Freifunk-Initiativen:Mit der Milchtüte ins Netz

Freifunker wollen kostenloses Internet für alle anbieten. Dafür basteln sie Antennen aus Tetrapaks, die WLAN-Signale weit über die eigenen vier Wände hinaustragen.

Simone A. Mayer

Jeden Mittwochabend treffen sich ein paar Computerfreaks in den Räumen des Berliner Kulturzentrums c-base zur gemeinsamen Bastelstunde. Auf den Tischen liegen alte CDs, leer gegessene Sauerkrautdosen, Tetrapaks, Zangen und jede Menge Draht. Das sind alle Zutaten, die man in Berlin braucht um schnell und möglichst kostengünstig mit dem Computer ins Internet zu kommen. Hier finden Milchtüten und Dosen, die anderswo schon längst auf dem Recyclinghof gelandet wären, eine letzte Bestimmung: Sie sollen mit ein bisschen Draht versehen als Sender dienen und Internetsignale bis weit über die eigenen Wohnungsmauern hinausleiten. So ist in den vergangenen Jahren mit ein paar offenen Zugängen ein großes barrierefreies Internet-Netzwerk entstanden, über das mehr als 5000 registrierte Teilnehmer kostenlos online gehen.

Milchtüte, ddp

Aus leergetrunkenen Tetrapaks und etwas Draht lassen sich Antennen bauen, die Internetsignale über ganze Stadtteile verbreiten. Anleitungen gibt es in Internetforen.

(Foto: Foto: ddp)

Hinter dem Netzwerk steckt eine idealistische Idee: Ein Freifunker hat einen Internetzugang und stellt ihn anderen ohne Gegenleistung zur Verfügung. Im Gegenzug kann er ebenfalls Daten über das interne Freifunk-Netz übertragen. Solche Netze unterscheiden sich von den Hotspots für öffentlichen, vermeintlich kostenfreien WLAN-Zugang, die Kunden von Coffeeshops oder Fastfood-Ketten zur Verfügung stehen. Freifunk ist nicht kommerziell. Zwar zahlt derjenige, der sein Netz für andere öffnet, die üblichen Grundgebühren und Flatrate-Kosten, aber er teilt mit anderen Usern großzügig. In einem Cafe mit kostenlosem Internetzugang kostet es den User doch mindestens einen Kaffee, um diesen Service nutzen zu können.

Ein Router auf dem Kirchturm bringt Internet ins Dorf

Die Idee des geteilten Internetzugangs ist aus der Not entstanden: Die Versorgung mit Breitbandverbindungen lief gerade in ländlichen Gegenden schleppend an. Die Telekom konnte nicht überall zeitnah zum Aufkommen schneller Internetverbindungen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen, berichtet der Freifunker Andreas Hubel. Er hat bis vor kurzem in einem kleinen Dorf im Landkreis Donau-Ries gewohnt, zwischen Donauwörth und Nördlingen. Auch ihm konnte die Telekom keine Breitbandverbindung freischalten. Die Lösung: Er tat sich mit seinen Nachbarn zusammen. Einer hatte einen Anschluss und leitete über einen Sender auf dem Kirchturm die WLAN-Signale bis zu Hubels Haus weiter. Ohne Antennen beträgt die Reichweite einer WLAN-Karte zehn bis 50 Meter, mit Antennen können Signale bis zu 20 Kilometer weit gesendet werden.

Auch Studenten-WGs oder ganze Hausflure teilen sich schon lange ein WLAN-Netz - weil es billiger ist. Solche Internetgemeinschaften und die Netzwerke eingeschworener Freifunker haben aber nur eines gemein: den geteilten Internetzugang. Freifunkern geht es weniger um das superbillige Surfen im Internet, sondern im Vordergrund steht die gemeinsame Nutzung von Ressourcen. "Unsere Vision ist die Demokratisierung der Kommunikationsmedien durch freie Netzwerke", erklärt Christian Heise. Er ist Gründungsmitglied der gemeinnützigen Initiative freifunk.net. Die Internetseite ist Sprachrohr der deutschsprachigen Freifunker und bietet Informationen, Anleitungen und Software zum Freifunken an. "Wir wollen ein Bürgernetz schaffen", erklärt Heise. "Solche Netze gehören keinem, es gibt keine Zensur und Einschränkungen in der Nutzung." Die kostenlose Bereitstellung des Internetzugangs für jedermann ist hierfür notwendig. Denn die Freifunk-Gemeinde baut sich innerhalb des Internets eigene Kommunikationsstrukturen auf, teilt Daten und spielt gemeinsam. Schon in der Vergangenheit gab es in ganz Deutschland immer wieder Versuche, solche Bürgernetze einzurichten, etwa über gemeinsame Funk-Netze im Stadtviertel oder über Bürgerradios.

