Gewalt in Computerspielen:Nach dem Spiel ist vor dem Kampf

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Machen Gewaltspiele am Computer aggressiv? Neueste Studien aus den USA und Deutschland liefern stichhaltige Beweise.

Helmut Martin-Jung

Szenen, die das Blut in den Adern gefrieren lassen, festgehalten mit Überwachungskameras: Zwei junge Männer nähern sich von hinten einem Rentner, schlagen ihn nieder, nehmen Anlauf und treten mit dem Fuß nach dem Kopf des am Boden liegenden Mannes.

Tekken: Sozialwissenschaftler sehen einen klaren Zusammenhang zwischen Gewalt-Spielen und Agression. (Foto: Foto: dpa)

Kommt es zu solchen Ausbrüchen jugendlicher Gewalt wie vor einem knappen Jahr in der Münchner U-Bahn, wird in der Öffentlichkeit reflexartig auch über den Einfluss sogenannter Killerspiele geredet. Bei einem Kongress zum Thema "Computerspiele und Gewalt" trafen sich an der Hochschule München am Donnerstag Sozialwissenschaftler aus Deutschland und den USA, um die jüngsten Studien und Erkenntnisse zu bündeln.

Die wichtigsten Ergebnisse lauten: Ja, Kinder, die Gewaltspiele nutzen, zeigen nach einiger Zeit signifikant mehr Neigung zu gewalttätigem Verhalten und schneiden in der Schule schlechter ab. Aber der Konsum von Ballerspielen allein macht niemanden zum Täter; er ist einer von vielen Einflussfaktoren, wenn auch ein wichtiger.

Doch kann die Sozialforschung überhaupt verlässliche Aussagen darüber treffen, ob es einen ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen Computerspielen und Neigung zur Gewalt? Ist es nicht vielmehr so, dass junge Menschen, die ohnehin eine Veranlagung zur Aggressivität haben, eben auch eher gewaltverherrlichende Medien nutzen?

In der Wissenschaft wird diese Hypothese unter dem Stichwort Medienselektion diskutiert. Die Forscher auf dem Münchner Kongress allerdings zählen sich explizit zur anderen Richtung, die von einer Medienwirkung ausgeht - eine Hypothese, für die sie mit statistischen Verfahren Belege sammeln: "Wir wissen sehr genau, wie wir etwas herausbekommen", warb der Regensburger Psychologe Helmut Lukesch um Vertrauen in die Methoden der empirischen Sozialforschung, "wir sind nicht hilflos."

Wie Rauchen und Lungenkrebs

Vor allem zwei Arten der Datenerhebung liefern Lukesch zufolge besonders wertvolle Ergebnisse. Zum einen die sogenannten Längsschnittanalysen, bei denen die untersuchten Personen zwei- oder mehrmals befragt werden. Zum anderen werden bereits ausgeführte Studien noch einmal ausgewertet und mit anderen verglichen - die Forscher sprechen dann von Meta-Analysen. Lukeschs Fazit: "Je besser kontrolliert die Studien waren, desto größer zeigen sich die Effekte."

Die negative Wirkung von Gewaltspielen also habe sich gerade mit denjenigen Studien am klarsten nachweisen lassen, die methodisch am saubersten waren. Seine Zahlen führen Lukesch zu dem Schluss, dass ein ähnlich starker Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und späterer Aggressivität besteht wie zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Zwar wirkten sich auch Geschlecht, Alkoholmissbrauch, die soziale Schicht und andere Faktoren auf die Neigung zur Gewalt aus, aber eben weniger stark als Computerspiele.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen auch neuere Studien. Vier davon wurden in München vorgestellt. Ingrid Möller, Psychologin an der Universität Potsdam, zeigte mit drei Studien, wie durch Konsum von Mediengewalt das Aggressionspotential steigt, gleichzeitig aber die Fähigkeit zum Mitleiden sinkt. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Thomas Mößle vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, der Grundschüler untersucht hat.

Auf der nächsten Seite: Wie die Aggressivität der Spieler getestet wird.

