Süddeutsche Zeitung

Google:"Auch Ihre Oma muss verstehen, welche Daten wir sammeln"

Ein Gerät mit Mikrofon im Schlafzimmer? Google-Manager Rishi Chandra erklärt, wie er seine Frau von der Technik überzeugt hat und was Google tut, um Nutzer nicht gegen ihren Willen zu überwachen.

Interview von Simon Hurtz

Mitten im Interview schaltet sich das Smartphone von Rishi Chandra an. Als der Google-Manager erklären will, wie der Sprachbefehl "Hey Google" funktioniert, reagiert sein Handy. Das zeigt: Eine Welt voller Mikrofone und Kameras führt nicht zwangsläufig zu totaler Überwachung, birgt aber Risiken - selbst für einen Menschen, der sich so gut damit auskennen sollte, wie kaum jemand sonst.

Als Chef der Google-Nest-Sparte ist Chandra für alle Geräte zuständig, mit denen Google die Wohn- und Schlafzimmer erobern will. Das Unternehmen setzt darauf, dass Menschen ihr Haus künftig mit smarten Lautsprechern und Smart-Displays steuern werden. Im Interview erklärt Chandra, warum er das Wort "smart" eigentlich nicht mag und wie Google verhindern will, dass Menschen aufgezeichnet werden, die damit nicht einverstanden sind.

SZ: Herr Chandra, immer mehr Alltagsgegenstände heißen heute "smart". Überall verbergen sich Chips, Mikrofone und Kameras, die Daten sammeln, Geräusche aufzeichnen und Wohnungen überwachen. Was soll das bringen?

Rishi Chandra: Natürlich sagt niemand: Ich möchte unbedingt ein Mikrofon in meinem Wohnzimmer. Menschen kaufen sich smarte Gegenstände nur, wenn sie ihnen wirklich helfen. Smarte Lampen und Thermostate helfen, Strom zu sparen. Smarte Kameras helfen, das Haus zu sichern. Smart-Speaker helfen, alle anderen vernetzten Gegenstände mit der Stimme zu steuern. Das sind Produkte, die einen Mehrwert bieten und den Alltag einfacher machen.

Lichtschalter verbrauchen keinen Strom, sammeln keine Daten, lassen sich nicht hacken. Die Zukunft, in der sich alles per Touchscreen und App steuern lässt - ist das wirklich der Traum der Nutzer oder nicht eher der von Tech-Konzernen?

Kein Produkt ist erfolgreich, nur weil ein Unternehmen es unbedingt vermarkten will. Am Ende entscheiden immer noch die Kunden, was sie kaufen. Aber es stimmt schon: Viele Menschen sind noch skeptisch. Sogar meine Frau hat mich gefragt: Wozu brauchen wir diese smarten Dinge? Am Ende waren es kleine Alltagshandlungen, die sie überzeugt haben. Wenn wir "Gute Nacht" zu unserem Smart-Speaker sagen, gehen alle Lampen im Haus aus. Ein anderes Beispiel: Wir können das Licht abends automatisch anschalten, auch wenn wir nicht zu Hause sind. Das schreckt Einbrecher ab. Und wenn wir aus dem Urlaub zurückkommen, machen wir am Flughafen per App die Heizung an und müssen nicht frieren. Technik ist nicht nur Spielerei, sondern macht das Leben leichter.

Google hat kürzlich das Nest Hub Max vorgestellt, ein Smart-Display mit Kamera. Amazon und Facebook bieten ähnliche Geräte. Was ist, wenn meine Oma mich besucht? Sie hat den Nutzungsbedingungen von Google nicht zugestimmt und weiß vielleicht gar nicht, dass sie aufgezeichnet werden könnte. Wie verhindern Unternehmen, dass Menschen gegen ihren Willen überwacht werden?

Diese Frage ist für uns entscheidend. Wir wollen sicherstellen, dass alle wissen, wie unsere Produkte funktionieren. Unsere Smart-Speaker zeichnen erst dann auf wenn Sie das Gerät mit einem Sprachbefehl aktivieren. Bevor Sie "Hey Google" oder "Okay Google" sagen, werden keine Aufnahmen übertragen ...

(Chandra wird von einer Frauenstimme unterbrochen. Sie fragt, wie sie helfen kann. Mit dem Sprachbefehl "Hey Google" hat Chandra versehentlich den Google Assistant seines Handys aktiviert.)

