Süddeutsche Zeitung

Google-Führungswechsel:Die fünf Herausforderungen des Larry Page

Google-Gründer Larry Page übernimmt ein Unternehmen, das längst nicht mehr die Supermacht der Internetbranche ist. Viele wichtige Entscheidungen muss er bereits in den nächsten Monaten treffen.

Johannes Kuhn

Große Veränderungen verpacken Unternehmen meist in gute Nachrichten: Bei dem Wechsel an der Google-Spitze waren es die Zahlen des Internetkonzerns, die den Aktionären die Angst vor einer neuen Chefetage nehmen sollen: 8,44 Milliarden Dollar Umsatz im vierten Quartal 2010, ein Gewinn von 2,54 Milliarden - Google ist ein Goldesel, so die Botschaft.

Doch hinter den Zahlen verbirgt sich eine zweite Wahrheit: Den Großteil des Umsatzes erwirtschaftet Google immer noch im Suchgeschäft. Dort ist der Konzern unumstrittener Marktführer, zudem steht nicht zu erwarten, dass Internetnutzer plötzlich keine Suchanfragen mehr stellen - doch um die hohen Gewinnerwartungen der Aktionäre erfüllen zu können, muss der neue Google-Chef Larry Page sein Unternehmen in den nächsten Monaten breiter aufstellen.

Diese Strategie verfolgte auch Noch-CEO Eric Schmidt in der Vergangenheit - doch ambitionierte Google-Projekte wie der Kollaborationsdienst Wave oder das soziale Netzwerk Buzz scheiterten, die Einführung des TV-Internetdienstes Google TV musste verschoben werden. Auf Page warten deshalb eine Reihe von Aufgaben.

1. Den Facebook-Effekt stoppen

2010 kristallisierte sich ein Trend heraus: Wer im Internet etwas finden möchte, verlässt sich immer seltener auf Suchmaschinen, sondern häufig auf Empfehlungen. Allen voran das soziale Netzwerk Facebook ist der Ort, an dem Nutzer ihre Interessen miteinander teilen und damit für zielgerichtete Werbung interessant werden.

Ein derart ausführliches soziodemographisches Nutzerprofil bietet Google Werbekunden nicht, weshalb Facebook inzwischen ein Hauptkonkurrent des Konzerns ist. 2011 sollen neue soziale Funktionen an die Google-Profile angedockt werden. Nur wenn diese überzeugen, gibt es eine kleine Hoffnung, vom sozialen Austausch im Netz zu profitieren. Einen Facebook-Konkurrenten will Google allerdings nicht mehr bauen - diese Chance setzte das Unternehmen mit dem gescheiterten Netzwerk Google Buzz in den Sand.

2. Geodaten und Gutscheine: Neue Werbeformen integrieren

Der Marktanteil von Handys mit dem Google-Betriebssystem Android wächst rasant. Google profitiert davon, weil es auf den Smartphone-Displays ortsbezogene Anzeigen in der Suche oder in Android-Apps ausspielen kann. Allerdings wirken die herkömmlichen Text-Anzeigen dabei oft wenig einladend und gehen auf den kleinen Geräten unter - wenn es Google gelingt, neue Werbeformate zu entwickeln, könnte es vom Wachstum des mobilen Marktes stärker profitieren.

Wie neue Formen der Werbung aussehen, zeigen Dienste wie Groupon: Die Webseite lockt Nutzer täglich ortsbasiert mit Gutscheinen und speziellen Angeboten lokaler Händler, Restaurants oder Dienstleister. Auch Google war an Groupon interessiert, scheiterte aber mit einem Sechs-Milliarden-Dollar-Übernahmeangebot. Nun wird der Konzern einen eigenen Gutscheindienst ins Leben rufen, der nach Angaben des US-Technologieblogs Mashable Google Offers heißen wird. Mit Offers muss das Unternehmen Groupon möglichst schnell Marktanteile abnehmen, bevor der Konkurrent uneinholbar enteilt.

