Google: Rückzug aus China:"Den Menschen wird die Zensur bewusst"

Die US-Medienwissenschaftlerin MacKinnon erklärt, wie Diktaturen funktionieren - und warum Googles Rückzug Chinas Machthaber schwächt.

Henrik Bork, Peking

Rebecca MacKinnon forscht am "Center for Information Technology Policy" der Princeton-Universität in den USA. Die Amerikanerin ist Mitbegründerin der Initiative "Global Voices Online" für Citizen Journalism und hat bis vor kurzem in Hongkong Medienwissenschaften unterrichtet. Die ehemalige Fernsehjournalistin gilt als eine der führenden Expertinnen für die Zensur des Internets in China.

SZ: Google hat angekündigt, sich aus der Volksrepublik China zurückzuziehen. Können die Chinesen jetzt nicht mehr googlen?

Rebecca MacKinnon: Eine Suche mit der Suchmaschine google.cn wird ab jetzt automatisch nach Hongkong umgeleitet, auf google.com.hk. In Hongkong selbst ist das nicht zensiert. Wenn aber Chinesen vom Festland aus darauf zugreifen, filtert die chinesische Regierung politisch Sensibles heraus.

SZ: Also hat sich für die Chinesen in der Volkrepublik gar nicht viel verändert?

MacKinnon: Doch, schon. Google zensiert sich in China nicht mehr selbst. Die "Große Firewall" der kommunistischen Führung in Peking muss die Arbeit nun selbt erledigen. Wenn Chinesen nach sensiblen Inhalten suchen, dann sehen sie jetzt Fehlermeldungen.

SZ: Könnte China die Google-Seite in Hongkong nicht komplett blockieren?

MacKinnon: Auch das ist denkbar. Allerdings wäre es unklug für die chinesische Regierung, das zu tun. Je länger dieser Streit andauert, desto mehr Menschen in China werden sich der Zensur bewusst.

SZ: Das wissen die gar nicht?

MacKinnon: Nein. Ich habe eine Zeitlang an der Uni in Hongkong unterrichtet, und da kamen diese Studenten vom chinesischen Festland und sagten "Wow! Ich wusste überhaupt nicht, was bei mir daheim alles zensiert war." Wie jemand, der in einem Tunnel lebt, ohne es zu wissen.

SZ: Seit Googles Rückzugsdrohung im Januar wird die Zensur in China aber heiß diskutiert.

MacKinnon: Das ist mit der größte Effekt, den Google mit seinem Rückzug erzielt hat. Es macht den Chinesen die Zensur viel bewusster als bisher. Das hat Folgen. Diktaturen funktionieren unter anderem deshalb, weil die meisten Leute gar nicht merken, was ihnen alles vorenthalten wird.

SZ: Google argumentiert mit Hacker-Angriffen aus China. Kritiker behaupten hingegen, die Firma sei in China ohnehin nicht besonders erfolgreich gewesen.

MacKinnon: Ich glaube, dass Google sich ernsthaft Gedanken gemacht hat. Sie werden ja auch in Italien und anderen europäischen Ländern angegriffen, wo sie zu mehr Selbstzensur gezwungen werden sollen. Google unternimmt diesen Schritt in China auch, um sein Geschäftsmodell global zu verteidigen. Es hat sich diesmal so ergeben, dass ihre Geschäftsinteressen gut mit der Wahrung der Menschenrechte Hand in Hand gehen. Was sie getan haben, ist trotzdem richtig. Wenn wir für jede Entscheidung reinste Motive erwarten wollten, dann helfe uns Gott.

SZ: Die Frage ist nun, ob Googles Beispiel Schule machen wird.

MacKinnon:

Natürlich sehen viele Firmen China als die Zukunft des Internets. Schon jetzt gibt es mehr chinesische Internet-Surfer als Amerikaner auf diesem Planeten. Und noch immer sind die Internetnutzer in China eine Minderheit. Aber es gibt auch eine Reihe von großen Firmen, die sich bewusst aus China fernhalten, weil sie sich nicht auf die Zensur einlassen wollen, Facebook und Twitter zum Beispiel.

SZ: Was sollten Gesetzgeber und Regierungen für die Freiheit des Internets tun?

MacKinnon:

Sie sollten klare Standards setzten, was zensiert werden darf und was nicht, wobei die Zensur möglichst minimal bleiben sollte. Auch sollten Firmen etwa aus Deutschland vor einem deutschen Gericht verklagt werden können, wenn ein Chinese wegen ihrer Komplizenschaft mit der Zensur ins Gefängnis muss.

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