Süddeutsche Zeitung

Geheimes Facebook-Dokument:Facebook hilft angeblich Werbekunden, gezielt verunsicherte Jugendliche anzusprechen

  • Facebook widerspricht den Vorwürfen, dass die Plattform seinen Werbekunden dabei helfe, gezielt Anzeigen für verunsicherte, junge Menschen zu schalten.
  • Die australische Tageszeitung The Australian hatte die Vorwürfe erhoben und sich dabei auf ein 23-seitiges, geheimes Dokument von Facebook berufen.
  • Erst im vergangen Herbst hatten Journalisten Facebooks Werbepraktiken kritisiert.

Von Caspar von Au

Angeblich können Werbetreibende auf Facebook gezielt Werbung für junge Menschen mit geringem Selbstwertgefühl schalten. Das berichtet zumindest die australische Tageszeitung The Australian. Die Journalisten berufen sich dabei auf ein geheimes, 23-seitiges internes Dokument von Facebook, das der Zeitung vorliegen soll.

Das Dokument beschreibe, wie Facebook Algorithmen nutze, um die Emotionen junger Australier in Echtzeit zu analysieren, heißt es in dem Artikel. Dies geschehe, indem eine Software die Posts, Bilder, Interaktionen und Aktivitäten seiner Nutzer auf Facebook analysiere. Der zentrale Vorwurf des Artikels: Facebook vermarkte die Gefühle von verunsicherten jungen Menschen, die sie in dem Sozialen Netzwerk preisgeben. Mit Zitaten aus dem Dokument unterstreichen die Autoren den Vorwurf: Momente, in denen sich die Jugendlichen besonders "gestresst", "nervös", "dumm", "unsicher" und "nutzlos" fühlen, so soll es in dem Dokument stehen, könnten gezielt von werbetreibenden Unternehmen ausgenutzt werden. Und zwar zu dem Zweck, die jungen Menschen mit Anzeigen anzusprechen, deren Angebote ihr Selbstvertrauen stärken - genau dann, wenn sie das am dringendsten benötigen.

Das Dokument soll zeigen, wie sich Facebook Einblicke über das psychologische Innenleben von rund 6,4 Millionen Schülern, Studenten und jungen Arbeitnehmern in Australien und Neuseeland verschafft, um zielgerichtete Werbung zu platzieren. Als Verfasser nennt The Australian zwei Manager bei Facebook Australia, David Hernandez und Andy Sinn.

Facebook entschuldigt sich erst, weist später die Vorwürfe zurück

Als die Zeitung Facebook konfrontierte, entschuldigte sich das Unternehmen zunächst: Man werde die Vorfälle untersuchen und disziplinarische Maßnahmen ergreifen. In einem offiziellen Statement ruderte das Unternehmen später zurück. Der Artikel sei irreführend: Tatsächlich führe ein australisches Unternehmen im Auftrag von Facebook eine Untersuchung durch, die Vermarktern helfen solle herauszufinden, wie Facebook-Nutzer ihre Emotionen ausdrücken. Jedoch sei die Analyse niemals genutzt worden, um zielgerichtete Werbeanzeigen zu schalten.

Die Daten, auf denen die Analyse basiert, seien anonym erhoben worden. Allerdings gibt Facebook zu, dass die Untersuchung nicht den Leitlinien für Forschungsprojekte des Unternehmens entspreche und Fehler detailliert aufgearbeitet werden sollen. Diese Stellungnahme wollte Facebook auf SZ-Anfrage nicht weiter kommentieren. Ein Unternehmenssprecher versicherte aber, dass es keine derartige Forschungsprojekte "in unserer Region" gäbe.

Auch wenn Facebook damit die kommerzielle Nutzung von Gefühlen einer verwundbaren Nutzer-Gruppe abstreitet und ein nicht-kommerzielles Forschungsinteresse in den Vordergrund stellt, sollten Nutzer das Thema ernst nehmen. Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sagt, das Beispiel zeige, wie weitreichend Informationen sind, die Nutzer indirekt durch ihre Aktivitäten in Sozialen Netzwerken preisgeben. "Vielleicht hilft es, sich vor Augen zu halten, dass nicht die Nutzer Facebooks wirkliche Kunden sind", sagt Diefenbach. "Die Kunden, an denen Facebook verdient, sind Werbepartner." Es sei also nur logisch, dass Facebook darüber nachdenke, wie man die Nutzer zu Kunden der Werbepartner mache.

Wohnungsanzeigen nur für weiße Facebook-Nutzer

Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook aufgrund seiner Werbepraktiken in der Kritik steht: Im Oktober 2016 berichtete das US-amerikanische Investigativ-Portal Pro Publica, werbetreibende Unternehmen könnten in dem Sozialen Netzwerk bestimmte ethnische Gruppen von Anzeigen ausschließen.

Im konkreten Fall konnten die Journalisten vor dem Schalten einer Anzeige für Wohnungen alle Facebook-Nutzer ausklammern, die eine "Affinität" gegenüber Afroamerikanern, asiatischen Amerikanern oder Hispanics zeigten. Im Februar gab Facebook daraufhin bekannt, dass ein automatisches System Vermarkter künftig daran hindern soll, bestimmte ethnische Gruppen von Werbeanzeigen für Wohnraum, Jobangebote und Kredit auszuschließen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3486472
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/sih/stein
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.