Googles Welt-Formel:Kampf dem geheimen Algorithmus

Google Data Center in Council Bluffs

Der Algorithmus von Google bestimmt mittlerweile den Alltag der Menschen - das stößt nicht nur in der Politik auf Unbehagen.

(Foto: PR)

Google hat mit seiner Suchformel den Menschen entmachtet, sie sortiert Informationen schneller und vollständiger - nach Prinzipien, die außerhalb des Konzerns niemand kennt. Ein neues Bündnis aus Politikern und Unternehmern attackiert den US-Konzern jetzt massiv. Der "Krieg um Daten" läuft.

Von Robert Gast und Alexander Mühlauer

In Amerika erzählt man sich die Geschichte so: 1998 liegt das Internet im Chaos - und zwei Doktoranden machen sich daran, es zu retten. Sergey Brin und Lawrence Page mieten eine Garage mit blauem Teppich, keine zwei Meilen vom Campus der Stanford-Universität entfernt. Dort entwickeln sie den Suchmaschinen-Algorithmus Page Rank. Eines Tages soll er vollautomatisch ein Googol Bytes verarbeiten können. Ein Googol, das ist eine Eins mit 100 Nullen. So groß ist das Internet noch lange nicht. Aber die Geschichte von Google ist eine Erfolgsgeschichte; man kann auch sagen: eine amerikanische Heldengeschichte.

In Europa erzählt man sich die Geschichte anders. Google, das ist diese "Datenkrake" aus den USA, die es auf unsere Bürgerrechte abgesehen hat. Der Google-Algorithmus hat den Menschen entmachtet: Suchmaschinen basieren längst nicht mehr auf Link-Listen, die von Menschen gepflegt werden. Heute übernehmen das Maschinen, so wie Brin und Page es 1998 beschworen haben. Der Google-Algorithmus sortiert Informationen schneller und vollständiger, als es Menschen könnten. Und angeblich soll er es auch objektiver tun.

Doch das will auf der anderen Seite des Atlantiks keiner mehr glauben. Auf dem alten Kontinent greift nun ein neues Bündnis aus Politik und Wirtschaft den US-Konzern massiv an. Hierzulande hat sich der Vizekanzler an die Spitze der Google-Kritiker gesetzt. Das jüngst ergangene Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bezeichnet Sigmar Gabriel (SPD) in einem Beitrag für die FAZ als Weckruf. Er selbst ruft dazu auf, sich dem "Diktat der Internetmonopolisten" zu widersetzen.

Seit dem EuGH-Urteil muss Google unter bestimmten Umständen Verweise auf Internetseiten mit sensiblen persönlichen Daten aus der Ergebnisliste seiner Suchmaschine löschen. Ein Spanier hatte sich bei der Datenschutzbehörde seines Landes über Google beschwert, weil er seine Privatsphäre verletzt sah. Immer wenn er seinen Namen googelte, fand er Hinweise über eine Zwangsversteigerung seines Hauses, die 15 Jahre zurücklag.

"Digitaler Krieg um Daten"

Wirtschaftsministerium und Bundeskartellamt prüfen, ob Google seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um Wettbewerber systematisch zu verdrängen. Man fasse kartellrechtähnliche Regulierungen ins Auge, schreibt der Wirtschaftsminister. Gabriel ist nicht der Einzige in der Bundesregierung, der sich offen gegen Google stellt. Der für digitale Infrastruktur zuständige Minister Alexander Dobrindt (CSU) urteilt in der Welt: "Der Weltdatenmarkt ist gar kein Markt, sondern ein Monopol, und das heißt Google." Sein Kabinettskollege Thomas de Maizière (CDU) sagt im Handelsblatt: "Die Marktmacht des Konzerns bereitet mir Sorge. Wir sollten auf europäischem Boden europäisches Recht hart verteidigen."

Die Militärrhetorik passt zur Debatte. Die Politik sieht in Google einen Feind, den es zu bekämpfen gilt. Auch Unternehmer reihen sich in die Phalanx gegen den Internetgiganten ein. Mathias Döpfner, Chef von Axel Springer, warnt vor der "Allmacht von Google" und bekennt, dass er Angst vor dem Konzern habe. Telekom-Boss Tim Höttges fordert "Chancengleichheit mit den großen amerikanischen Unternehmen, die unsere Industrie beherrschen". Und Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender bei Siemens, spricht von einem "digitalen Krieg um Daten". In Paris trafen sich diese Woche 400 Wirtschaftsvertreter, um eine Klage vorzubereiten. "Entweder hält Google sich an die Regeln des Wettbewerbs, oder der Konzern muss entflochten werden", sagt Denis Olivennes, Digitalchef des französischen Verlags Lagardère.

Im Fall Google geht es um die Frage: Missbrauchen die Amerikaner ihre marktbeherrschende Stellung? EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia glaubt: Nein. Ein entsprechendes Kartellverfahren will er gegen Zugeständnisse vonseiten Googles einstellen. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, warnt davor, bei Google alle Probleme in einen Topf zu werfen. "Das Kartellrecht befasst sich mit wirtschaftlicher Macht, kann aber keine Probleme des Datenschutzes oder der Persönlichkeitsrechte lösen."

Nicht nur mit seiner Suchmaschine verändert Google den Alltag

Manche Politiker sehen das nicht ganz so differenziert. Sie wollen vor allem eines: die Macht von Google bändigen. Doch wie soll das gehen? Wie zähmt man ein Unternehmen, das 2013 gut 45 Milliarden Euro Umsatz machte? Das aber keine Landesgrenzen kennt und wie kein anderes für die Globalisierung steht. Und das längst ein untrennbarer Bestandteil des Lebens von Milliarden Menschen geworden ist. Für die meisten Internetnutzer ist Google das Fenster zur digitalen Welt. In Deutschland kommt die Suchmaschine aus Kalifornien auf einen Marktanteil von 91 Prozent. 2162 Milliarden Suchbegriffe werden weltweit pro Jahr eingegeben, Tendenz steigend.

Vielen Bürgern in Europa geht es nicht nur um Googles Monopolstellung. Sie haben erkannt, dass eine Maschine über ihr digitales Leben bestimmt. Welche ins Internet gespeiste Informationen bei einer Suche wie auftauchen, entscheidet meist der Google-Algorithmus - nach Prinzipien, die niemand außerhalb des Firmensitzes im Silicon Valley kennt.

Mit dem Algorithmus anno 1998 hat die Suchmaschine noch immer das Grundprinzip gemeinsam. Page Rank gewichtete Internetseiten nach der Anzahl der Links, die auf sie verweisen. Heute entscheiden die digitalen Agenten der Suchmaschine anhand von etlichen Kriterien, welche Seite bei einer Suche auftaucht. Jeder Nutzer soll möglichst schnell die gesuchte Information finden, das relevanteste Ergebnis soll dabei an erster Stelle stehen. Das ist der Google-Anspruch.

Der Vorwurf, Google bevorzuge Werbepartner, hält sich

Und es ist vermutlich nur die halbe Wahrheit. Hartnäckig halten sich Vorwürfe, Google bevorzuge Werbepartner in seinen Linklisten. Unabhängig davon ist der Einfluss, den finanzstarke Akteure auf das Internet haben, erheblich. Wer etwa nach Informationen zu einem bestimmten Elektronikartikel sucht, bekommt meistens an einer der ersten Stellen Links zu Online-Preisvergleichsportalen präsentiert, die zwar Kaufangebote enthalten, aber vergleichsweise wenige unabhängige Informationen über das Produkt.

Hier waren sogenannte Search-Engine-Optimization-Firmen (SEO) am Werk. Sie optimieren die Webseiten ihrer Kunden so, dass sie von Google und anderen Suchmaschinen möglichst weit oben gelistet werden. Den Google-Algorithmus kennen zwar auch sie nicht, aber doch können sie stark beeinflussen, welche Webseite bei einer Suche auftaucht - und welche nicht. SEO-Experten wissen: Bevorzugt verlinkt Google auf Seiten, die der Algorithmus für seriös hält - also jene, die es schon lange gibt. Seit einigen Jahren spielen auch Einträge bei Facebook eine größere Rolle.

Wie Google die Politik beeinflussen kann, hat sich bereits gezeigt

Doch es ist nicht allein die Suchmaschine, mit der Google unseren Alltag verändert. Zwei von drei Smartphones werden vom Google-Betriebssystem Android gesteuert, Chrome ist der beliebteste Internet-Browser, Youtube die wichtigste Videoplattform und Gmail der erfolgreichste E-Mail-Dienst. Mit Street View hat Google Straßenzüge weltweit digital fotografiert.

Weil die Daten aus den vielen gut funktionierenden Diensten aggregiert werden, weil Google die Spuren von Internetsurfern über sein Werbenetzwerk und seine Werkzeuge für Webseiten-Betreiber auch außerhalb des Google-Imperiums verfolgen kann, häuft der Konzern immense Datenmengen an. Und er hat das Wissen und die Ausstattung dazu, sie auch auszuwerten. Keine andere Firma hat einen derart großen Datenfundus, aus dem es mit Analyseprogrammen Trends ableiten kann.

Im Google X Labor arbeiten unterdessen Forscher an Zukunftsprojekten. Mit dem selbst fahrenden Auto ist man schon ziemlich weit, die Datenbrille Glass ist in den USA mittlerweile frei erhältlich. Was man nicht selbst entwickelt, wird zugekauft, etwa das Start-up Deep Mind, das auf künstliche Intelligenz spezialisiert ist, oder einige Robotik-Firmen.

Und wie Google Politik beeinflussen kann, zeigte sich im US-Präsidentschaftswahlkampf. Da Barack Obamas Kampagne stärker auf Zielgruppen im Internet ausgerichtet war als jene Mitt Romneys, war für den Google-Algorithmus "Obama" schlicht relevanter als "Romney".

Gut möglich, dass Politiker auch deshalb verstärkt gegen Google kämpfen - so mancher fürchtet um die eigene Macht.

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