Google-Umstrukturierung:Alphabet, die universelle Ordnungsmacht

Katie Kukulka, an information officer with the California Energy Commission, takes photos during a tour of the Ivanpah Solar Electric Generating System in the Mojave Desert near the California-Nevada border

Das Google-Logo inmitten von Solarzellen in der Wüste an der Grenze zwischen den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada.

(Foto: REUTERS)
  • Der Google-Konzern strukturiert sich um: Die neue Google-Holding nennt sich Alphabet.
  • Die Vision von Alphabet ist es, die Zukunft der Menschheit zu gestalten.
  • Schon jetzt beschäftigen sich die Tochter-Firmen mit der Suche nach dem ewigen Leben, alles-liefernden Drohnen und sammeln Daten zum Blutzucker.

Von Johannes Boie

Es ist nicht so, dass sich Google bislang auffällig für die alphabetische Reihenfolge interessiert hätte. Ganz im Gegenteil, die Firma hat die alte Ordnung ja gerade aufgelöst. Wer heute im Internet etwas sucht, bedient sich eines neuen Regelwerks, nämlich dessen des Google Algorithmus. Der Code ordnet die Welt immer wieder neu, nicht zuletzt ausgehend von Erkenntnissen darüber, was Menschen nützlich und weniger nützlich erscheint.

Aber die Suchmaschine und Produkte wie Google Maps oder das Handybetriebssystem Android sind nicht alles. Seit seiner Gründung beschäftigt den Konzern die Ordnung der Welt insgesamt; es wird eine neue, digitale Ordnung sein, und sie hat die analoge Gesellschaft, wie wir sie kennen, bereits über weite Strecken abgelöst. Dieses Ziel nun verlangt nach einem sehr grundsätzlichen und wohl bewährten Prinzip. Und da bietet sich erneut das gute alte Alphabet an, mit einem Hauch von Nostalgie, so als wenn ein Raumschiff in einem Science-Fiction-Film Prometheus heißt.

Sundar Pichai rückt auf

A bis Z ist unsere Version des griechischen Alpha bis Omega, des Symbols für das Allumfassende, für Gott. Jetzt soll es auch für Alphabet stehen, den Namen der neuen Google Holding, deren Chefs die ehemaligen Google-Chefs und Gründer Larry Page und Sergey Brin sein werden. Währenddessen rückt an die Spitze der größten Alphabet-Tochtergesellschaft, Google, Sundar Pichai auf. Er hat in der amerikanischen Elite-BWL-Schmiede Wharton, in Stanford und bei McKinsey gelernt, wie man führt.

Aber dies ist nur eine, die rein wirtschaftliche Dimension der neuen Google- und Alphabet-Firmenstruktur: Ein neuer Chef hier, eine neue Führungsebene da, eine neue Firmenkonstellation und ganz sicher ein paar Steuervorteile. Man mag da an amerikanische Firmensammlungen und Konglomerate denken, die Amerikas wirtschaftliches Wachstum beschleunigt und der Welt Hunderte Innovationen geliefert haben - wie Berkshire Hathaway oder auch General Electric.

Geht es also nur um den marktwirtschaftlich sinnvollen und für Anteilseigner wie Angestellte begrüßenswerten maximalen Profit?

Brin und Page wollen eine neue Ordnung der Welt

Wer so denkt, unterschätzt die Vision von Brin und Page und ihrer Führungsriege. Für viele Menschen ist Geld - da ist Silicon Valley nicht anders als der Rest der Welt - die Triebfeder ihrer Arbeit. Für einige wenige aber ist Geld ein Mittel zum Zweck, vor allem, aber nicht nur, wenn sie schon ein paar Milliarden Dollar besitzen. Und im vorliegenden Fall ist der Zweck ist die neue Ordnung der Welt.

Studenten in Stanford im Silicon Valley lernen diese Geisteshaltung. Sie ist der Grund, warum Angestellte mit sicheren Karriereaussichten plötzlich Gründer werden wollen. Es ist ein Denken, das sich in jedem Pitchdeck findet, jeder Powerpoint-Präsentation, mit denen die hungrigen Jungen bei den Venturekapitalgebern in Menlo Park, San Francisco, New York und Palo Alto vorstellig werden: "The Problem we solve." Die Welt ist ein Puzzle, das gelöst werden muss, jede Leerstelle bietet eine Möglichkeit für eine Problembewältigung, die wiederum ihren Teil zu einer digitalisierten Welt beiträgt.

