Guerilla-Marketing:Wie Ford den Emojis die Unschuld raubt

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Das für die Zulassung neuer Bilder zuständige Gremium hat vor Kurzem ein Emoji zugelassen: diesen blauen Pick-up. Es ähnelt stark dem Modell F150 von Ford. Illustration: oh (Foto: N/A)
  • Der Autokonzern Ford hat es geschafft ein Pick-up-Emoji durch das für neue Symbole zuständige Gremium zu schleusen.
  • Danach feierte das Unternehmen den von einer Marketing-Firma ausgeheckten Coup ausgiebig.
  • Der Fall wirft die Frage auf, wie viel Werbung ein eigentlich neutrales Zeichensystem wir Emoji verträgt.

Von Adrian Lobe

Sechs Milliarden Emojis werden jeden Tag auf der Welt versendet. Emojis gelten als die neue Weltsprache. Die Zeichen sind universell und überall verständlich, ein Japaner versteht ein lächelndes Gesicht genauso wie ein Europäer. In schöner Regelmäßigkeit werden der Kollektion neue Symbole hinzugefügt. Apple und Google werden die 59 neuen Emojis im Herbst in ihre Betriebssysteme integrieren. Vor Kurzem hat das für die Standardisierung der Zeichen zuständige Unicode-Konsortium ein neues Symbol zugelassen: einen blauen Pick-up.

Eigentlich würde niemand Anstoß an einem Auto nehmen. Doch das Symbol, das dem Pick-up-Oldtimer Ford F 150 auffällig ähnlich sieht, wurde von dem Autobauer offenbar selbst vorgeschlagen - ohne dies der Öffentlichkeit gegenüber transparent zu machen. Wie das US-Magazin The Atlantic berichtet, wurde der Vorschlag von einer PR-Firma eingebracht, zu deren Kunden auch Ford gehört.

Nach dem ersten gescheiterten Anlauf ging Ford diesmal subtiler vor

Grundsätzlich kann jeder beim Unicode-Konsortium Vorschläge für ein neues Emoji einreichen. Das Gremium hat mehrere Aufnahmekriterien aufgestellt, unter anderem die Vereinbarkeit mit bereits existierenden Symbolen, den Nutzwert, die Originalität sowie die Vollständigkeit. Als Ausschlussgründe werden explizit Logos oder Marken genannt. Nicht zugelassen sind "Bilder von Produkten, die stark mit einer bestimmten Marke assoziiert werden". Hier beginnt jedoch der Auslegungsspielraum: Handelt es sich bei dem Emoji um eine Reminiszenz an den Ford F 150? Oder war das Vorbild einfach nur ein blauer Pritschenwagen einer x-beliebigen Marke?

Vor zwei Jahren hat Ford schon einmal ein Pick-up-Emoji beim Unicode-Konsortium vorgeschlagen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Diesmal gingen die Antragsteller sorgfältiger und subtiler vor. Es wurde argumentiert, dass Pick-ups überall auf der Welt zu finden seien, von den Straßen Hanois bis nach Downtown Detroit. Ähnlichkeiten mit Marken wurden negiert. Das Unicode-Konsortium, das von der Urheberschaft angeblich nichts wusste, gab grünes Licht.

Die Entscheidung feierte Ford als Triumph. Der Autobauer veröffentlichte einen 50 000 Dollar teuren Werbeclip, in dem gezeigt wird, wie das Emoji nach Monaten geheimer Entwicklung in einer Fabrikhalle gefertigt wird: "hergestellt aus feinsten Pixeln, made in America", sagt der Sprecher. Ford-Chef Joe Hinrichs enthüllt das Symbol, als wäre es ein Fahrzeug aus einer neuen Baureihe: "Ladies and Gentlemen, der Moment, auf den Sie alle gewartet haben: das Truck-Emoji."

Wie viel Schleichwerbung vertragen Emojis?

Mit der Aufnahme des Pick-up-Emojis ist Ford ein echter Coup gelungen: Es hat ein Symbol in das Zeichensystem geschleust, das seinem ikonischen Ford F 150 täuschend ähnlich sieht - und sich damit ein kleines Denkmal gesetzt. Ist das nun Schleichwerbung? Ein cleverer PR-Schachzug? Oder gar der Versuch, Sprache umzucodieren?

