Google gegen China:Moment der Tapferkeit

Die chinesischen Blogger Michael Anti und Isaac Mao schreiben gegen die Zensur im Netz an. Googles Politik macht ihnen Hoffnung - doch an die Freiheit glauben sie nicht.

Johannes Kuhn

Isaac Mao wartet: Er sitzt gerade in der Abflughalle eines Flughafens in Kalifornien, bald soll sein Flieger nach Hongkong aufgerufen werden. Ständig rufen ihn Menschen an, Journalisten, Freunde - sie alle wollen wissen, wie er Googles Entscheidung bewertet, die Server seiner Suchmaschine künftig nach Hongkong zu verlegen, um so den Zensuranforderungen der chinesischen Behörden nicht Folge leisten zu müssen.

Dass er gerade heute nach Hongkong fliegt, ist nicht nur wegen des Google-Umzugs ein passender Zufall. Mao lebt zwischen den Welten: Als IT-Unternehmer und Risikokapitalgeber machte er sich in Shanghai einen Namen, doch inzwischen verbringt er immer mehr Zeit in den USA. Die Internetzensur in seinem Heimatland lernte er bereits früh kennen: Seit 2002 bloggt er, was ihm den Ruf einbrachte, der "erste Blogger Chinas" gewesen zu sein.

Doch in China können die Menschen seine Einträge bereits seit Jahren nicht mehr lesen. Dass die Behörden seine Seite blockieren, weil er dort mehr Meinungsfreiheit und Demokratie fordert, macht ihn wütend - und hat ihn inzwischen zu einem der prominentesten Kritiker der Zensurpolitik seines Landes werden lassen.

"Wenn Google rausfliegt, geht es nach Pjöngjang"

Bereits 2008 forderte Mao Google in einem offenen Brief auf, sich aus China zurückzuziehen. Nun überlässt das Unternehmen der Great Firewall die Zensur: Die Frage, ob heute ein guter oder schlechter Tag für die Internetfreiheit im Lande ist, kann er deshalb nicht eindeutig beantworten. "Google hat dem chinesischen Volk gezeigt, dass es wichtigere Dinge als Geld gibt", sagt er, "90 Prozent der chinesischen Internetnutzer werden von der Entscheidung nicht viel mitbekommen, aber die restlichen zehn Prozent schon. Und es werden mehr."

In der kleinen Gruppe Chinesen, die sich trotz aller Widerstände für ein ungefiltertes Netz einsetzen, weil sie von einem freien Internet träumen, erzählen sie sich einen Witz, sagt Mao: "Wenn man aus einem Zug einen Passagier mit Namen Google rausschmeißt, fahren alle anderen nach Pjöngjang:" Der traurige Scherz spiegelt den Zynismus wieder, zu dem chinesische Netz-Aktivisten inzwischen neigen: Pjöngjang ist Hauptstadt Nordkoreas - das dortige Regime verweigert seinen Bürgern seit Jahren den Zugang zum Internet.

Michael Anti ist optimistischer, der bekannte chinesische Blogger sitzt in seiner Wohnung in Peking und ist geradezu blendend gelaunt: "Das ist ein Moment der Tapferkeit, ein Weckruf an die chinesischen Internetnutzer, die Zensur zu erkennen", sagt er, "Google ist das erste Unternehmen, das sich wie eine Supermacht verhält, sie sind die Einzigen, die sich das erlauben können."

Mit US-Konzernen, die keine Supermacht sind, hat Anti seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht: Im Jahr 2005 löschte Microsoft auf Wunsch der chinesischen Regierung kommentarlos das Blog des Journalisten. Anti, der in Wirklichkeit Zhao Jing heißt und sich seit 1998 im Netz für Reformen im Land ausspricht, wurde mit seinem Blog zum Auslöser einer Wertedebatte: Die Frage, ob westliche Unternehmen die Zensurbemühungen Pekings um des Geschäfts willen unterstützen dürfen, hat seitdem nichts von ihrer Aktualität verloren.

Blumen für den Google-Chef

Freiheitskämpfer, das weiß auch Anti, sind die Google-Verantwortlichen nicht: Mit der Weiterleitung von google.cn nach google.com.hk brechen sie formal nicht ihr Versprechen, die chinesischen Suchresultate zu filtern - sie verwenden sie einfach nicht mehr und hoffen so, weiter im Land Geschäfte machen zu können. Für die Nutzer in China macht das nur einen geringen Unterschied: Nun blocken die Behörden mit ihren Schlagwortfiltern an den Netzknotenpunkten die Anfragen nach "Falun Gong" oder "Tian'anmen" eben selbst.

"Google hat sehr klug gehandelt", befindet Anti trotzdem, "wenn die Regierung die Hongkonger Seite blockiert, würde das nach einem Rachefeldzug aussehen und andere Internetunternehmen davon abschrecken, im Land zu investieren. Die Regierung hätte nicht viele Argumente für einen solchen Schritt - und an einer wirtschaftlichen Isolierung im IT-Bereich hat sie auch kein Interesse."

Auch wenn die These vielen weit hergeholt scheinen mag: Google hat wieder Bewegung in die Frage nach der Internetfreiheit in China gebracht, wenn auch vor allem im Ausland und vielleicht nur für wenige Tage. In einem Land, das seit Jahren ein strenges Regiment im Netz führt, reicht das: Chinesische Blogger, erzählt Anti, hätten zum Dank über das Internet Blumen an Google-Chef Sergey Brin geschickt. "36 US-Dollar hat das gekostet, aber das war es ihnen wert."

"Dann kann die Mauer fallen"

Dass andere westliche Unternehmen es Google nachtun werden und plötzlich im Verhältnis zu China Menschenrechte vor kommerzielle Interessen stellen, bezweifelt allerdings auch der optimistische Internetveteran: "Ich hoffe nichts, ich erwarte nichts", sagt er, und aus den Worten klingt die Müdigkeit eines Bloggers, dessen Einsatz im Kampf um die Meinungsfreiheit in keiner Relation zu den tatsächlichen Veränderungen steht.

Auf der anderen Seite des Pazifiks wartet Isaac Mao auf seinen Flieger und grübelt über die letzte Frage des deutschen Anrufers: Werden wir zu Lebzeiten noch ein ungefiltertes Internet in China sehen? "Ich stelle mir diese Frage seit Jahren", antwortet er zögernd, "ich selbst habe jetzt bereits die Freiheiten. Wenn wir diese nur ein paar Millionen von uns in China zeigen können, dann kann es wirklich passieren: Dann kann die Mauer fallen."

Etwas später bricht die Verbindung ab, vielleicht ein wichtiger Anruf, vielleicht darf Isaac Mao auch endlich in sein Flugzeug einsteigen, das ihn nach China bringt. In seine Heimat, in der das freie Internet auch nach dem "Moment der Tapferkeit" einzig in den Träumen einiger Idealisten existiert.

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