Eine der ältesten Debatten, die das neue Phänomen der globalen Vernetzung unserer Kommunikation begreifen will, firmiert unter dem Begriff: "Aufmerksamkeitsökonomie." "Aufmerksamkeit", ein Schlüsselbegriff der abendländischen Phänomenologie von Husserl über Heidegger bis Merleau-Ponty, bekommt für die nun amerikanisch geführte Debatte einen besonderen Drall durch die Lesart von Georg Franck, Professor für digitale Methoden in Architektur und Raumplanung an der Technischen Universität Wien.
Mitte der Neunziger Jahre erkennt Franck in der Behandlung der Aufmerksamkeit eine Ausfaltung des Kapitalismus und diskutiert sie polit- ökonomisch. "Aufmerksamkeit", so hat er seine These 1995 in einer Diskussion umrissen, "ist ein Gut, an dem es uns mangelt. Das Gut, an dem es mangelt, ist nicht die Information selber, aber unsere Fähigkeit, mit Information etwas anfangen zu können, sie auszuwählen, sie gewichten zu können. Aufmerksamkeit, sowohl diejenige, die wir aufbringen, als auch diejenige, die uns entgegengebracht wird, hat den Charakter einer neuen Währung angenommen. Die neuen Medien übernehmen die Funktion einer Bank: Sie gewähren uns Kredit."
Während Franck diese Medien-Kritik noch 2005 in seinem Buch "Mentaler Kapitalismus" als Kapitalismus-Kritik fortführt, machte der Begriff "Aufmerksamkeitsökonomie" inzwischen unter anderen Vorzeichen Karriere. In dieser von Ideologiekritik abgekoppelten Diskussion werden nicht politische und wirtschaftliche Aspekte bewertet, es wird also nicht gefragt, wie monetarisiert man die Aufmerksamkeit, sondern es wird überlegt, welche intellektuellen Herausforderungen der global vernetzte Mediengebrauch, eine Dauerkommunikation und Informationsüberflutung für den Netz-Nutzer darstellen.
Kulturpessimismus vs. Pragmatismus
Hier wird also ein Phänomen gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Problemstellung lautet: Wie haushaltet ein an dieser vernetzen Kultur teilnehmendes Subjekt mit seiner immer geforderten, also überforderten Aufmerksamkeit? Was nimmt es wahr? Wen nimmt es wahr? Wie wird es wahrgenommen? Wie nutzt es die objektive Maßlosigkeit an Information und Wissen für sich? Kurz: Was ist noch Information, wenn alles Information ist?
Derart geerdet, erlebt dieser subjektzentrierte Strang der Debatte nach dem Siegeszug der sozialen Medien wie Facebook und der globalen Dominanz von Suchmaschinenbetreibern wie Google seit etwa fünf Jahren eine neue Konjunktur. Zwei Positionen haben sich herausgebildet, die beide plausibel argumentieren, aber unterschiedlicher nicht sein könnten. Einmal eine kulturpessimistisch prognostische und einmal eine pragmatisch bilanzierende.
Der kulturpessimistische Zweig der Debatte argumentiert auf einem Fundament, das Christopher Lasch Ende der siebziger Jahre mit seiner Schrift: "Das Zeitalter des Narzissmus" gegossen hat. Der von Konkurrenz geprägte Individualismus der westlichen Welt sei in einen Krieg aller gegen alle gekippt, das Streben nach Glück in die Sackgasse narzisstischer Selbstbeschäftigung geraten.
Verheerende Filter
Übertragen auf die Überforderung durch Netzkommunikation besagt diese These, dass ein narzisstisches Individuum sich nur in angenehmer, anschmiegsamer, schmeichelnder Information spiegelt. Einer der prägnantesten pessimistischen Äußerungen dazu stammt von dem amerikanischen Autor und Internetkritiker Nicholas Carr. Sein Aufsatz: "Macht Google uns dumm?" erschien 2008 und beschäftigte sich damit, dass man dem Netz nicht mehr entkomme.
Einem Rauschen vergleichbar, dem kein eigenes, vertiefendes Denken entgegensetzt werden könne. Vielmehr gleiche das Denken sich diesem Rauschen an. "Vielleicht spinne ich ja auch", schreibt Carr, "und aus unseren hyperaktiven, Daten überfressenen Gehirnen wird irgendwann einmal das Goldene Zeitalter der Weisheit erwachsen. Und doch, je mehr wir uns darauf verlassen, dass Computer uns das Verstehen der Welt nahe bringen, umso mehr verflacht unsere Intelligenz zu einer künstlichen Intelligenz."
Daraus leitet der Anwalt, Professor, Präsidentenberater und Autor Cass Sunstein individuelle Filtersysteme ab, die Individuen gegen dieses Rauschen für sich einsetzen - mit, wie er sagt, verheerenden Folgen. Er konstatiert: Je mehr Information verfügbar ist, umso leichter ist es, unangenehmer Information aus dem Weg zu gehen.
Er erkennt darin den Verlust von Selbstkritik und intellektueller Offenheit, kurz: den Bedeutungsverlust von Information. "Mein Verdacht ist", schreibt Sunstein in "Republic.com 2.0", "dass wir perfekt ausfiltern können, was wir für irrelevant halten. Und je besser wir ausfiltern können, was uns nicht behagt, umso unmöglicher wird es, Dinge zu lernen, von denen auch andere profitieren können." Er nennt das "Echo-Kameralistik" (echo-chamber-ism). "Wenn man sich nur mit Leuten umgibt, die dasselbe meinen wie ich, wird man am Ende noch sehr viel nachdrücklicher denken, dass man zu Recht so denkt."