Funkzellenabfrage: Polizei wertet nach Pfefferspray-Attacke 14 000 Handydaten aus

  • Bei einem Pfefferspray-Angriff in Osnabrück werden zwei Männer leicht verletzt. Daraufhin sammelt die Polizei 14 000 Handydaten.
  • Mit Hilfe der Funkzellenabfrage ermittelt die Polizei sieben Verdächtige aus der linken Szene.
  • Die Ermittlungen werden eingestellt. Die FDP-Fraktion im Landtag und der Anwalt eines Verdächtigen halten das Vorgehen für unverhältnismäßig.

Von Angela Gruber

Eine Pfefferspray-Attacke auf zwei junge Männer, einer davon aus der rechten Szene, hat in Osnabrück zu ausufernden Ermittlungen geführt: Die Polizei startete eine Funkzellenabfrage für die Tatnacht und wertete 14 000 Handydaten aus. Sie ermittelte so sieben Verdächtige aus der linken Szene und durchsuchte neun Wohnungen. Die Verfahren sind mittlerweile eingestellt, ohne Ergebnis.

Ob die Funkzellenabfrage verhältnismäßig war, wird wohl bald den niedersächsischen Landtag beschäftigen: Die FDP-Landtagsfraktion fordert, dass die Landesregierung den Innenausschuss über den Fall informieren soll. Bei einer Funkzellenabfrage werden pauschal alle Verkehrsdaten von Handys innerhalb eines bestimmten Gebiets abgefragt. "Dadurch werden auch immer viele Unbeteiligte erfasst, die davon aber überhaupt nichts mitbekommen", sagt der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jan-Christoph Oetjen. "Das Instrument der Funkzellenabfrage darf deshalb nur sehr zurückhaltend genutzt werden. Das sehe ich im aktuellen Fall nicht."

Die Polizei wollte angeblich gezielt Daten über die linke Szene sammeln

Thilo Schäck, Anwalt eines Verdächtigen, glaubt, dass der Pfefferspray-Vorfall ein willkommener Anlass für die Polizei war, Daten über die linke Szene zu sammeln. "Die Polizei wollte so mehr Informationen über die Szene gewinnen. Und natürlich soll sie durch solche Maßnahmen auch eingeschüchtert werden. Das war nicht verhältnismäßig."

Alexander Retemeyer von der Staatsanwaltschaft Osnabrück widerspricht: "Es gibt einen richterlichen Beschluss, der das genehmigt hat, deshalb gehen wir davon aus, dass die Abfrage verhältnismäßig war." Es handle sich bei der Tat um schwere Körperverletzung. "Die Polizei kann verschiedene Überwachungsmaßnahmen beantragen. Die Funkzellenabfrage ist darunter ein sehr gängiges Instrument."

Die Tatnacht

Die Attacke passiert in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2014. Zwei junge Männer, Jahrgang 1992 und 1994, sind in Osnabrück nahe der Diskothek "Kleine Freiheit" unterwegs. Zumindest der Ältere ist als Mitglied der rechtsextremen Szene bekannt. Unter einer Eisenbahnbrücke treffen sie um kurz nach zwei Uhr auf eine vermutlich mehrere Personen umfassende Gruppe. Einer zückt ein Pfefferspray und sprüht es den beiden Opfern ins Gesicht.

Beide kommen leicht verletzt ins Krankenhaus, werden aber noch in der Nacht wieder entlassen. Keines der beiden Opfer stellt Strafanzeige oder will mit der Polizei sprechen. Die hatte offenbar ein Türsteher alarmiert. Die Polizei ermittelt trotzdem, in so einem Fall nicht ungewöhnlich.

