Süddeutsche Zeitung

Gaming Sickness:Spielen bis der Schwindel kommt

Sprünge von Dach zu Dach oder Missionen im Ego-Shooter: Konsolen- und PC-Spiele sind inzwischen so realistisch, dass manchen Gamern beim Spielen übel wird. Nicht einmal routinierte Spieleentwickler bleiben von der Gaming Sickness verschont.

Von Christina Metallinos

In unserer Rubrik Spielewiese befassen wir uns mit Aspekten der Gaming-Kultur, die über die reine, klassische Rezension von einzelnen Games hinausgehen. Von Drehbuchautoren für Games bis hin zu gerappten Spiele-Rezensionen ist alles dabei. Dieses Mal: Gaming Sickness.

Nach zehn Minuten ist der Spaß am Zocken auch schon wieder vorbei. ganz egal, wie groß die Vorfreude auf das neue Spiel gewesen ist. Stattdessen herrschen Übelkeit und Schwindel, als befände man sich bei Windstärke 10 auf einem Frachtschiff mitten im Atlantik. Das Phänomen heißt Gaming Sickness und betrifft viele Spieler auf der ganzen Welt.

Dr. Behrang Keshavarz forscht auf dem Gebiet und sagt: "Die Symptome ähneln denen der klassischen Reisekrankheit, obwohl keine wirkliche Bewegung stattfindet". Fast jeder kenne das, "typische Symptome sind Blässe, Schwitzen, Müdigkeit, Übelkeit oder Erbrechen."

Alle Situationen haben ein Grundproblem gemeinsam: Sie verwirren den menschlichen Körper. Denn während das Auge signalisiert, dass sich der Mensch bewegt, meldet das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, dass derjenige eigentlich ruhig auf seinem Platz sitzt - und die vorgegaukelte Bewegung eigentlich nicht möglich ist.

Wackeln und Trudeln inklusive

Nicht alle Spielgenres verursachen deshalb gleich stark Gaming Sickness. Besonders die Spieler von Ego-Shootern und anderen Spielen in der Ich-Perspektive sind betroffen. So etwa das Spiel "Mirror's Edge", in dem die Spielfigur wie ein Parcour-Sportler von Hausdach zu Hausdach springt - Wackeln und Trudeln inklusive. Dabei unterscheidet sich "Mirror's Edge" von anderen Spielen in Ich-Perspektive, schrieb etwa Wired-Autor Clive Thompson 2008.

So kann man in "Mirror's Edge" nicht nur seine Umgebung, sondern andere Körperteile des Spielcharakters in Bewegung sehen. "Wenn du rennst, siehst du, wie sich deine Hände vor dir heben und senken. Wenn du springst, ragen deine Füße kurz in dein Sichtfeld - genauso, als würdest du im echten Leben über eine Hürde springen." Wie das aussieht, zeigt der offizielle Trailer des Herstellers EA:

Gaming Sickness wurde für "Mirror's Edge" zum Problem. "Deshalb haben die Entwickler einen Trick angewandt", sagt Psychologe Behrang Keshavarz. Sie hätten einen kleinen, durchsichtigen Fixpunkt in die Mitte des Bildschirms eingebaut, der Gaming Sickness verringern soll. "Tatsächlich haben Studien, wenn auch nicht mit Mirror's Edge, gezeigt, dass ein solcher Fixpunkt die Augenbewegung minimiert und so Desorientierung - und auch Gaming Sickness - verringern kann", sagt Keshavarz.

Doch auch ohne Ego-Shooter oder gewagte Parcourstunts kann Spielern schlecht werden. Etwa, wenn sie ihren Charakter kopfüber von Planet zu Planet springen lassen. So etwa in Nintendos Spiel "Super Mario Galaxy", in dem die Kameraperspektiven rund um die Spielfigur Mario ständig wechseln.

So traf die Gaming Sickness auch Spieledesigner Takao Shimizu, der für Nintendo an der Entwicklung des Spiels beteiligt war. In einem Interview erklärt Shimizu, wie er während der Entwicklung ständig als Tester im Einsatz war - nur um aufwändige Kamerafahrten entschärfen zu lassen, wenn ihm mal wieder schwindlig wurde.

Die Spieleentwickler sind sich des Problems teilweise bewusst. So erklärt etwa Nintendo Deutschland, dass Gaming Sickness bei den Spielen des Hauses normalerweise nicht vorkäme. "Super Mario Galaxy", bei dem die Spielfigur Mario um Mini-Planeten herumläuft, sei da eine Ausnahme. Eine tolle Sache für begeisterte Gamer, eine Herausforderung für diejenigen, die nicht damit zurechtkommen. Allerdings seien entsprechende Beschwerden die absolute Seltenheit, so Nintendo.

Die Lösung liegt in der Mitte

Ganz anders sah es dagegen in Sachen 3D aus, genauer gesagt: in Sachen Nintendo 3DS. Der Konzern ließ die mobile Konsole, die auf dem oberen der beiden Bildschirme 3D darstellen kann, vom Fachpublikum auf der Spielefachmesse E3 anspielen. "Dort haben wir festgestellt, dass manche Spieler 3D nicht so gut vertragen haben", erklärt Nintendo-Sprecherin Silja Gülicher. Daraufhin habe Nintendo nachgebessert - und Mario in der finalen Version möglichst in der Mitte des Displays laufen lassen.

Doch selbst wenn "Mirror's Edge" und "Super Mario Galaxy" einige Leute in den Schwindel treibt, bedeutet das nicht, dass Spiele wie diese auf immer und ewig Tabu für Betroffene sind. Zwar sagt Psychologe und Motion Sickness-Experte Behrang Keshavarz, dass genau der Verzicht auf entsprechende Spiele wohl das Effektivste wäre, um Gaming Sickness zu verhindern. Doch: "Der Mensch gewöhnt sich mit der Zeit an die Situation, die die Übelkeit auslöst", sagt er. Wiederholtes Spielen kann also helfen, auch wenn das langwierig sein könne, so Keshavarz: "Wie lange man dafür braucht, ist von Person zu Person unterschiedlich".

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