Fernsehen der Zukunft:Die dritte Dimension

Nah an der Wirklichkeit: Die Unterhaltungskonzerne arbeiten fieberhaft daran, räumliches Sehen am Bildschirm umsetzen.

Helmut Martin-Jung

Der Tiger springt derart auf die Zuschauer zu, dass diese sich unwillkürlich wegducken - solche Aufnahmen in einem modernen 3D-Kino sind beeindruckend. Um die Zuschauer wieder vom Fernsehsessel in die Filmtheater zu locken, rüsten viele Kinobetreiber zurzeit ihre Projektionsgeräte auf, und in Hollywood wird ein Film nach dem anderen mit 3D-Technik produziert.

Fernsehen der Zukunft: 3D-Monitorsystem: Normales Sehen strengt nicht an

3D-Monitorsystem: Normales Sehen strengt nicht an

(Foto: Foto: dpa)

Dabei geht es nicht nur um Effekthascherei. Schließlich sehen Menschen auch im Alltag die Welt nicht nur in Farbe, sondern auch mit räumlicher Tiefe. Techniker prognostizieren bereits dreidimensionales Fernsehen im Wohnzimmer. Werden 3D-Fernsehgeräte die heutigen Bildschirme ablösen so wie einst das Farbfernsehen die Schwarzweiß-Flimmerkisten?

"3D wird sich durchsetzen", da ist sich John Stone sicher. Stone entwickelt im Forschungszentrum des Unterhaltungskonzerns Sony im britischen Basingstoke 3D-taugliche Ausrüstung für professionelle Filmcrews und sogar für Live-Übertragungen.

Stone ist deshalb so überzeugt, weil im Gegensatz zu früheren Anläufen einiges anders geworden ist: Dank der Digitaltechnik fielen viele der Probleme einfach weg, die die herkömmliche Filmtechnik etwa bei ulkigen Monsterfilmen in den 1950er-Jahren mit sich brachte. Jede Szene musste mit zwei Kameras gefilmt werden, jeder Schnitt musste perfekt mit dem zweiten Film synchron laufen, und kam es im Kino zum Filmriss, mussten beide Rollen an genau derselben Stelle geflickt werden.

Doch auch in der Digitalwelt bleiben noch genügend Probleme für die 3D-Techniker. Um diese zu meistern, muss man erst verstehen, wie dreidimensionales Sehen funktioniert. Alles fängt damit an, dass die Augen des Menschen im Durchschnitt einen Abstand von etwa 6,5 Zentimeter haben. Jedes Auge blickt also in einem etwas anderen Winkel auf die Welt.

Um sich das zu vergegenwärtigen, braucht man sich nur einen Finger vor die Nase zu halten und die Augen abwechselnd zuzukneifen. Der Finger scheint hin und her zu springen. Blickt man aber mit beiden Augen auf den Finger und stellt auf den Finger scharf (wobei man leicht schielt), erscheint er als klares räumliches Abbild. Das Gehirn rechnet die beiden unterschiedlichen Bildeindrücke zu einem räumlichen Eindruck zusammen. Die dafür nötigen Rechenschritte lernen Babys, indem sie ihre kleine Welt förmlich be-greifen.

Bunte Punktwolken und der 3D-Effekt

Am natürlichsten wirken 3D-Darstellungen, wenn die Kameras in etwa den gleichen Abstand zueinander haben wie Augen und wenn sich der menschliche Sehapparat beim Betrachten so verhalten darf, wie er es natürlicherweise tut. Bei weit entfernten Objekten sind die Augen nahezu parallel ausgerichtet, bei nahen Objekten schielen sie leicht nach innen.

Wie schwer es Menschen fällt die Augen anders auszurichten, zeigten die vor einigen Jahren allgegenwärtigen "magischen" Bilder. Diese bunten Punktwolken musste man direkt vor die Nase halten und andererseits in die Ferne blicken, um den 3D-Effekt zu sehen. Vielen Menschen gelingt diese Augenstellung nicht, anderen verursacht sie Kopfschmerzen. "Wenn die Entfernung und der Blickwinkel voneinander abweichen, kommt es zu Störungen", erklärt Michael Bach, Professor für Augenheilkunde in Freiburg und Experte für optische Täuschungen. "Normales Sehen strengt nicht an", sagt er, wenn dreidimensionale Bilder so gemacht seien, wie es der normalen menschlichen Wahrnehmung entspreche, erwarte er auch keine Belastungen.

