Süddeutsche Zeitung

Google-News:Automatischer Absturz

Der Computer als Journalist: Google News meldete vergangene Woche den Konkurs einer amerikanischen Airline - obwohl die Nachricht sechs Jahre alt war. Die Folgen waren verheerend.

Thomas Schuler

Anfang vergangener Woche sorgte in den USA die Meldung einer Onlinezeitung für Aufregung an den Finanzmärkten: United Airlines, eine der weltgrößten Fluggesellschaften, melde Konkurs an, wurde die Tageszeitung Sun Sentinel aus Florida zitiert. Der Börsenkurs von United brach um 75 Prozent ein. In zwölf Minuten wurden mehr als eine Milliarde Dollar vernichtet. Dabei hatte United gar nicht Konkurs angemeldet. Die Meldung war sechs Jahre alt und wurde aus Versehen von einem Computerprogramm, mit dem Google die Website der Zeitung durchsuchte, als neu ausgegeben.

Niemand kontrollierte und hinterfragte die Aktualisierung. Die Aktie wurde für einige Stunden aus dem Handel genommen. Bis zum Abend war sie stabilisiert, die Börsenaufsicht SEC kündigte eine Untersuchung an. Damit schien das Problem an der Börse geregelt, nicht aber das Problem des Journalismus.

Denn je öfter die Beteiligten - ein Finanzdienstleister aus Miami und die Medienunternehmen Tribune, Bloomberg und Google - in den Tagen danach Untersuchungen ankündigten, sich in Details widersprachen, gegenseitig Schuld zuwiesen und Antworten auf die Frage suchten, wie es zu der Falschmeldung kommen konnte, desto deutlicher wurde, dass dies keine der üblichen Diskussionen um gefälschte Meldungen oder menschliches Versagen ist. Es gibt ein neues Problem: Journalismus ohne Journalisten. Kann das gut gehen?

Für Google ist genau das die Lösung. Die Suchmaschine ist dank ihrer mathematischen Analysen, Schnelligkeit und Rechnerkraft zur Weltmacht aufgestiegen. Vor sieben Jahren gründete sie ihren Nachrichtendienst Google News, der einen Überblick bietet über wichtige Nachrichten. Aus Tausenden von Websites, in mehr als 40 Ländern und 20 Sprachen.

Vertrauen in Computer

Das Besondere von Google News ist, dass der Dienst im Gegensatz zu anderen wie Yahoo News und Onlineausgaben von Zeitungen keine Journalisten beschäftigt, die die Nachrichten auswählen, den Wahrheitsgehalt prüfen und die Relevanz gewichten. Google News vertraut Computern, die verlinken.

Das Kriterium ist scheinbar sicher: Google präsentiert nur, was sich viele Menschen ansehen. Relevanz durch Masse. Klassisches Internet-Denken. Man wolle Nutzern helfen, vielgelesene Artikel zu finden, erklärte die für Google News zuständige Managerin, Marissa Mayer, der New York Times im Juni. Google wolle dem Journalismus helfen, nicht schaden.

Es ist nicht so, dass menschliche Arbeit bei Google nichts zählt. Im Gegenteil: Der Konzern beschäftigt Leute, die fast täglich neue Varianten des Logos zeichnen. Es ist auch nicht so, dass man Journalismus bei Google nicht schätzt, schließlich lebt die Suchmaschine davon, dass Nutzer Texte suchen.

Eric E. Schmidt, einer der drei Chefs von Google, hat sich neulich öffentlich Sorgen um den Journalismus gemacht und betont, wie wichtig investigativer Journalismus für die Gesellschaft sei. Der New York Times sagte Schmidt, Google sei abhängig von hochwertigen Inhalten.

Dabei sehen Kritiker eine der Gefahren für den Journalismus bei Google. Der Konzern ziehe den Großteil der Werbegelder im Internet ab, produziere aber selbst keine Inhalte. Dessen ungeachtet setzen selbst Medienkritiker Hoffnungen auf Google: Seit die Unabhängigkeit der New York Times wieder und wieder durch Börsenspekulanten und Konkurrenten angegriffen wird, wird Google als möglicher Retter genannt: Wäre es nicht angebracht, dass die Stiftung von Google die Zeitung kauft und als gemeinnütziges Projekt weiter führt? Google ist angeblich nicht interessiert, Inhalte zu besitzen.

Wenn man den Beteiligten glauben darf, dann ist die Meldung über den Konkurs von United Airlines wie von Geisterhand aus dem Archiv an die Öffentlichkeit gelangt. Sie sprechen von einer unglücklichen Kettenreaktion. Vor sechs Jahren, als United tatsächlich Insolvenz meldete, hatte die Chicago Tribune darüber berichtet.

Das Onlinearchiv der Tribune ist auch von anderen Zeitungen des Verlags abrufbar, darunter der Sun Sentinel in Florida. Dort hat Sonntag Nacht nach 1.00 Uhr jemand den alten Artikel gelesen, berichtet die Chicago Tribune. Weil die Website um diese Zeit kaum besucht ist, listete sie den Text nach dem einmaligen Abruf bereits als eine der am meisten besuchten Geschichten im Wirtschaftsteil. Auf solche Links wiederum ist Google News programmiert.

Ein Suchprogramm von Google habe die Website kurz nach 1.36 Uhr durchforstet, die Geschichte über den Konkurs registriert und - weil der Archivtext kein Datum trug - ihn mit dem Datum 6. September 2008 versehen, schreibt die Chicago Tribune. All das geschah automatisch. Drei Minuten später habe der erste Besucher die Nachricht via Google News abgerufen.

"most viewed"

Den ganzen Sonntag über sei die Geschichte so oft abgerufen worden, dass sie weiter unter "most viewed" gelistet blieb. Dort entdeckte sie ein Mitarbeiter einer Investmentdienstleisters, der am Montag für den Finanzdienst Bloomberg einen Newsletter über in Konkurs gegangene Firmen verfasste. Dass United seit 2006 wieder zahlungsfähig ist, stand natürlich nicht in dem Bericht. Bloomberg verbreitete den Newsletter. So kam es zum Absturz der Aktie.

Google und Tribune beschuldigten sich gegenseitig. Ein Sprecher von Google erklärte, die Falschmeldung wäre nicht zustande gekommen, wenn der Verlag den Artikel klar datiert hätte. Ein Verlagssprecher betonte, schuld an der Falschmeldung sei die "Unfähigkeit des automatischen Google-Systems", neue von alten Artikeln zu unterscheiden.

Die Ironie der Geschichte, die kein Mensch aktualisiert, redigiert und auf der Website veröffentlicht hat, ist laut Wall Street Journal die, dass anschließend die Aktie von United an der Börse teilweise auch ohne Zutun von Menschen verkauft wurde - Computerprogramme stoßen verlustreiche Aktien angeblich von alleine ab. Die Enthüllung und ihre Konsequenz - alles lief vollautomatisch.

Dabei hätte ein Redakteur leicht Widersprüche finden können, behauptet die , denn die Leserreaktionen, die an die Geschichte angehängt waren, seien als aus dem Jahr 2002 kenntlich gewesen. Tribune betonte in einer Mitteilung: "Es sieht so aus als habe niemand, der die Geschichte weiter reichte, sich die Mühe gemacht, sie zu lesen." Roy Peter Clark, der am Poynter Institut Journalismus lehrt, sagt, solche Fälle würden sich wiederholen. Das liege an der größeren Geschwindigkeit des Nachrichtenbetriebs.

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