3. Das eigene Bezahlsystem attraktiv machen

Google hat einen eigenen App-Store für Android, kann aber anders als Apple bei iTunes damit kaum Umsätze generieren: Android bleibt bislang bei kostenpflichtigen Mini-Programmen hinter den Erwartungen zurück. Das liegt nicht nur an der Qualität der Anwendungen, sondern an Google Checkout. Der Bezahldienst ist für Kunden bislang nicht besonders attraktiv.

Besonders schmerzen dürfte dies Page und Co, wenn Amazon im Laufe des Jahres seinen eigenen Android-Store an den Start bringt: Der Online-Versandhändler besitzt bereits die nötige Bezahlstruktur und genügend Kunden, um Bezahl-Apps zum Durchbruch zu verhelfen - und einen Umsatzanteil an den Verkäufen zu kassieren, den Google auch gerne erhalten hätte.

Google könnte reagieren, indem es ein Downloadangebot für Musiktitel mit Streaming-Option startet. Allerdings ziehen sich die Verhandlungen mit der Musikindustrie hin, zudem wird auch von Apple ein solcher Schritt erwartet.

4. Die Google-Bürokratie entflechten

Sheryl Sandberg, Matthew Papakipos oder Lars Rasmussen sind Namen, die außerhalb des Silicon Valley kaum bekannt sind. Sie stehen aber für eine weitere Folge des Facebook-Effekts: Diese wichtigen Mitarbeiter aus der zweiten Google-Reihe haben Google verlassen, um bei Mark Zuckerbergs sozialem Netzwerk anzuheuern.

Dass Google nicht mehr als Traum-Unternehmen gilt, hat mit seiner Schwerfälligkeit zu tun: Unter Eric Schmidt wuchs nicht nur das Unternehmen, auch die Hierarchien wurden steiler. Viele altgediente Mitarbeiter sahen keine Perspektiven mehr, neue Projekte zu verwirklichen. "Eines meiner wichtigsten Ziele ist es, Google zu einem großen Unternehmen zu machen, das mit der Gewandtheit, der Seele, der Leidenschaft und der Schnelligkeit eines Start-ups agiert", hat Neu-Chef Page deshalb bereits in einem Interview mit der New York Times verlauten lassen. Allerdings muss der Google-Gründer bei aller Experimentierfreude einkalkulieren, dass jedes fehlgeschlagene Projekt dem Ruf und damit dem Aktienkurs der Firma schadet.

5. Ein neues Image für Larry Page finden

Anders als Mitgründer Sergey Brin gilt Larry Page als öffentlichkeitsscheu und wenig beschlagen in Sachen Marketing. Legendär ist eine Ansage, die er angeblich 2008 Googles PR-Abteilung machte: Nur acht Stunden im Jahr, erklärte Page den verdutzten Mitarbeitern, würde er sich um Pressekonferenzen, Reden oder Interviews kümmern.

Als Chef eines großen Unternehmens wird er damit nicht durchkommen, zumal im Silicon Valley die Fähigkeit, in Produktpräsentationen zu begeistern, fast genauso wichtig für den Ruf ist wie korrekte Strategieentscheidungen. Bereits jetzt bemängeln erste IT-Blogger, Page sei bislang ein Kommunikationsverweigerer gewesen und deshalb für den Job kaum geeignet.

Auch die Börsen zeigten sich vom Wechsel an der Spitze bislang wenig begeistert, der Kurs ging kurz nach der Bekanntgabe nach unten. Noch-CEO Eric Schmidt gilt trotz strategischer Fehler als pragmatischer Manager, der routiniert Bündnisse und Kooperationen schmiedete. Larry Page hingegen ist im operativen Bereich ein unbeschriebenes Blatt. Allerdings hat er einen Vorteil: Er steht für den Mythos des Gründungs-CEOs, den das Silicon Valley so liebt.

Diesen repräsentiert in der Branche derzeit niemand so stark wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Anders als die Google-Gründer ist er längst Teil der Pop-Kultur: Sein Werdegang wurde bereits im Hollywood-Streifen The Social Network thematisiert, 2010 wählte ihn das Magazin Time zur Person des Jahres.

Von April an darf Larry Page zeigen, ob er dem Aufsteiger gewachsen ist.

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