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Mit der Milchtüte ins Netz

"Freifunker sind zu einem großen Teil Idealisten, die an die Idee der barrierefreien und zensurlosen Kommunikation glauben", sagt Heise. "Der anderer Teil sind Computer-Freaks, die unglaublich wichtig für das Projekt sind, weil sie das Netz und die Technik pflegen." Natürlich gebe es auch noch viele Mitläufer - "die einfach nur kostenlos ins Internet wollen", sagt Heise.

Kaum Freifunker in München

Besonders aktiv sind die Freifunker im Norden Deutschlands. Neben Berlin haben sich auch in Halle und Hannover User zusammengeschlossen. In Rostock entsteht derzeit ein neues Netzwerk, weitere Freifunk-Initiativen sind auf der Internetseite von http://freifunk.net verzeichnet. Der Freifunker Andreas Hubel ist vor kurzem aus dem kleinen Dorf im Donau-Ries nach München gezogen - mit seinen WLAN-Anschluss im Gepäck. "Ich war enttäuscht, denn die Freifunker-Community in München existiert kaum", erklärt er. Inzwischen ist er einer von nur zwei eingetragenen Freifunkern in der bayerischen Landeshauptstadt. "Ich werde ein paar Freifunker anschreiben, die wohl in den vergangenen Jahren auch schon ihr Privatnetz zur Verfügung gestellt haben", sagt Andreas Hubel. "Es wäre toll, ein großes Freifunk-Netzwerk in München zu haben."

Anderer laden runter, der Besitzer des Zugangs haftet

Rechtlich ist nicht-kommerzielles Freifunken erlaubt - aber mit Einschränkungen. Jeder darf sein Netz anderen zur Verfügung stellen, wenn der Anbieter dies erlaubt. Aber Vorsicht - wer ein offenes WLAN betreibt, kann dennoch mächtig Ärger mit der Justiz bekommen. Mehrere Gerichtsurteile bestätigten inzwischen: Der Besitzer eines Zugangs haftet für alle Inhalte, die andere über seine IP-Adresse herunterladen. So hatte etwa eine Internetuserin 2006 vor dem Hamburger Landgericht gegen ihren Anbieter geklagt. Von ihren Zugangspunkt aus waren 244 Musikdateien geladen worden. Der Anbieter mahnte die Kundin daraufhin ab und verlangte, dass sie keine weiteren illegale Dateien anbietet. Die Frau behauptet nun, nicht selbst diese Dateien unerlaubterweise ins Netz gestellt zu haben. Unbekannte Dritte hätten ihren unverschlüsselten Internetanschluss genutzt. Sie verlor jedoch vor Gericht. Das Freifunknetz Hannover hat in seinen Nutzungsbedingungen daher auch vorgeschrieben: Jeder, der Infrastruktur bereitstellt, ist für die Sicherheit seiner Verbindungen selbst verantwortlich.

Auch besteht die Gefahr, dass andere durch den gemeinsamen, nicht reglementierten Netzzugang Daten und Konten ausspähen. "Die herkömmliche Verschlüsselung des eigenen Datenverkehrs mit Firewall macht keinen Sinn, weil der Netzzugang ungesichert anderen zur Verfügung gestellt wird", erklärt Freifunker Andreas Hubel. Er rät, sich beim Anbieter eines E-Mail-Accounts direkt abzusichern. Viele Internetanbieter geben ihren Nutzern die Wahl zwischen der Standardsicherung für ihre Post oder einer verbesserten Verschlüsselung. "Diese aktivieren", rät Hubel. Ein weiterer Tipp: Sich über einen VPN-Anbieter in das Netz einwählen. Teilnehmer eines "Virtual Private Network" können innerhalb des Internets über einen abgesicherten Kanal Daten wie in einem internen Netz austauschen und sind dabei mit einem Passwort vor Zugriffen anderer Internetuser geschützt. Hubel: "Egal wie unsicher das Netz ist, mit VPN wird man durchgeschleust wie durch einen Tunnel."

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