Süddeutsche Zeitung

Flashmobs:Spontanpartys mit Folgen

Flashmobs erleben in jüngster Zeit ein Revival. Doch wer sich über das Internet zu Spontanaufläufen verabredet, kann Probleme mit der Justiz bekommen.

C. Aichner

Plötzlich versammelt sich eine Masse von Menschen und tut völlig unsinnige Dinge: Sie ordern in einem Fastfood-Restaurant Tausende Hamburger auf einmal, bleiben wie angewurzelt stehen, veranstalten eine Kissenschlacht unter freiem Himmel oder feiern wild in einer U-Bahn.

Flashmob heißt das Phänomen, das sich in den vergangenen Monaten wieder stärkerer Beliebheit erfreut. Über das Internet verabreden sich meist junge Menschen, um an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zusammenzutreffen und meist völlig sinnfreie Dinge zu tun.

Ende Januar wurde die Münchner U-Bahn von einem Flashmob heimgesucht. Punkt 22:21 Uhr bevölkerten mehrere hundert Jugendliche in Partylaune den U-Bahnhof an der Münchner Freiheit. Das Ziel war, in der Linie U6 Richtung Klinikum Großhadern eine Party zu feiern.

Wer zahlt die Flashmob-Zeche?

Der "Trashpop", wie ihn die Initiatoren im Internet ankündigten, stand unter dem Motto: "Wir wollen die U-Bahn kapern." Das geschah, die Flashmobber besetzten mehrere Wagons. Bereits eine Station weiter, an der Giselastraße, stoppte die Münchner Verkehrsgesellschaft den gekaperten Zug.

Doch die Aktion war damit noch nicht vorbei: Kurz darauf fuhr eine zweite U-Bahn aus Richtung Odeonsplatz ein, ebenfalls besetzt von gutgelaunten Flashmobbern. Passanten hatten mittlerweile Notrufe abgesetzt, sprachen von Randalierern, die mit offenem Feuer hantierten, Feuerlöscher leer sprühten und die U-Bahn-Beleuchtung demontierten.

Als die Polizei kam, nahmen knapp 400 Jugendliche die Beamten mit Pfeifkonzert und Buhrufen in Empfang. Und das, obwohl "wir deeskalierend vorgegangen sind. Die Münchner Linie ist ja bekannt", berichtet Peter Reichl, Pressesprecher der Münchner Polizei.

Mit Lautsprecherdurchsagen sollten die Flashmobber dazu bewegt werden, unter Polizeiaufsicht wieder in die U-Bahn einzusteigen und weiterzufahren. Die meisten Partygäste kamen der Aufforderung nach, "nur 20 bis 30 Personen haben sich widersetzt, fünf Personen wurden vorübergehend festgenommen", sagt Reichl. Zurück am Ort des Geschehens blieb ein leicht demolierter und stark verschmutzter U-Bahn-Wagon. Der Sachschaden betrage knapp 1000 Euro plus die Reinigungskosten, heißt es.

Wer für den Sachschaden zahlen muss, ist bislang nicht klar: "Es wurde Anzeige gegen unbekannt wegen Sachbeschädigung gestellt", sagte Reichl. Die Initiatoren des Party-Flashmobs, die Gruppe "Partyguerilla", müssen für die entstandenen Kosten wohl nicht haften: einerseits, weil sie nicht zu Straftaten aufgerufen hatten, andererseits, weil Initiatoren von Flashmob-Partys im Dickicht des Internets kaum persönlich identifizierbar sind. "Strafrechtlich könnte da durchaus nichts zu machen sein", sagt Reichl.

Teure Party zur Ablenkung

Anders als den Münchnern ergeht es Christoph Stüber, der maßgeblich dazu beigetragen hat, das Phänomen Party-Flashmob in Deutschland bekannt zu machen. Am 13. Juni des vergangenen Jahres lud er im Internet zu einer Party auf Sylt ein. Er wollte sich ablenken, weil ihn seine Freundin verlassen hatte. Der junge Mann aus Schleswig rechnete mit hundert Gästen, am Ende kamen mehr als 10.000, die am Sylter Strand für eine Nacht wie die Vandalen hausten.