Neben Überlegungen zu Steuervorteilen, Firmenstruktur und Managerkarrieren wäre es also mehr als dringend, danach zu fragen, wie diese Gesellschaft künftig leben wird.

Die Alphabet-Töchter erfinden alles neu

In der Google-Alphabet-Liga ist keine Herausforderung zu groß: Wir fliegen zum Mars, unsere Autos fahren von alleine, unser Essen liefern Drohnen, unseren Blutzucker überwacht eine Kontaktlinse. Brin und Page und ihre Führungsmannschaft sind die Prototypen dieses neuen Unternehmertypus. Einer ihrer besten Leute zum Beispiel, Sebastian Thrun, hat nach der Entwicklung des autonom fahrenden Autos eine hoch bezahlte Karriere bei Google aufgegeben, um ein Start-up zu gründen. Sein Ziel: allen Menschen auf der Welt Zugang zu erstklassiger Bildung zu verschaffen. Menschen wie er fühlen sich noch der größten Aufgabe gewachsen, denn wer sie löst, erhält Macht in der neuen Welt.

Die Welt nicht mit Produkten, sondern mit ganzen Firmen optimieren

Mit der Gründung von Alphabet wird Google seinem alten Plan, die wahren und vermuteten Probleme dieses Planeten zu lösen, mit frischer Kraft folgen. Bislang war es Googles Strategie, jeweils ein Produkt unter dem kindlich-bunten Image des Suchmaschinenkonzerns zu entwerfen oder es sich durch den Zukauf einer Firma einzuverleiben. Künftig wird es aber darum gehen, nicht mit Produkten, sondern mit ganzen Firmen die Welt zu optimieren - und dies nach den Effizienzkriterien der Industrialisierung. G stehe für Google, heißt es in der ersten Pressemitteilung von Alphabet. Da bleibt noch Platz für mehr. So werden aus Produktentwicklern Firmenentwickler, Company Building statt Product Development. Ein Trend, den es auch in Deutschland gibt.

Und damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen Berkshire Hathaway und dem neuen Alphabet-Giganten auch schon. Denn während die klassischen Holdings Firmen aufkaufen, die es schon gibt, Produkte optimieren, die sich längst mehr oder weniger gut verkaufen, erfinden die Alphabet-Töchter alles neu.

Wenn man wirklich eine historische Parallele entdecken möchte, dann am besten jene zu den Bell Labs, die, basierend auf Graham Bells Erfindung des Telefons, die USA und den Rest der Welt für Jahrzehnte mit Erfindungen überzogen haben. Das ging so lange gut, bis AT&T, die Mutterfirma, 1982 zerschlagen wurde.

Drohnen, ewiges Leben und Internet für die ganze Welt

Bereits zum Zeitpunkt der Firmengründung gehört zu Alphabet beispielsweise Wing, ein Projekt, das mit Drohnen von Essen bis Notfallmedizin alles Mögliche liefern möchte. Oder auch Baseline, wo die Weltbeglücker herausfinden möchten, was menschliche Gesundheit ist. Das Projekt sammelt zu diesem Zweck ungeheure Mengen an Daten von Patienten, Ärzten, Krankenhäusern über genetische Informationen oder sogar Molekularstrukturen und versucht, in den Daten Muster zu erkennen.

Ähnliches möchte die Firma Calico, die versucht, wenn nicht das ewige Leben, so wenigstens ein sehr langes zu ermöglichen. Denn wenn man von Alpha bis Omega alles kontrolliert, warum sollte man dann nicht auch das Ende von allem besser beherrschen lernen?

