Gleichberechtigung im Internet:Warum das Netz neue feministische Strategien braucht

Der Feminismus hat bislang kaum von der digitalen Revolution profitiert. Wer sich als Frau positioniert, muss nicht selten mit persönlichen Attacken rechnen. Weil das Internet der Gesellschaft In Sachen Gleichberechtigung keinen Schritt voraus ist, müssen Frauen damit beginnen, die Online-Diskurse wirklich aktiv mitzubestimmen.

Antonia Kurz

Das Internet kann helfen, die Welt zu verändern. Warum nicht auch einem weiteren schwierigen Projekt neues Leben einhauchen? Feministinnen setzen ihre Hoffnungen seit einiger Zeit auf die Digitalisierung, um der ins Stocken geratenen Emanzipierung der Frau auf die Sprünge zu helfen.

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Das Internet ist heute überall ansteuerbar - doch für Frauen ist es kein Paralleluniversum, in denen die Mechanismen des Geschlechter-Zusammenlebens außer Kraft gesetzt wurden.

(Foto: dpa)

Die diesjährige DLD Women Konferenz unter der Schirmherrschaft des Burda-Verlags etwa widmete sich ganz diesem Thema. Und die Emma brachte ein Dossier heraus unter dem Titel "Feminismus 2.0".

Frauen, an die Tasten - auf den ersten Blick ergibt die Strategie Sinn. Das weibliche Geschlecht nutzt das Internet mittlerweile fast so intensiv wie das männliche. Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2011 sind 68 Prozent der deutschen Frauen und 78 Prozent der deutschen Männer regelmäßig im Netz. 100 Prozent der Jungen und Mädchen zwischen 14 und 20 Jahren surfen, chatten und bloggen. "Die Anfänge des Internets prägten die Männern, mittlerweile haben die Frauen nachgezogen", sagt die Hamburger Soziologin Tanja Carstensen.

Doch auch das Internet ist kein Paralleluniversum, in dem die Mechanismen, die in der Gesellschaft das Zusammenleben der Geschlechter regeln, außer Kraft sind. Der Netz-User verfügt nicht über ein digitales und ein reales Ich, die sich im Online-Diskurs unterscheiden.

Blogs sind weiblich, bekannte Blogger meist männlich

Wer im echten Berufsleben Scheu empfindet, ein berufliches Netzwerk aufzubauen und zu nutzen, wird dabei online kaum erfolgreicher sein. "Nur ein Drittel unserer Mitglieder ist weiblich und Frauen pflegen ihre beruflichen Kontakte weniger intensiv", bedauert Angela Rittig, Expertin für "Frauen und Netzwerke" bei Xing, einer großen deutschen Online-Plattform für Geschäftskontakte.

Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger von der Universität Hamburg beobachtet die Entwicklung von Weblogs. Seine Ergebnisse zeigen, dass in zahlreichen europäischen Ländern rund zwei Drittel der Blogs von Frauen geschrieben werden. In der Tradition des Tagebuchs berichten Frauen über ihre letzte Urlaubsreise oder Modetrends. "Bloggen ist eigentlich eine Frauendomäne", sagt Schönberger.

Geht es jedoch um die Währung Aufmerksamkeit, sind wieder die Männer erfolgreicher. Unter den meistbesuchten Blogs sind die, die von Männern unterhalten werden, überrepräsentiert. Diese Männer werden dann wiederum als Netz-Experten nachgefragt.

Wenn also auch die Netzkultur als männerdominiert wahrgenommen wird, stecken Frauen in demselben Dilemma, das sich in jeder Unternehmenskonferenz offenbart: Sie fühlen sich weniger ermächtigt zu sprechen, doch solange sie nicht die Stimme erheben, ändert sich nichts an der Machtverteilung.

Aber was beschäftigt die Frauen im Netz, wenn sie die Themen Politik und Wirtschaft meiden? Auf der Videoplattform YouTube liefert das Suchwort "Kosmetik" eine Antwort. Eine stattliche Anzahl von Video-Bloggerinnen diskutiert zum Beispiel über die Wirkung von Shampoos. Diese "Kosmetik-Gurus" verbleiben zwar innerhalb der traditionell weiblich besetzten Sphäre der Körperpflege und werden kaum zu Leitfiguren beider Geschlechter.

Immerhin aber ebnen sie als kritische Konsumentinnen ihren Geschlechtsgenossinnen unbewusst den Weg in die Marketingabteilungen. Weil Frauen über rund 80 Prozent der Einkäufe entscheiden, setzen Unternehmen zunehmend darauf, dass Mitarbeiterinnen die Bedürfnisse der Kundinnen besser einschätzen können als ihre männlichen Kollegen.

Die feministische Netzkultur sieht sich dagegen immer wieder heftigen anonymen Attacken ausgesetzt. Die Autorin Anne Berg hat den Umgang mit sexistischen Kommentaren zum Thema eines Blogeintrags auf Mädchenmannschaft.net gemacht: "Ich seufze und drücke 'löschen'. Es ist kurz nach Mitternacht und eigentlich wollte ich gerade ins Bett gehen. Das muss jetzt aber noch einen Moment warten, denn inzwischen weiß ich: Wo so ein Kommentar ist, da lauern noch andere und gerade zu nächtlicher Stunde fallen die Hemmungen besonders schnell."

Berg glaubt, dass der Sexismus junge Bloggerinnen einschüchtern kann. "Dreißig Kommentare mit Vergewaltigungsszenarien muss man erst einmal aushalten können", sagt sie.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht von Enthemmungseffekten: "Man hat keine direkten Kontakte zu denen, die man diffamiert, erlebt ihr Leid nicht mit und muss nicht sehen, was man womöglich auslöst." Die Autorinnen sind nun zum Gegenangriff übergegangen. Auf der Webseite hatr.org werden die schlimmsten Kommentare veröffentlicht.

Diskurs als Herausforderung

In Sachen Gleichberechtigung ist das Internet der Gesellschaft keinen einzigen Schritt voraus. Vielmehr scheint es so, als ob Frauen auch online die Herausforderung annehmen müssen, die großen Diskurse wirklich aktiv mitzubestimmen.

Zwei Wege stehen ihnen dabei offen: Sie können die männlichen Strategien kopieren, um Erfolg zu haben. Oder sie verändern die Maßstäbe, an denen Erfolg gemessen wird. Ob Frauen den Willen und die Kraft dazu aufbringen können, wird sich zeigen. In der Gesellschaft - und im Netz.

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