lang anderweitig untergebracht sind, reißenden Absatz finden.

Dennoch wird auch hierzulande eher gewarnt vor solchen Instrumenten. Der Hannoveraner Kindertherapeut Wolfgang Bergmann sagt, dass Überwachungspeilsender schon für die Entwicklung kleinerer Kinder problematisch seien.

Die Kinder bräuchten eigene unentdeckte Bereiche, "in denen sie nicht kontrolliert werden, wo sie sich ab und an daneben benehmen können". Man schwäche das Kind durch permanente Kontrolle, das innere, die Kinder stabilisierende Bild der Eltern entwickle sich nicht richtig und werde ersetzt durch das äußere Bild der elterlichen Kontrolle, wodurch wiederum das wechselseitige Vertrauen von Eltern und Kindern Schaden nehme.

Num8 bewirbt seine Uhr übrigens mit dem Slogan: "Gib Deinem Kind die Freiheit, die du damals selber hattest."

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