3D-Kino dagegen entspreche der menschlichen Wahrnehmung. "Die Welt ist ja auch dreidimensional", sagt er. Eine Gefahr, die als Baby erlernten Gesetze der Räumlichkeit durch 3D-Filme zu verlieren, bestehe nicht.

Die 3-D-Tricks der Forscher

Um unnatürliche Belastungen zu vermeiden, müssen die Regisseure von 3D-Filmen umdenken. Schnelle Schnittfolgen, wie in heutigen Actionfilmen üblich, würden in 3D Schwindelanfälle auslösen, weil sich das Gehirn nicht so schnell auf die neuen Perspektiven einstellen kann.

Mal würde ein Objekt vor dem Bildschirm erscheinen, mal dahinter. Probleme ergeben sich außerdem beim Zoomen, wenn die Kameras Farben leicht unterschiedlich wiedergeben und wenn die Scharfstellung nicht exakt synchron funktioniert.

Um all diese Probleme zu umgehen, hat Sony eine professionelle digitale Videokamera entwickelt, die nur mit einem Objektiv arbeitet. Das Stereobild wird erst durch ein System von Spiegeln erzeugt, die dahinter angeordnet sind. Die Spiegel lassen sich so steuern, dass das menschliche Sehverhalten nachgeahmt wird.

Andere Forscher arbeiten an Verfahren, Tiefeninformationen in 2D-Bilder hineinzurechnen. "Wenn man weiß, wie weit ein Objekt entfernt ist, kann man es gut in 3D umsetzen", sagt Jonathan Thorpe, der bei Sony an solchen Verfahren arbeitet. "Gut funktionieren würde das zum Beispiel in einem Fußballstadion, da weiß man genau, wie groß das Feld ist." Die Herausforderung ist, diese Tiefenberechnung live hinzubekommen.

Bei den bisher verfügbaren 3D-Verfahren muss der Betrachter meist eine Spezialbrille tragen. Und wenn nicht, dann ist Fernsehen in drei Dimensionen eine eher einsame Angelegenheit. So hat beispielsweise das Berliner Heinrich-Hertz-Institut Spezialbildschirme entwickelt, die mit einer eingebauten Kamera feststellen können, wo der Betrachter sitzt, um diesem dreidimensionalen Bilder vorzuspielen. Für den - übrigens erstaunlichen - räumlichen Eindruck, braucht man in diesem Fall keine Brille, aber die Geräte bieten nur einem Zuschauer den optimalen Betrachtungswinkel.

Kinos als Vorreiter

Auf den Winkel kommt es auch an, wenn Polarisationsbrillen eingesetzt werden. Das sind Gläser mit Filtern, die Licht jeweils nur in einer Schwingungsrichtung durchlassen. Neigt man beim Zusehen den Kopf, schlüpfen Lichtstrahlen mit anderer Schwingungsrichtung durch und verursachen Geisterbilder.

Eine weitere Möglichkeit sind Brillen mit batteriebetriebenen Verschlüssen aus Flüssigkristallen, die zwischen transparent und schwarz wechseln und einmal das linke und dann das rechte Auge freigeben.

Damit das synchron zu den Bildern auf der Leinwand passiert, wird die Frequenz, mit der die Shutter-Brillen auf und zu machen, per Infrarot gesteuert. Etwa aus der Mode gekommen sind die skurrilen Pappbrillen mit roten und cyanfarbenen (früher grünen) Folien.

Noch ist aber gar nicht erwiesen, wie groß überhaupt der Bedarf für 3D-Fernsehen ist. Zwar haben auf der Berliner Funkausstellung im September alle großen Hersteller entweder 3D-Geräte gezeigt oder aber zu verstehen gegeben, dass sie entsprechende Pläne in der Schublade haben. Diese könnten sie schnell verwirklichen, wenn die Nachfrage tatsächlich steigen sollte. Ob das so ist, bleibt abzuwarten.

Eine Vorreiterrolle könnte das Kino übernehmen. Fast 250 Lichtspielhäuser haben in Deutschland bereits mindestens einen ihrer Säle mit digitaler 3D-Technik ausgestattet, Tendenz steigend. Es wäre dann aber auch Zeit, von vordergründigen Effekten wegzukommen und sich zu überlegen, wie Räumlichkeit auch für die künstlerische Qualität von Filmen genutzt werden kann.

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