... mein Smartphone hat auf das Hotword reagiert. Entschuldigen Sie! Was ich sagen wollte: Unser Ziel ist, dass Nutzer immer bewusst mit unseren Geräten interagieren. Sie sollen merken, wenn sie aufgenommen werden. Deshalb leuchten kleine LED-Lampen auf, sobald unsere Lautsprecher oder Displays aktiviert sind. Jedem muss klar sein, was passiert. Auch Ihre Oma muss verstehen, welche Daten wir sammeln.

Der virtuelle Assistent steht im Zentrum jedes neuen Google-Geräts. Damit er gut funktioniert, muss Google massenhaft persönliche Daten sammeln und auswerten. Kann ich den Assistenten nutzen, ohne meine Privatsphäre aufzugeben?

Sie haben Recht: Der Google Assistant funktioniert umso besser, je persönlicher er ist. Um wirklich zu helfen, muss er Kontext, Interessen und Vorlieben kennen. Die Kontrolle bleibt aber bei Ihnen: Sie können entscheiden, welche Informationen gesammelt und wie lange sie gespeichert werden. Mittlerweile können Nutzer auch einstellen, dass ihre Daten nach einer bestimmten Zeitspanne automatisch gelöscht werden. Wer Google-Geräte ins Schlafzimmer stellt, muss Vertrauen haben. Ohne Vertrauen sind die besten Produkte wertlos. Deshalb ist für uns wichtig, dass wir dabei absolut transparent sind und erklären, was wir aufzeichnen und auswerten.

Sobald eine Frage etwas komplizierter wird, antwortet mein Smart-Speaker: "Entschuldigung, dabei kann ich dir nicht helfen". Am Ende bin ich mit den Fingern auf meinem Smartphone fast immer schneller als mit meiner Stimme. Wann wird sich das ändern?

Lautsprecher ohne Display haben ihre Grenzen. Wir können die Antwort nur vorlesen. Wenn wir uns nicht sicher sind, was die richtige Antwort ist, müssten wir mehrere Antworten vorlesen, aber so viel Geduld hat niemand. Auf einem Display können wir einfach mehrere Webseiten oder Kalendereinträge zeigen, und der Nutzer wählt das Passende aus. Deshalb kommen Smart-Displays den Möglichkeiten des Smartphones schon viel näher als bloße Lautsprecher, weil wir darauf Ergebnisse optisch darstellen können. Als wir vor 20 Jahren mit der normalen Google-Suche angefangen haben, war das auch noch ziemlich rudimentär. Einige Suchabfragen liefern bis heute nicht das gewünschte Ergebnis. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber Smart-Speaker und Smart-Displays werden besser werden.

Erst kamen Smartphones, dann Smartwatches, jetzt gibt es smarte Lautsprecher und Displays. Welches Gerät ist als nächstes an der Reihe?

Ich glaube, dass es nicht mehr darum geht, eine neue Produktkategorie zu erfinden. All diese Geräte müssen noch besser werden, aber die wahre Innovation findet woanders statt: Die Technik muss reibungslos zusammenarbeiten. Lautsprecher, Heizung, Überwachungskamera, Türklingel und Kaffeemaschine: Diese Dinge kommunizieren im Hintergrund, ohne dass sich Nutzer darüber Gedanken machen sollen, wir genau das funktioniert. Die Revolution findet im Verborgenen statt. Technik integriert sich nahtlos in den Alltag. Sie sehen die Innovation nicht, Sie müssen sich nicht mehr damit beschäftigen.

Anfang Mai hat sich bei Google einiges geändert. Alle Produkte für das vernetzte Zuhause sollen unter der Dachmarke Nest gebündelt werden. Außerdem sprechen Sie nicht mehr vom Smart Home, sondern vom Helpful Home. Ist das mehr als einfach nur ein neuer Name?

Die Entscheidung steht für unseren grundlegenden Richtungswechsel. Der neue Ausdruck passt besser zur Art und Weise, wie wir denken und arbeiten. Denken Sie an Ihre erste Frage zurück: Niemand will Geräte, die einfach nur "smart" sind. Das allein ist kein Kriterium. Um Menschen zu überzeugen, müssen wir ihnen klarmachen, dass unsere Produkte ihnen helfen können, ihren Alltag einfacher zu machen. "Helpful" soll unsere DNA sein.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2019/sih
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