Beim Eis- oder Käse-Emoji ist die Gefahr einer subtilen Schleichwerbung gering. Niemand würde auf die Idee kommen, hier wolle eine Brauerei für ihr Bier werben, weil das Gebräu ohnehin gleich aussieht. Auch Früchte sind unverfänglich. Das Pommes-Frites-Emoji ähnelt dagegen auffällig der roten Verpackung, die die Fast-Food-Kette McDonald's ausgibt. Einzig das "M" wurde durch ein Smiley ersetzt. Die Grenzen zwischen Werbung und Emojis werden immer fließender. So hat McDonald's für seine Marketingkampagne "Everyday Icon" das Burger-, Pommes- und Soda-Emoji verwendet. Dafür wurden die Symbole aber nicht einfach kopiert, sondern adaptiert: Der Fotograf lichtete reale Gegenstände ab, die im Stil der Emojis präpariert wurden. So wurde die Künstlichkeit gebrochen und eine neue Bildersprache kreiert. Auch andere Marken wie Domino's, Diesel oder Disney haben Emoji-Kampagnen lanciert. Der WWF nutzte Tier-Emojis für einen Spendenaufruf für bedrohte Arten. Und die US-Automarke Chevrolet hat 2015 sogar erstmals eine Emoji-Pressemeldung herausgegeben - die Mitteilung enthielt ausschließlich Piktogramme.

Wird der Apfel bald durch das Apple-Logo ersetzt?

Werbung hat ja schon immer Sprache verändert. Gleichwohl macht es einen qualitativen Unterschied, ob Emojis als Werbemittel eingesetzt werden oder die Symbole schon per se werblich konnotiert sind. Im Gegensatz zum Alphabet, wo man 26 Buchstaben und ein paar Sonderzeichen beliebig kombinieren kann, gibt es bei Emojis kaum Bedeutungsambivalenzen. Das Zeichensystem ist starr und unflexibel. Man muss notgedrungen auf das gesponserte Symbol zurückgreifen. Damit verfestigt sich beim Empfänger die Vorstellung eines bestimmten Produkts. Es ist ungefähr so, als stünde auf der Tastatur ein Apotheken-A oder ein "M" aus dem Logo von McDonald's.

Die Frage ist: Was kommt als nächstes? Wird der Apfel bald durch das Apple-Logo ersetzt? Der Fußball durch das Fifa-Logo? Der Druck der Lobby auf das Unicode-Konsortium wird immer größer. Der Kondomhersteller Durex trommelte 2015 für die Aufnahme eines Kondom-Emojis. Die Fast-Food-Kette Taco Bell lancierte eine Petition für ein Taco-Emoji. Und Kit Kat forderte die Einführung eines eigenen Schoko-Riegel-Emojis. Dabei ist das Unicode-Konsortium selbst eine Art Lobby-Organisation: Dem gemeinnützigen Verein nach kalifornischem Recht gehören alle großen Technologieunternehmen wie Adobe, Apple, Microsoft, Google, IBM und Oracle an. Konzerne erlangen immer mehr die Kontrolle über unsere Tastaturen und Gedanken - und damit die Deutungshoheit über Sprache.

Die Aufnahme des Emoji-Pick-ups in den Unicode-Katalog verweist auf einige Strukturdefekte des Zeichensystems. Je mehr Symbole das Unicode-Konsortium hinzufügt, desto mehr Leerstellen werden in der Taxonomie sichtbar. Das merkte man schon beim jüngsten Update, als Nutzer aufschrien, warum es keine rothaarigen Bräute und keine weißen Männer mit braunen Haaren und Bart gebe. Der zweite Konstruktionsfehler: Je konkreter und damit weniger abstrakt das Zeichensystem wird, desto unflexibler werden die Bedeutungseinheiten. Wenn das Gremium das Weißwein-Symbol in den Katalog aufnähme, kämen sofort Fragen auf: Warum kein Rosé? Und warum kein Veggie-Burger? Die semantischen Leerstellen öffnen den Raum für Marken, ihre eigenen Symbole in den Katalog einzuschmuggeln und sprachliche Codes neu zu besetzen.

Interessant ist die Frage, ob Ford als geschützte Marke ein Copyright auf das Emoji hätte (was ein Eingeständnis wäre, dass es nach dem Produktdesign modelliert ist). Die US-Rechtswissenschaftler Eric Goldman und Gabriella E. Ziccarelli argumentieren, dass Emojis grundsätzlich nicht urheberrechtsfähig sind, sogenannte "proprietäre Emojis" aber als Marke eingetragen werden können. Und das kann im Streitfall ganz schön teuer werden: So verklagte ein Webentwickler Kardashian West und ihre Firma auf Zahlung von 300 Millionen Dollar für die Nutzung der Emoji-App "Kimoji", die eigens für das It-Girl kreiert wurde. Der Journalist Adam Clark Estes kommentierte im Online-Magazin Gizmodo ernüchtert: "Es schien nur eine Frage der Zeit, bis Marken den Emojis ihre Unschuld stehlen würden. Nichts ist mehr heilig im 21. Jahrhundert, nicht einmal mehr unser Smartphone-Spaß."

© SZ vom 29.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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