Google Street View:Auch nackt erkennbar

Bei Googles Panoramaprojekt stoßen die amerikanische und die deutsche Vorstellung von Privatsphäre aufeinander - und das ausgerechnet in einer rechtlichen Grauzone.

Johannes Kuhn

Wenn Google-Verantwortliche derzeit über das deutsche Verhältnis zum Straßenansichtsdienst Street View sprechen, schwingt vor allem eines mit: Erstaunen. "Die Zugriffszahlen zeigen, dass auch die deutschen Internetnutzer Street View haben wollen", sagt beispielsweise Raphael Leiteritz, der für das Produkt in Europa zuständig ist. "Jeden Tag rufen Deutsche mehr als eine Million Street-View-Panoramen auf, meist in den USA, Italien oder Frankreich."

Warum, so fragt sich der Konzern, schätzen es viele, per Computer schon einmal die Urlaubsziele unter die Lupe nehmen, wenn gleichzeitig zahlreiche Bürger den Street-View-Autos das Recht verwehren wollen, Fotos vom eigenen Viertel aufzunehmen?

"In der ganzen Diskussion geht es häufig nicht um Datenschutz, sondern um ein anderes Phänomen", stellt der Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren von der Universität Münster fest. "Es spielt eine gehörige Angst vor der Größe und Intransparenz eines Konzerns wie Google mit. Hinzu kommt, dass eine Grundsatzdiskussion zur Privatsphäre in den USA nicht stattfindet."

Das US-Unternehmen wurde deshalb offenbar von den Hindernissen überrascht. Eigentlich sollten die Deutschland-Bilder bereits Anfang 2009 online gehen; dass es nun bis Ende 2010 dauert, dürften die Verantwortlichen nach zähen Diskussionen mit Verbraucherschutzministerium und Datenschützern inzwischen sogar als Erfolg verbuchen.

Außergewöhnliche Zugeständnisse

In keinem der anderen 23 Länder Nordamerikas und Europas, in der Street View freigeschaltet ist, hat Google den Behörden solch große Zugeständnisse gemacht wie in Deutschland.

Nächste Woche schaltet das Unternehmen eine Widerspruchsseite frei (www.google.de/streetview). Wer in einer der 20 größten deutschen Städte wohnt, kann innerhalb von vier Wochen beantragen, sein Haus noch vor dem Start der Online-Straßenansicht zu entfernen.

Erst nach Abarbeitung aller Anträge soll Street View ans Netz gehen. Die Löschung kann jedoch auch danach per E-Mail oder Brief veranlasst werden. Die Bilder verschwinden dabei innerhalb von zwei Monaten auch von den Google-Servern in den USA.

Johannes Caspar, als Hamburger Datenschutzbeauftragter federführend bei den Verhandlungen, übt dennoch Kritik. Er bemängelt, dass Google weder Sammelwidersprüche von Kommunen zulässt noch wie gewünscht eine Telefon-Hotline für Fragen von Bürgern einrichtet. Sein Fazit: Die Ankündigung sei "wenig hilfreich, die Vorgaben für die Umsetzung des Widerspruchsrechts bürgerfreundlich umzusetzen".

Was darf Google sehen?

Den Start gefährdet dies nicht, doch einige grundlegende Fragen bleiben weiterhin ungeklärt. Rechtsexperten streiten derzeit darüber, ob Street-View-Aufnahmen die Privatsphäre verletzen. Google führt hierbei ein Gutachten ins Feld, das das Unternehmen beim Institut für Rechtsinformatik in Hannover in Auftrag gab.

Dem Gutachten zufolge erfüllt das Unternehmen mit dem Widerspruchsrecht die Datenschutzgesetze. Weil sich das Street-View-Fahrzeug auf öffentlichen Straßen bewege und weil menschliche Gesichter und Autokennzeichen automatisch verpixelt würden, handele es sich bei den aufgenommenen Fotos nur um Sachdaten und nicht um persönliche Informationen.

Das rheinland-pfälzische Justizministerium hingegen kommt zu dem Schluss, dass die Google-Kamera mit einer Höhe von 2,90 Metern Fotos aufnehmen könne, die mit herkömmlichen Mitteln nicht möglich wären. Die Mehrheit der Street-View-Bilder würde deshalb gegen den Schutz der Privatsphäre verstoßen.

Die Frage der Identifizierbarkeit

Das digitale Panorama dürfte deshalb bald die deutschen Gerichte beschäftigen. In anderen Ländern gibt es bereits Ärger für Google. Ein Brite zum Beispiel beschuldigt das Unternehmen, mit den Street-View-Bilder einen Einbruch bei ihm begünstigt zu haben. Der Dienst hatte ein Bild seiner offenen Garage inklusive des Inhalts gezeigt.

Ein Finne wiederum brachte eine Verletzung seiner Privatsphäre zur Anzeige: Der Google-Wagen hatte ihn nackt auf seiner Terrasse fotografiert; sein Kopf war zwar unkenntlich gemacht worden, der Rest seines Körpers aber nicht.

Falk Lueke, für die digitale Welt beim Bundesverband der Verbraucherzentralen zuständig, sieht in der Anonymisierung von Menschen die größte Herausforderung für die deutsche Street-View-Variante: "Die Verpixelung der Gesichter, wie sie bei den Bildern in Großbritannien oder den USA vorgenommen wird, ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend", sagt er. Ein Mensch sei noch anhand anderer Merkmale identifizierbar.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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