Süddeutsche Zeitung

Soziales Netzwerk:Content-Moderatorin verklagt Facebook wegen Trauma

  • Eine Facebook-Moderatorin verklagt den Konzern, weil sie durch die Begutachtung verstörender und brutaler Inhalte traumatisiert worden sei.
  • Sie wirft dem Konzern vor, sie nicht ausreichend geschützt zu haben.
  • Die zentrale Forderung: ein Fonds, der die Untersuchung und Behandlung traumatisierter Moderatoren finanziert.

Von Johannes Kuhn, Austin

7500 Moderatoren in aller Welt will Facebook bis Ende dieses Jahres beschäftigen, direkt oder über Subunternehmen. Tendenz: steigend. Sie überprüfen gemeinsam jeden Tag mehr als eine Million Beiträge, die von einer Software oder Usern gemeldet wurden. Dabei entscheiden sie, was zulässig ist, und werden mit extremen Inhalten konfrontiert - von Verbalinjurien über Gewalt- und Sexualdarstellungen bis hin zu Suizid-Ankündigungen.

Dass diese Arbeit eine große psychische Belastung ist, wurde bereits häufiger von Medien dokumentiert (darunter vom SZ-Magazin im Jahr 2016). Nun zieht deshalb erstmals eine ehemalige Mitarbeiterin in den USA vor Gericht.

Wie Vice.com berichtet, reichte Selena Scola vergangenen Freitag in Kalifornien eine Schadenersatzklage gegen den Konzern ein. Sie war bis Anfang März dieses Jahres neun Monate für ein Subunternehmen in der Facebook-Zentrale in Menlo Park tätig. Scola gibt an, unter Symptomen posttraumatischer Belastungsstörung zu leiden. Dafür macht sie fehlende Vorbereitung durch Facebook sowie mangelhafte Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich.

Sie habe "Videos, Bilder und Livestreams von sexuellem Missbrauch an Kindern, Vergewaltigung, Folter, Bestialität, Enthauptungen, Suizid und Mord" überprüfen müssen, heißt es in der Klageschrift. Sie erlebe inzwischen Panikattacken, "sobald sie eine Computermaus berührt, ein kaltes Gebäude betritt, Gewaltdarstellungen im Fernsehen sieht, laute Geräusche hört oder erschreckt wird. Ihre Symptome werden auch dann ausgelöst, wenn sie sich an die drastischen Bilder erinnert, denen sie als Content-Moderatorin ausgesetzt war", heißt es weiter.

Forderung nach einem Fonds

Scolas Anwälte argumentieren, dass Facebook de facto Standards zur Arbeitsplatzsicherheit nicht eingehalten habe - im streng regulierten Kalifornien ein häufiger Klage-Anlass. Die zentrale Forderung ist ein unabhängig überwachter Fonds, der Moderatoren auf psychische Traumata untersucht und gegebenenfalls auch die Behandlung bezahlt.

Das Gericht soll nach dem Willen von Scolas Anwälten zulassen, dass der Fall Grundlage einer Sammelklage wird. Dann könnten sich weitere Mitarbeiter in Kalifornien ihr anschließen, sofern sie in den vergangenen drei Jahren als Facebook-Moderatoren gearbeitet haben.

Die Klage hat keine direkten Auswirkungen auf Facebook-Mitarbeiter in anderen Bundesstaaten oder Ländern wie Deutschland oder Regionen wie den Philippinen, Thailand oder Indien, wohin die Branche oft solche Tätigkeiten ausgelagert hat. Schätzungen zufolge verdienen weltweit inzwischen mehr als 150 000 Menschen ihr Geld mit der Moderation nutzergenerierter Inhalte.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte in den vergangenen Monaten angekündigt, mittelfristig auf die immer besseren Fähigkeiten lernender Software ("künstliche Intelligenz") bei der automatischen Erkennung und Löschung von problematischen Inhalten zu setzen.

Nicht die erste Klage dieser Art

"Wir erkennen an, dass diese Arbeit oft schwierig sein kann", erklärte ein Facebook-Sprecher zur Klage. Man unterstütze deshalb die Inhalte-Moderatoren mit Training, Zulagen und psychologischer Hilfe. Dazu seien auch Subunternehmer verpflichtet. Man evaluiere derzeit die geäußerten Behauptungen.

Details über ihre Arbeit nennt Scola in der Anklage nicht, die Anwälte begründen dies mit der Stillschweigevereinbarung, die direkt oder indirekt Beschäftigte mit Facebook abschließen müssen.

Der Facebook-Fall ist nicht die erste Klage von Content-Moderatoren in den USA. Auch zwei ehemalige Microsoft-Mitarbeiter verklagten vergangenes Jahr ihre Ex-Firma, auch sie verwiesen auf mangelnde Betreuung und posttraumatische Belastungsstörung.

Einer von ihnen äußerte in der Anklageschrift, mit der Bitte um Hilfe auf Ablehnung gestoßen zu sein. Die Verantwortlichen hätten ihm stattdessen geraten, häufiger Pausen zu machen, spazieren zu gehen und sich mit Videospielen abzulenken. Über die Klage wurde bislang noch nicht entschieden.

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