Die Ermittlungen per Funkzellenabfrage

Die Polizei Osnabrück entscheidet sich für eine Funkzellenabfrage, um Verdächtige zu finden. Eine Funkzelle ist das Gebiet, in dem ein Sendemast eines Mobilfunknetzes ein Signal empfängt. Wer sich mit seinem Handy innerhalb der Funkzelle befindet, wird erfasst, egal ob das Handy nur angeschaltet neben dem Bett liegt, benutzt wird, oder ein Nutzer zufällig zum Abfragezeitpunkt durch die Funkzelle fährt oder läuft. In der Hoffnung, eine Straftat aufzuklären, werden also zwangsläufig die Daten vieler Unbeteiligter erfasst, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

Die Mobilfunkbetreiber müssen bei einer Funkzellenabfrage den Ermittlern die Verkehrsdaten der Handys weiterleiten: Wer hat wann mit wem telefoniert? Wer hat wann eine SMS verschickt? Die Inhalte der Kommunikation werden nicht erfasst. Die Handybesitzer bekommen nichts von der Abfrage mit.

Rechtlich geregelt ist die Funkzellenabfrage in Paragraph 100 der Strafprozessordnung. Darin heißt es, dass eine Straftat von "erheblicher Bedeutung" vorliegen und "die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache" stehen muss. Es gibt also Hürden, bevor die Polizei auf ein so mächtiges Mittel zugreifen darf. Wie die Hürden zu interpretieren sind, ist nicht erst seit dem Pfefferspray-Vorfall ein Streitpunkt.

Die Polizei sammelte 14 000 Handydaten

Ein Richter muss die Abfrage genehmigen. Im Osnabrücker Fall passiert das am 13. August, fünf Tage nach der Tat. Das Amtsgericht Osnabrück gibt die Erlaubnis, dass in der Zeit zwischen ein Uhr und halb drei Uhr nachts alle Handys im Umkreis von 500 Metern um den Tatort in die Abfrage einbezogen werden dürfen. Die Polizei sammelt dadurch die 14 000 Handydaten.

Nach dem Filtern der Daten bleiben sieben Tatverdächtige übrig, alle Mitte bis Ende 20. Anwalt Schäck zufolge waren alle sieben in der Funkzelle, teilweise wohnten sie einfach in der Nähe des Tatorts. Sie seien nicht vorbestraft. "Sie sind nur durch ihren Aufenthaltsort verdächtig geworden. Und durch die Tatsache, dass die Polizei sie in irgendeiner Datenbank von Menschen führt, die der linken Szene zugeordnet werden."

"Man hat einen Vorwand gesucht, um in die Wohnung meines Mandanten zu kommen"

Im Oktober kommt es zu Hausdurchsuchungen. Die Wohnungen der Verdächtigen werden durchsucht, in zwei Fällen auch das Elternhaus der Verdächtigen. Beschlagnahmt werden unter anderem Laptops und andere Speichermedien. Ebenfalls ein unverhältnismäßiges Vorgehen, beschwert sich Anwalt Schäck. "Man hat einen Vorwand gesucht, um in die Wohnung meines Mandanten zu kommen", sagt er. "Die Polizei hat wohl gehofft, dass man so zufällig noch andere Straftaten entdeckt, Marihuana-Besitz zum Beispiel."

Bei einem Verdächtigen wird ein Pfefferspray gefunden. Das Landeskriminalamt (LKA) wird beauftragt, Spuren abzugleichen und herauszufinden, ob das Pfefferspray sich mit Spuren deckt, die auf dem T-Shirt des Opfers sichergestellt wurden. Nach über einem Jahr hat das LKA noch immer keine Ergebnisse. Die Staatsanwaltschaft sieht die Wartezeit als nicht verhältnismäßig an und stellt die Ermittlungen ein.

FDP-Mann Oetjen rechnet damit, dass der Landtag zu Beginn des kommenden Jahres das Thema auf die Agenda nimmt. Dass der Innenausschuss den Unterrichtungswunsch ablehnt, sei unwahrscheinlich. Man habe die Vereinbarung, dass jede Fraktion, die Informationsbedarf anmeldet, den Wunsch auch gewährt bekomme. Er will den Vorfall zum Anlass nehmen, erneut zu versuchen, von der Regierung in Erfahrung zu bringen, wie viele Funkzellenabfragen es in Niedersachsen überhaupt gibt. "Das wissen wir gerade überhaupt nicht." Die bisherige Antwort der Landesregierung: Über das Mittel der Funkzellenabfrage werde keine gesonderte Statistik geführt.

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