Online-Werbung:Google sperrt die Schnüffler aus

Online-Werbung: Googeln auf dem Smartphone - egal was gesucht wird, die Chrome-Nutzerinnen und -Nutzer hinterlassen immer Spuren.

Googeln auf dem Smartphone - egal was gesucht wird, die Chrome-Nutzerinnen und -Nutzer hinterlassen immer Spuren.

(Foto: AFP)

Der Internetkonzern will bald bestimmte Cookies im Chrome-Browser blockieren und begründet das mit dem Schutz der Privatsphäre. Eigentlich eine gute Nachricht, doch Konkurrenten wüten und Kartellwächter ermitteln.

Von Simon Hurtz

Die nüchterne, etwas technische Beschreibung geht so: Google wird in seinem Chrome-Browser Drittanbieter-Cookies blockieren. Die ökonomische Folgenabschätzung klingt schon spannender: Google stellt eine Branche auf den Kopf, die jedes Jahr Hunderte Milliarden Dollar umsetzt. Und dann gibt es noch die Erklärung, die auch Menschen verstehen, die sich nicht beruflich mit Online-Werbung beschäftigen: Bald entscheidet sich, ob und wie Nutzerinnen und Nutzer künftig im Netz überwacht werden.

Um zu verstehen, warum Googles Pläne so große Auswirkungen haben könnten, hilft eine analoge Metapher: Frau Ceylan möchte sich neue Laufschuhe kaufen und geht in ein Sportgeschäft. Eine Horde Privatdetektive belauscht das Gespräch mit dem Verkäufer und registriert jedes Paar, das sie anprobiert. Außerdem wissen ihre Begleiter, dass Ceylan mit ihrer Partnerin ein Kind adoptieren will. Sie verfolgen sie nämlich nicht nur beim Einkaufen, sondern rund um die Uhr. Was die Detektive sehen und hören, geben sie an ein riesiges Netzwerk aus Marketingexpertinnen und Werbeverkäufern weiter. Deshalb sieht Ceylan bei jeder Gelegenheit Anzeigen für Turnschuhe und Windeln: im Fernsehen, in der Zeitung, in der U-Bahn. Sogar kurz vor dem Einschlafen flüstert ihr jemand ins Ohr: Wie wäre es mit Pampers?

Was nach einem Horrorszenario klingt, ist im Netz längst Realität. Fast jede Webseite speichert kleine Dateien auf den Rechnern der Nutzerinnen und Nutzer. Diese Cookies können praktisch sein, sonst müsste man sich zum Beispiel bei jedem Besuch neu anmelden. Doch die Betreiber platzieren auch Cookies von Dritten. Diese Unternehmen wollen so viele Daten wie möglich sammeln, auf dieser Grundlage Nutzerprofile bilden und dann passende Werbung verkaufen.

Der größte Werbeverkäufer der Welt: Google

Die meisten Menschen ahnen nichts von der gewaltigen Maschinerie, die das kommerzielle Rückgrat des World Wide Web bildet. Werbenetzwerke durchziehen mit ihren Cookies und Trackern einen Großteil der Webseiten. Dazu zählen Start-ups, die mit windigen Werbeversprechen locken und die Daten meistbietend verkaufen. Meist wird aber mit Aufmerksamkeit gehandelt. Ihren Datenschatz behalten die Unternehmen für sich und verkaufen lieber das Versprechen, mit Anzeigen Menschen zu erreichen, die sich angeblich dafür interessieren. Zwei Konzerne, die das Geschäft mit digitaler Werbung perfektioniert haben, sind Facebook und Amazon. Doch niemand sammelt, vermarktet und verdient annähernd so viel wie Google.

Ausgerechnet der erfolgreichste Werbekonzern der Welt strebt nun "ein gesundes und florierendes Web mit umfassendem Datenschutz" an, wie es in einem Konzeptpapier heißt. Menschen fürchteten sich vor Überwachung, schrieb Google-Manager David Temkin kürzlich in einem Blogeintrag: "Wenn digitale Werbung diese Sorgen nicht ernst nimmt, riskieren wir die Zukunft des freien und offenen Webs." Google werde von 2022 an nicht nur Drittanbieter-Cookies verbannen, wie bereits angekündigt, sondern auch keine anderen Methoden entwickeln, um Nutzerinnen und Nutzer im Netz zu verfolgen.

