Gaming-Experte:"Sadistische Spiele verrohen die Gesellschaft"

Sind Computerspiele schuld an Amokläufen? Computerspiel-Experte Rainer Fromm sagt nein, dennoch erhält er Todesdrohungen aus der Gamer-Szene.

Mirjam Hauck

sueddeutsche.de: Herr Fromm, der Titel Ihres Buches lautet: Digital spielen - real morden? Gibt es diesen Zusammenhang?

Gaming-Experte: Selbstzweckhafte Gewalt in "Fight Club"

Selbstzweckhafte Gewalt in "Fight Club"

(Foto: Foto: Sierra)

Rainer Fromm: Der Titel ist ganz bewusst mit einem Fragezeichen versehen. Es gibt meiner Meinung nach keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Spielen von gewalttätigen Computerspielen und beispielsweise einem Amoklauf. Belegt ist aber, dass diese Spiele die Aggressionsbereitschaft steigern - neben Faktoren wie Gewalt in der Familie oder unter Gleichaltrigen.

sueddeutsche.de: Wird die Diskussion um die Wirkung dieser Spiele zu hysterisch geführt?

Fromm: Nein. Aber es ist unredlich zu sagen, dass Computerspiele nur negative Auswirkungen haben. Sie machen Spaß, sie haben eine hohen Unterhaltungswert und mit einigen Spielen kann man auch viel lernen. Problematisch sind Spiele, die Sadismus, Kriegsverherrlichung und Sexismus als Inhalte haben. Sie führen zu einer schleichenden Militarisierung und Brutalisierung unserer Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Um das zu verhindern, hat doch die Bundesregierung ein strengeres Jugendschutzgesetz beschlossen. Computerspiele, die besonders realistische, grausame und reißerische Gewaltdarstellungen zeigen, können nun indiziert werden.

Fromm: Ja, das Gesetz ist gut. Aber leider wird es nicht konsequent umgesetzt. Das liegt am System der USK, der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle. Dieses Gremium ist mit Vertretern der Computerspieleindustrie durchsetzt. Spiele die einmal eine Alterskennzeichnung erhalten haben, können nicht mehr indiziert werden. Das ist sehr gefährlich.

sueddeutsche.de: Ist die Indizierung von Spielen für Jugendliche nicht ein Qualitätsmerkmal?

Fromm: Dieses Argument höre ich immer wieder. Aber das stimmt nicht. Wichtig ist doch, dass für indizierte Spiele nicht mehr geworben werden darf, dass sie keine öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Mir geht es nicht darum, Erwachsene zu bevormunden. Jugendliche müssen vor Gewalt als Selbstzweck geschützt werden.

"Sadistische Spiele verrohen die Gesellschaft"

sueddeutsche.de: Warum wird hierzulande trotz des Gesetzes bei Gewaltspielen nicht genau hingeschaut?

Fromm: Unsere Politiker sind nicht kompetent. Wenn Filme auf ihre Altersfreigabe hin geprüft werden, werden sie selbstverständlich angeschaut, Computerspiele werden dagegen nicht gespielt, höchstens nur einzelne Szenen angeschaut. Das führt dann dazu, dass ein Gewaltspiel zum Beispiel wegen seiner comicartigen Aufmachung nicht als gefährlich erkannt wird.

Zudem möchten Politiker den Medienstandort und die damit verbundenen Arbeitsplätze nicht gefährden. Sie haben einfach Angst, das kreative Potential, das ja auch in vielen Produktionen steckt, zu vertreiben. Aber man sollte gegenüber dieser Industrie nicht zu tolerant sein. Aus gutem Grund sind wir das in Deutschland ja auch nicht gegenüber der Waffenlobby.

sueddeutsche.de: Ist die Gaming-Industrie so gefährlich wie die Waffenindustrie?

Fromm: Nein. Es gibt inzwischen vor allem in der E-Sport-Szene genügend professionelle Spieler, die Spiele ächten, die Sadismus und Kriegsverherrlichung zum Thema machen. Aber ein Teil der Gamer-Community versteht meine Thesen als persönliche Angriffe. Ich erhalte nach Äußerungen über die Computerspiel-Szene mehr Todesdrohungen als bei kritischen Beiträgen über Neonazis. Meiner Meinung nach können die Spieler nicht mehr zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden.

Dennoch bringt die Industrie jedes Jahre neue Gewaltspiele auf den Markt, oft werden diese Spiele dann unter dem Label "Strategiespiel" verkauft. Neben dem Spaß am Krieg vermitteln sie manchmal sogar ein revisionistisches Geschichtsbild: Der Spieler kann als US-Amerikaner den Vietnamkrieg oder als Nazi den Zweiten Weltkrieg gewinnen.

sueddeutsche.de: Die Computerspieleindustrie setzt jedes Jahr Milliarden um. Diese Spiele sind erfolgreich.

Fromm: Virtuelle Welten verkaufen sich nicht ohne Grund sehr gut. Sie sind eine Antwort auf verlorengegangene Lebenswelt vieler Jugendlicher. Nur hier bekommen sie neue Herausforderungen geboten, sie lernen Teamplay und erfahren Lob und Anerkennung. Deshalb dürfen wir Computerspiele auch nicht generell verteufeln oder komplett verbieten. Denn die Gesellschaft bietet ihnen oft keine Alternativen. Gerade deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sie diese Erlebnisse ohne selbstzweckhafte Gewalt haben. Sie dürfen nicht erleben, dass sie für Gewalt auch noch belohnt werden.

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