Süddeutsche Zeitung

Google und die neuen Nutzungsbedingungen:Google ist plötzlich böse? Wie naiv!

Aus der Suchmaschine wird der Identitätsdienst: Unser Entsetzen, dass Google unsere Datenquellen zusammenführt und monetarisiert, zeugt von einer romantischen Verklärung des Internet-Konzerns. Zeit für pragmatische Lösungen.

Johannes Kuhn

Die Gizmodo-Schlagzeile drückt überspitzt aus, was viele Nutzer fürchten. "Amtlich: Google ist jetzt böse" titelt das IT-Portal zu Googles Nutzungsbedingungen, die am 1. März in Kraft treten. Netzpolitik.org geht noch weiter und schreibt polemisch "Google will User komplett überwachen." Unser Autor Bernd Graff kommentiert die Erklärung mit einem schlichten "Bullshit", das mussten wir ihm aber rausredigieren.

Die negative Reaktion hat sicherlich auch damit zu tun, dass der Blogeintrag schwammig wirkt und in den USA beinahe zeitgleich zur Verkündigung der Apple-Quartalszahlen freigeschaltet wurde - ein Schelm, wer dabei an die PR-Taktik denkt, schlechte Nachrichten einmal schnell im Schatten eines Großereignisses zu veröffentlichen. Doch lassen wir das mal beiseite und sehen uns an, was die neuen Nutzungsbedingungen bedeuten.

[] Aus 60 Vereinbarungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Datenschutzbestimmungen macht Google eine einzige. Die gilt ab ersten März und ist im Falle der Datenschutzerklärung überraschend verständlich geschrieben.

[] Mit den neuen Geschäftsbedingungen geht eine Zusammenführung der Nutzerdaten einher. Ein Beispiel: Ich habe mir vor etlichen Jahren ein YouTube-Konto angelegt und dabei eine Google-Mailadresse verwendet. Wenn ich YouTube besuche und bei Google eingeloggt bin, werde ich stets gefragt, ob ich die Konten verknüpfen möchte. Ab 1. März habe ich keine Chance mehr, diesen Vorschlag abzulehnen - die Konten werden einfach zusammengeführt.

Nützliche Verknüpfungen?

Die Idee dahinter ist die Verknüpfung von Daten. Die kann erst einmal nützlich für mich sein, wenn ich Google nicht mehr als Suchmaschine, sondern als persönlichen Assistenten nutzen möchte. Wenn ich den ganzen Tag YouTube-Videos von Harald Schmidt sehe und dann "Schmidt" bei Google suche, bekomme ich nicht erst Resultat zu Helmut Schmidt. Oder, weiter gedacht: Wenn Harald Schmidt ein Gastspiel in München gibt, könnte mir Google mir in nicht allzu ferner Zukunft aufgrund meiner Standortdaten und Vorlieben das Konzert sofort als Kalendereintrag anbieten und einen Link zum Online-Ticketverkauf an meine Gmail-Adresse senden.*

Nun ist letzteres Szenario noch Zukunftsmusik, zeigt aber den Vorteil, den Google von der Daten-Verknüpfung hat: Das Nutzerverhalten lässt sich besser (anonymisiert) auswerten, um intelligentere Dienste anbieten zu können, aber auch persönlichere Anzeigen zu platzieren. Es ist doch nur Werbung, argumentiert deshalb die eine Seite, während die andere Seite kritisiert, dass aufgrund der Google-Marktmacht - man denke nicht nur an Suche, Mail und YouTube, sondern auch an die Konto-Verknüpfung für Android-Nutzer - die Erstellung eines detaillierten Profils bis in die intimste Sphäre nicht mehr zu vermeiden ist.

Hier sind aber noch Grenzen gesetzt: Daten zu sensiblen Bereichen wie sexueller Orientierung oder Krankheiten, die zum Beispiel in Suchanfragen und bei der Auslese von Schlagworten in E-Mails identifizierbar sind, werden nicht für Anzeigen verwendet. Ebensowenig verknüpft Google die persönlichen Daten mit seinem DoubleClick-Anzeigennetzwerk, das durch Cookies anonymisiert das Surfverhalten von Internetnutzern tracken kann.

Naiver Maßstab an Google

Ist also Google böse geworden? Wenn wir als Maßstab den ursprünglichen, Anfang des Jahrtausends definierten Google-Auftrag anlegen, uns schlicht die besten Suchergebnisse zu liefern, lautet die Antwort wahrscheinlich "ja". Aber ist das nicht nostalgisch oder gar naiv? Wir tun gerade so, als wäre Larry Page unser alter Nerd-Kumpel von nebenan, der nun plötzlich auf dumme Gedanken kommt. Doch wenn wir die Silo-Kultur betrachten, die Apple, Amazon, Facebook und Google seit längerem im Netz zu etablieren versuchen, folgt das Unternehmen vor allem einem Monetarisierungs-Trend von Nutzer-Identitäten - ob im Rahmen der hiesigen Datenschutzgesetze, werden Überprüfungen zeigen.

Es ist naiv zu glauben, Gratis-Dienste im Netz wären für die Nutzer kostenlos. Wir bezahlen mit - fünf Euro ins Phrasenschwein - unseren Daten. Hören wir auf zu jammern und zu glauben, dass börsennotierte Unternehmen auf diese Einnahmequelle freiwillig verzichten.

Ergreifen wir lieber aktiv Gegenmaßnahmen. Wer alle Google-Dienste nutzen, aber nicht getrackt werden möchte, muss sich eben abmelden und seine Cookies löschen, wenn er nach dem Gmail-Aufruf YouTube besucht. Das ist umständlich? Dann lasst uns darüber reden, wie wir unsere Internet-Nutzung dezentralisieren und auf Anbieter jenseits der großen Silo-Firmen ausweichen. Das hier ist kein Gefangenenlager, das hier ist immer noch das freie Web.

*Disclaimer: Das Harald-Schmidt-Beispiel habe ich gewählt, damit niemand erfährt, dass ich mir auf YouTube alte Episoden von Takeshi's Castle ansehe.

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