"Google betreibt ein Bordell, will aber einem Chor beitreten"

Firefox und Safari haben längst ähnliche Maßnahmen umgesetzt, doch Chrome dominiert den Browser-Markt und gibt die Richtung vor. Die Werbeindustrie ist deshalb in Aufruhr. Es geht um Dutzende Milliarden Dollar und die Existenz etlicher Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Tracking beruht. Manche wittern Scheinheiligkeit: "Google betreibt ein Bordell, will aber einem Chor beitreten", beklagt etwa Oracles Vizechef Ken Glueck. Die Wutrede ist mit einem Wortspiel überschrieben, das die Stimmung in der Branche widerspiegelt: "We're all FLoCed".

FILE PHOTO: A Google sign is seen during the WAIC (World Artificial Intelligence Conference) in Shanghai

Schön bunt: Der Schriftzug von Google.

(Foto: Aly Song/REUTERS)

Der Neologismus, den Glueck statt des F-Worts nutzt, steht für Federated Learning of Cohorts, kurz FLoC. So nennt Google das Konzept, mit dem es Drittanbieter-Cookies ablösen will. Künftig sollen nur noch die Seitenbetreiber erfahren, wer ihr Angebot aufruft. Die Daten landen nicht bei Werbenetzwerken, sondern werden lokal im Browser gespeichert. Chrome fasst Menschen mit ähnlichen Interessen dann in Gruppen zusammen, auf deren Grundlage Werbung ausgespielt werden kann. Diese Kohorten sollen groß genug sein, um Anonymität zu gewährleisten. Nicht nur Oracle wütet gegen diese Pläne. Der deutsche Verlegerverband BDZV wirft Google vor, seine Marktmacht zu missbrauchen. Die Bürgerrechtsorganisation EFF spricht von einer "schrecklichen Idee". Politikerinnen und Politiker warnen, dass es Google in erster Linie darum gehe, seine eigene Dominanz zu stärken. In den USA und Großbritannien ermitteln deshalb bereits Kartellbehörden.

Wer will schon ständig Windelwerbung sehen?

Google sagt, es nehme diese Kritik ernst. Konkurrenten mutmaßen, dass Google FLoCs einführe, weil es selbst gar nicht mehr auf Drittanbieter-Cookies angewiesen sei - andere Unternehmen aber schon. Tatsächlich werfen die Suche, Gmail, Maps und das Android-Betriebssystem so viele Informationen ab, dass Google auch ohne Tracking nicht um sein Datenmonopol fürchten muss. Das sei aber nicht der Grund für die Entscheidung gewesen, beteuert Google. Es gehe darum, den Wunsch nach Privatsphäre zu erfüllen.

Unabhängig von Googles Motivation wäre ein Netz ohne Drittanbieter-Cookies für die meisten Menschen eine gute Nachricht. An einem der Grundübel des Überwachungskapitalismus ändert das nichts: dem Irrglauben, dass personalisierte Anzeigen der heilige Gral der Online-Werbung sind. Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass kontextbasierte Werbung besser funktionieren kann als verhaltensbasierte. Die Anzeigen werden dann nicht auf die vermuteten Interessen der Besucher und Besucherinnen zugeschnitten, sondern orientieren sich am Inhalt der Webseite.

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Wenn Frau Ceylan ein Sportgeschäft betritt, sähe sie Werbung für Laufbekleidung. Während sie sich über Wickeltechniken informiert, erhielte sie Angebote für Babynahrung. Diese Anzeigen basierten aber nicht auf ihrem früheren Verhalten, Dutzende Privatdetektive wären arbeitslos. Und die deplatzierten Anzeigen hätte auch ein Ende: Wer will schon ständig Windelwerbung sehen?

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