Facebook, Twitter und Co.:Ein Sturm, der bis Europa bläst

Facebook, Twitter und Co.: Datenrecherchen der SZ zeigen, wie Facebook Usern immer wieder die Mitgliedschaft in politischen Gruppen vorschlägt.

Datenrecherchen der SZ zeigen, wie Facebook Usern immer wieder die Mitgliedschaft in politischen Gruppen vorschlägt.

(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)

Trump heizt den Mob an, Twitter schaltet Trump ab - und die EU will vorschreiben, wie Social-Media-Unternehmen auf problematische Inhalte reagieren müssen.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Jannis Brühl

Der Sturm auf das Kapitol wirft netzpolitische Fragen auf: Soll und darf ein Social-Media-Unternehmen einen Staatschef stummschalten, wenn er wie US-Präsident Donald Trump zu Gewalt anstachelt? Wie können Facebook, Twitter, Youtube und Co. dazu gebracht werden, Drohungen schneller zu löschen, ohne die Meinungsfreiheit zu beschneiden? Nachdem mehrere Tech-Konzerne Trump und viele seiner Anhänger aus ihren Netzwerken verbannt haben, werden diese Fragen auch in Europa mit neuer Dringlichkeit diskutiert.

Wenn es nach dem Willen der EU geht, soll sie künftig der Gesetzgeber beantworten und nicht mehr die Netzwerke selbst. "Deren Geschäftsmodelle haben sich frei von allen Regeln entwickelt. Dort ist etwas gewachsen, das wir nicht mehr ignorieren können", sagt Pedro Siza Vieira, Portugals Wirtschaftsminister. Sein Land hat gerade die Europäische Ratspräsidentschaft übernommen. Die Konzerne sollen mit zwei Gesetzen unter Kontrolle gebracht werden, die die EU-Kommission im Dezember vorgeschlagen hat.

Das "Gesetz über digitale Dienste" (Digital Services Act, kurz DSA) soll für die EU einheitlich regeln, wie sich Plattformen verhalten sollen, wenn auf ihren Seiten verbotene Inhalte geteilt werden, etwa Aufrufe zur Gewalt: Wann wird etwas gelöscht, und wie können sich Nutzer gegen Löschungen wehren? Das zweite Gesetz (Digital Markets Act, kurz: DMA) betrifft vor allem Wettbewerbschancen kleinerer Plattformen. "Wenn wir jetzt keine Regeln finden, damit die digitalen Märkte sich entwickeln können, werden wir das bereuen", sagt Vieira. Portugal werde die Verhandlungen für beide Gesetze zügig vorantreiben.

Ein Minister nennt die Macht der Unternehmen "schockierend"

Der DSA soll die großen Konzerne auch verpflichten, "systemische Risiken" auf ihren Plattformen zu identifizieren und Vorschläge zu machen, wie diese minimiert werden können. Besonders gefährlich sei es, wenn Konten mit "besonders hoher Reichweite" solche Beiträge verbreiten - eine Definition, die auf Trump zutrifft, aber auch auf viele europäische Politiker. Aufrufe zur Störung von Wahlen oder Lügen über Impfstoffe könnten solche Risiken sein. Allerdings lässt der DSA offen, welche konkreten Inhalte auf den Netzwerken verboten sein sollen und welche nicht: Das soll weiterhin jeder Staat selbst entscheiden. Wie Plattformen mit Politikern vom Schlage Trumps umzugehen haben, wird auch künftig eine politische Frage bleiben.

Clément Beaune, Frankreichs Europaminister und Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron, sagte am Dienstag in Brüssel, von Trumps Äußerungen könne man halten, was man wolle. Es sei aber "schockierend", dass ein Privatunternehmen allein entscheiden könne, wer sich wo äußern darf. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon am Montag ausrichten lassen, es sei die Politik, die Regeln für die Plattformen festlegen müsse: "Die Komplettsperrung eines Accounts eines gewählten Präsidenten ist problematisch", sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.

Vize-Kommissionspräsident Thierry Breton nutzte den Sturm auf das Kapitol, um mit drastischen Worten für den DSA zu werben: Das Chaos in Washington sei das "9/11" der sozialen Medien, schrieb er in einem Gastbeitrag für Politico. So wie die Anschläge im Jahr 2001 die Sicherheitspolitik verändert hätten, habe sich nun die Rolle der sozialen Netzwerke schlagartig gewandelt. Indem sie Trumps Konten sperrten, hätten sie endlich ihre Pflicht anerkannt, "illegale virale" Inhalte einzudämmen. Breton schrieb, mit dem DSA habe die EU den ersten Schritt hin zu einer globalen Regulierung der Konzerne gemacht. Er bot dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden an, gemeinsam stimmige Regeln für die ganze Welt zu entwerfen.

Die Konzerne achten sehr darauf, was in Brüssel geschieht

Ben Scott ist überzeugt, dass ein Gesetz, wie es die EU-Kommission mit dem DSA vorgeschlagen hat, einen Gewaltausbruch wie am Kapitol verhindert hätte. Der US-Amerikaner arbeitete im Außenministerium unter Hillary Clinton und leitet heute die Lobbygruppe Reset in London, die die Macht der größten Tech-Konzerne eindämmen will. Er sagt: "Die Ereignisse in den USA zeigen, wie dringend die EU-Vorschläge umgesetzt werden müssen. Sie werden den Druck verstärken, DSA und DMA zu verabschieden."

Die Konzerne dürften ihre Regeln gegen bestimmte Inhalte schon vor Inkrafttreten verschärfen - wie schon bei der Datenschutzgrundverordnung, jenen EU-Regeln, denen globale Wirkung zugeschrieben wird. Niemand dürfe unterschätzen, dass die Konzerne genau verfolgen, was in Brüssel geschieht. Die EU sei ein Schmerzpunkt der Konzerne: "Das ist ein Markt von fast einer halben Milliarde Menschen. Als Australien Google und Facebook regulieren wollte, drohten sie, sich aus dem Land zurückzuziehen. Das werden sie in der EU sicher nicht tun. Dafür ist sie einfach zu groß."

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