Gewaltätige Plüschfiguren

Sind Computerspiele also Teufelszeug? Man müsse sie, so der amerikanische Medienforscher Douglas Gentile von der Iowa State University, sehen als ob sie Lehrkräfte wären: "Die Kinder lernen, was diese ihnen vorgeben." Dabei, so Gentile, gehe es mehr um den Inhalt als um die Form.

"Gewalt ist, wenn man anderen absichtlich Schaden zufügt." Das aber gebe es in 91 Prozent aller Spiele auf dem Markt, "auch wenn das oft knuffige Figuren vor bunten Hintergründen sind und eine lustige Musik dazu spielt". Als gewaltverherrlichend müsse man Spiele dann einstufen, wenn sie die Anwendung von Gewalt belohnten. "Der Inhalt ist wichtig, nicht, ob Blut spritzt."

Gentile und sein Team in Iowa haben Hunderte von Studien zu dem Thema analysiert. Das Fazit war stets das gleiche: Bei Kindern, die solche Spiele spielen, findet sich durchschnittlich eine höhere Neigung zu aggressivem Verhalten als bei anderen und sie empfinden im Gegenzug weniger Mitleid für andere.

Gentile berichtete von einem Versuch, bei dem Schüler, die zuvor ein Gewaltspiel gespielt hatten, aufgefordert wurden, angebliche Gegner mit einem lauten, per Kopfhörer eingespielten Tonsignal zu bestrafen, wenn diese bei einer Aufgabe einen Fehler gemacht hatten.

"Wer Gewaltspiele spielt, sieht die Welt als Feind an"

Die Lautstärke durften sie bestimmen. Obwohl die Kinder wussten, dass die Maximallautstärke schmerzhaft war, entschieden sich viele Computerspieler für hohe Lautstärken. In der Vergleichsgruppe, die ein gewaltloses Spiel vorgesetzt bekommen hatte, zeigte sich dieses Verhalten nicht.

"Wer Gewaltspiele spielt, sieht die Welt als Feind an", fasste Gentile zusammen, "er streitet mehr mit Lehrern, prügelt sich häufiger und hat schlechtere Noten." Bei seinen Untersuchungen hätten ihm Lehrer von Schülern berichtet, die sich zunehmend aggressiver verhalten hätten. Obwohl die Lehrer nicht wussten, wer von den Kindern in welchem Maß Gewaltspiele spielt, zeigte sich, dass ein starker Zusammenhang bestand. Allerdings machte Gentile auch klar, dass Gewaltspiele nur einer von möglicherweise hundert oder mehr Einflussfaktoren seien.

Der bayerische Schulpsychologe Werner Hopf hat für seine Forschungen nicht bloß den Einfluss von Gewaltspielen untersucht, sondern auch den von Gewaltfilmen sowie von Horrorfilmen. Der Konsum solcher Medien insgesamt habe einen nachhaltig schlechten Einfluss auf Heranwachsende, den stärksten Zusammenhang allerdings gebe es zwischen der Neigung, Straftaten zu begehen und Gewaltspielen am Computer.

Kinder, die Horrorfilme mit Gewaltszenen sehen, fallen dagegen mehr durch Gewalt in der Schule auf. Kinder mit medialer Gewalt zu konfrontieren, hält Hopf für "psychischen Faschismus". Um ihn zu bekämpfen, müssten Eltern ihren Kindern Grenzen setzen, dürften ihnen keine eigenen Fernseher oder Computer ins Zimmer stellen und sollten öfter etwas mit ihnen unternehmen.

Doch etwa die Hälfte aller Eltern in Deutschland nehme sich nicht einmal die Zeit, den Medienkonsum ihrer Kinder zu überwachen. Als er in der Münchner Trabantensiedlung Neuperlach das Projekt "medienfreie Woche" startete, "haben am meisten die Eltern protestiert", berichtet Hopf. "Schüler haben mir dann erzählt: am Wochenende war ich zum ersten Mal überhaupt im Wald."

© SZ vom 21.11.2008/heh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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