Fotografie:Wie die Fotografie sich veränderte

Boulevard du Temple

Dieser Blick auf den Pariser Boulevard du Temple von Louis Daguerre gilt als erstes Foto, auf dem (links unten) Menschen zu sehen sind.

Neue Techniken bereichern die Fotografie als Kunstform, selbst für Hobbyfotografen.

Von Katharina Kutsche

An dem Tag im Mai 1838 scheint auf dem Pariser Boulevard du Temple wenig los gewesen zu sein: Kein Mensch geht den Bürgersteig unter den leicht verwischt aussehenden Straßenbäumen entlang, keine Pferdekutschen rollen über das Kopfsteinpflaster. Ungewöhnlich für acht Uhr morgens, ungewöhnlich für die belebte Straße, die als Geburtsort des Boulevardtheaters gilt. Doch als Louis Daguerre an jenem Morgen den Boulevard vom Fenster seines Arbeitszimmers aus fotografierte, betrug die Belichtungszeit seiner Kamera mehr als zehn Minuten, viel zu lange für das lebhafte Gewusel, das mit heutiger Technik zu sehen gewesen wäre.

Heute gilt die Aufnahme - eine Daguerreotypie, wie das Fotografieverfahren, eines der ersten, nach seinem Erfinder benannt wurde - als die älteste Fotografie, auf der Menschen abgebildet sind. Denn unten links auf dem Bild, an einer Straßenecke, sind zwei Menschen zu erkennen. Einer sitzt, der andere steht vor ihm mit hochgestelltem Fuß, vermutlich ein Schuhputzer mit einem Kunden. Und beide hielten beim Akt des Schuhputzens offenbar lange genug still, um von Daguerres Kamera erfasst zu werden.

In der Cloud speichern oder lieber doch ausdrucken lassen?

In den zehn Minuten, in denen Daguerre 1838 am Fenster ausharren musste, um überhaupt erst ein Foto zu machen, werden im Jahr 2016 beim Online-Fotonetzwerk Instagram etwa 660 000 Fotos hochgeladen. Und mit der modernen Technik der Fotografie an sich haben sich auch mannigfaltige Möglichkeiten für die Verwertung ergeben.

Während die einen tausende Familien- und Urlaubsbilder in einer Cloud speichern und elektronische Bildergalerien zusammenstellen, drucken andere ihre Lieblingsmotive aus und kleben sie von Hand in ein Album. Oder sie überlassen den Druck von Foto und Album Laboren und Online-Diensten, die gerade in der Adventszeit mit Fotogeschenken für Familie und Freunde werben: Kaffeebecher mit dem Gruppenbild vom gemeinsamen Urlaub, Kalender mit Szenen aus dem Leben der Enkelkinder, eine Poster-Collage mit dem oder der Liebsten.

Von der Fototechnik der Jetztzeit unterscheidet sich Daguerres Verfahren unter anderen in zwei wesentlichen Punkten. Erstens: Mit heutigen Kameras ist gerade in der Sportfotografie eine Belichtungszeit von 1/8000 Sekunden möglich, um auch schnellste Bewegungen gestochen scharf festhalten zu können. Zweitens: Daguerre projizierte seine Aufnahme direkt auf eine polierte und versilberte Kupferplatte, er produzierte Unikate, die nicht vervielfältigt werden konnten.

Heute hält eine Kamera ein Motiv zunächst fest, entweder analog auf einem Negativfilm, der entwickelt werden muss, oder digital auf einem Speichermedium. Von welcher Aufnahme tatsächlich Abzüge erstellt werden sollen, entscheidet der Fotograf, egal ob Profi oder Amateur, selbst. Was also ist eine Fotografie - das Motiv an sich? Oder dessen Abzug, den man in die Hand nehmen und in ein Album kleben oder an die Wand hängen kann?

Elke Seeger lehrt Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen, sie sagt: "Nach unserem Verständnis ist eine Arbeit erst fertig, wenn sie aufgezogen, gerahmt oder an eine Wand projiziert wurde. Dies sind die Voraussetzungen, um als künstlerische Äußerung erst genommen zu werden." Für ihre Studenten heißt das, sich mit allen technischen Möglichkeiten auseinander zu setzen. "Die Beschäftigung mit den Drucktechniken ist Teil der künstlerischen Arbeit", so Seeger.

Drucken auf Büttenpapier, Acryl, Alu-Dibond oder Metall

Die neuen Techniken, sowohl in der Aufnahme, als auch in der tatsächlichen Darstellung, haben die Fotografie verändert, "so wie sie sich gerade in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, versteht sie sich als künstlerisches Produkt", sagt Seeger. Vor Jahrzehnten beschränkten sich die Druckvarianten im Wesentlichen auf die Auswahl von analogem Color- oder Schwarz-Weiß-Papier, aus Baryt oder Polyethylen, glänzend oder matt.

Heute kann auf Büttenpapier, Acryl, Alu-Dibond oder Metall direkt gedruckt werden, auf Forex-Hartschaumplatten, Textil, transparente Materialien. Dazu kommt, dass Hobby- und Alltagsfotografen ihre Bilder zu Hause bearbeiten und ausdrucken können. Bei den meisten Computerdruckern gehört das Scannen und Drucken von Fotos auf Normal- und Fotopapier zur Standardausstattung. Und selbst für die Generation Digital, die für Fotos in erster Linie die ins Smartphone integrierte Kamera nutzt und sie elektronisch verschickt oder hochlädt, gibt es Minidrucker für die Hosentasche.

Studenten müssen auch lernen, wie eine Lochkamera funktioniert

Für die Fotografie-Studenten bedeutet das: Sie können ihre Werke eben nicht nur als gerahmte oder aufgezogene Fotografien ausstellen, sondern auch als Installationen auf Tablets und Monitoren oder als Wandprojektionen. Wichtig ist, dass sie alle Darstellungsformen ihres Mediums kennen lernen, auch die historischen. "Die Studenten kommen bei uns mit überwiegend digitalen Kenntnissen und Fertigkeiten an - und werden von uns in professioneller Weise in allen analogen Aufnahme- und Ausgabetechniken unterrichtet. Hierzu gehört auch die Camera obscura beziehungsweise die Lochkamera", sagt Fotografie-Professorin Seeger.

Für das Wort Fotografie bedeutet das allerdings auch, sich von seiner Ursprungsbedeutung zu verabschieden. "Bis zu den technischen Neuerungen hat die Fotografie an der Vorstellung festgehalten, dass sich ein Motiv in eine chemische Platte eingeschrieben hat", erklärt Elke Seeger. Ein Digitalfoto, gespeichert auf einer Festplatte, würde ein solches Kriterium nicht mehr erfüllen. Da aber das fertige Bild, der fertige Print wesentlich ist, bleibt die Bedeutung der Fotografie für die Gesellschaft unverändert: "Ein Foto hat immer einen zeitlichen und räumlichen Bezug zur Wirklichkeit. Es bildet ja einen bestimmten Moment ab", sagt Seeger.

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