Die Gäste auf der Urlaubsinsel waren angesichts der umherstreifenden Horden geschockt, neben einer starken Verschmutzung des Strandes wurden die Züge der Bahnunternehmen Deutsche Bahn und Nord-Ostsee-Bahn in Mitleidenschaft gezogen, Krankenwagen waren zur Versorgung von Alkoholleichen im Dauereinsatz, die Polizei musste nach dem Bekanntwerden des Partyaufrufs Einsatzkräfte vom Festland zur Verstärkung anfordern.

Er sei der Veranstalter und müsse deswegen auch für die diversen Party-Vorkehrungen sorgen, argumentiert das Ordnungsamt Sylt. "Wir haben schon vor dem 13. Juni von dem Flashmob erfahren und die Party an bestimmte Auflagen geknüpft", sagt Hans Wilhelm Hansen, Leiter des Sylter Ordnungsamtes.

Da Stüber der Ordnungsverfügung nicht nachgekommen sei, habe die Stadt selbst die notwendigen Vorkehrungen getroffen und stellt ihm die angefallenen Kosten in Höhe von 20.000 Euro in den kommenden Tagen in Rechnung. Falls er nicht zahlt, werde das Ordnungsamt versuchen, die Forderung gerichtlich durchzusetzen, berichtet Hansen weiter.

"Ich bin Initiator und nicht Veranstalter", beurteilte Stüber schon damals die Sachlage anders. Weil es bislang bundesweit noch kein Urteil zu einem ähnlichen Internetaufruf gibt, ist die Rechtslage unklar. Ob auch Polizei, Bahn und andere Betroffene zivilrechtliche Forderungen gegen Stüber erheben werden, hängt ebenfalls von der Entscheidung des Gerichts ab.

Erst danach herrscht endgültige Klarheit, wie ein Flashmob rechtlich zu behandeln ist: Als herkömmliche Party, die mit ordnungspolitischen Auflagen verknüpft ist, als spontanes Treffen Unbekannter ohne eine gemeinsame Gesinnung oder als unangemeldete Demonstration, die unter die Richtlinien des Versammlungsgesetzes fallen würde.

Hip ist, wer anders mitmacht

Dass sich deutsche Gerichte bislang noch nicht mit solchen Spontan-Aktionen auseinandersetzen mussten, ist erstaunlich, handelt es sich doch um kein neues Phänomen: Bereits am 3. Juni 2003 rief der Journalist Bill Wasik in den USA zum ersten Flashmob auf, mit einem kulturkritischem Hintergrund.

Via Internet aktivierte er mehr als hundert ihm unbekannte Teilnehmer, die sich in einem Kaufhaus um einen Teppich versammelten. Den Kaufhaus-Mitarbeitern erklärten sie, einen "Liebesteppich" zu suchen. Anschließend zog der Flashmob in eine Hotel-Lobby und applaudierte exakt 15 Sekunden lang.

Die Aktion hat für Beobachter weder auf den ersten noch den zweiten Blick einen tieferen Sinn. Wasik erklärte im März 2006 in einem Artikel im Harper's Magazine, was er mit seinem Flashmob bewirken wollte: Hipsters, die in der gesellschaftlichen Konformität gefangen, nur dem nächsten Event nachjagen, um etwas ganz Besonderes zu erleben, sollten vorgeführt werden. Der erste Flashmob war eine ironische Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Event-Kultur.

Auch Merkel macht mit

Inzwischen erfreuen sich die unpolitischen, blitzartigen Massenaufläufe auch in Deutschland großer Beliebtheit: In Berlin und München wurden Anfang 2008 bei einer bekannten Fastfood-Kette in wenigen Minuten Tausende Hamburger geordert; in Köln Anfang April des vergangenen Jahres vor dem Dom eine Mega-Kissenschlacht veranstaltet, wiederum in München versammelten sich am 9. Mai 2008 an die 500 Personen auf dem Odeonsplatz und standen fünf Minuten wie eingefroren still.

Auch die Kanzlerin wirkte schon bei Flashmobs mit, wenn auch unfreiwillig: Während zahlreicher Wahlkampfauftritte im vergangenen Jahr zwischen Hamburg und München, Mainz und Wuppertal war sie Stichwortgeberin für die Flashmobber.

Sie skandierten im Chor "Yeah", "Wachstum" oder "Krise", je nachdem, was die Kanzlerin während ihrer Rede erwähnte. Merkel hatte sich bald an das ständig wiederkehrende Schauspiel gewöhnt und begrüßte bei ihren Auftritten artig die ihr unbekannten "Freunde aus dem Internet".

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