Das Projekt Loon wiederum, für das Google einen alten Nasa-Hangar gekauft hat, soll hoch fliegende Heißluftballons entwickeln, die das Internet in jeden Winkel der Erde bringen. Erste Tests verlaufen Erfolg versprechend. Eine Idee trägt den Namen Titan und besteht darin, solargetriebene Drohnen in großer Höhe fliegen zu lassen. Und das ist nur ein kleiner Teil dessen, woran die Alphabet-Firmen künftig arbeiten werden

Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn die klügsten Köpfe Krankheiten besiegen wollen

All diese Problemlösungsprodukte werden nun - dank Alphabet - in eigenständige Firmen überführt, ausgestattet mit mehr Macht, mehr Aufmerksamkeit durch ein eigenes Management und klarere Unternehmensziele. Gleichzeitig profitieren alle Firmen unterhalb der Alphabet-Holding weiterhin voneinander und den Daten der Schwesterunternehmen. Dafür werden Brin und Page, die neuen Chefs von Alphabet, schon sorgen. Dies aber könnte auch bedeuten, dass die Firmen die Daten der Nutzer künftig untereinander austauschen.

Spätestens seit im Arabischen Frühling erst Demonstranten das Netz dazu nutzten, sich zu verabreden, und dann Despoten es dazu verwendeten, Demonstranten aufzuspüren und zu verhaften, ist klar, dass die Digitalisierung weder naturhaft gut noch naturhaft schlecht ist. So ist das auch mit den Alphabet-Firmen. Und weil sich seit der Ausbreitung des Kapitalismus durchschnittlich das Leben auf der Erde von den ärmsten bis zu den reichsten Menschen kontinuierlich verbessert hat, ist es grundsätzlich erfreulich, wenn sich die klügsten Köpfe zum Beispiel darauf konzentrieren, Krankheiten aus der Welt zu schaffen und Internet - und damit Freiheit, Bildung und Kommunikation - rund um die Welt zu verbreiten.

Alphabet braucht eine ethische Erdung

Nur ist umgekehrt das, was ein Erfolg für alle sein könnte, in jedem Fall immer ein Erfolg für Alphabet. Die allermeisten Geschäftsfelder der neuen Überfirma basieren auf der Sammlung und der Analyse unterschiedlicher Daten. Das Problem mangelnder Privatsphäre und ständiger Beobachtung entstand für die Nutzer bereits mit Google. Weil sich nun mit der Gründung von Alphabet die Dimension der Geschäfte deutlich vergrößert, werden auch die Probleme wachsen.

Firmen, die an der Abschaffung des Alterns oder des Sterbens arbeiten, die kleine Flugkörper um die Erde kreisen lassen wollen, benötigen das, was man eine ethische Erdung nennen könnte. Der simple Spruch "Don't be evil", tu nichts Böses, den sich Google als Motto zurechtgelegt hatte, hat selbst den im Verhältnis zur neuen Alphabet-Strategie kleinen Suchmaschinenkonzern nicht davor bewahrt, seine Nutzer in gläserne Puppen zu verwandeln.

Bereits heute stößt die Firma im Zusammenhang mit der Suchmaschine regelmäßig auf ethische Fragen. Beim sogenannten Recht auf Vergessen etwa wollen europäische Gerichte recht unbeholfen erreichen, dass Menschen ihre Vergangenheit aus der Google-Suche löschen lassen können. Der Fall steht auch exemplarisch dafür, wie weit die digitale Realität Justiz und Gesetzgebung voraus ist.

Welche Kompromisse zwischen Mensch, Maschine und Hersteller wird es geben?

Alphabet wird Fakten schaffen, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen muss man sich ja tatsächlich gar nicht kümmern, solange es keine Gesetze gibt.

Und welche Fragen werden erst auftreten, wenn sich spezielle Firmen ums Leben und Sterben der Menschen kümmern, um Gesundheit und Daten? Welche Kompromisse zwischen Mensch, Maschine und Hersteller werden in einer Welt ausgehandelt werden müssen, wenn künstliche Intelligenzen, wie Google sie herstellt, stets die objektiv bessere Handlung empfehlen im Vergleich mit dem, was uns als freier Wille gilt? Die Menschheit ist davon nicht mehr so weit entfernt. Schon heute entscheidet Software über Leben und Tod, in Drohnen und Überwachungssystemen. Und soll wirklich Alphabet die Macht bekommen, diese Frage für die Menschen zu verhandeln?

Bislang scheint sich Google desselben Prinzips zu bedienen wie die viel kritisierten Geheimdienste, die die Bürger, denen sie dienen sollen, überwachen: Gemacht wird, was technisch möglich ist. Die Frage ist, wem dies am meisten nützt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: