Facebook:Segnungen des Datensammelns

Facebooks Datensammlung ist nicht nur für Marketingzwecke interessant - sie kann auch für die Prognose politischer Meinungsumschwünge oder die Vorhersage von Verbrechen genutzt werden.

Niklas Hofmann

"Aber selbst was die unwichtigsten Kleinigkeiten angeht sind wir nicht etwa eine festgefügte Einheit, identisch für alle, etwas, das jedermann einsehen kann wie ein Lastenheft oder ein Testament; unsere soziale Persönlichkeit ist eine geistige Schöpfung der anderen."

Facebook Corporate Headquarters

Soziales Netzwerk Facebook: Mit einer Datenbank von einem Petabyte am Puls der Zeit.

(Foto: dpa)

So heißt es in Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", und so galt es, bis wir vor einigen Jahren freiwillig damit begonnen haben, dieses Lastenheft dann doch anzulegen, wie es der in England lehrende italienische Philosoph Luciano Floridi umschreibt.

Für ihn bietet Facebook im besten Falle "eine einzigartige Gelegenheit die Kontrolle über unsere soziale Identität" zu übernehmen. Unser epistemologisches Ich, also unser Bild von uns selbst, so Floridi, wirke schließlich stets auch auf unser ontologisches Ich, unsere "wahre" Identität zurück. Wir schreiben unser Lastenheft selbst.

Dann allerdings überreichen wir es feierlich Mark Zuckerberg, und wünschen eine vergnügliche Lektüre. Es ist ein kaum auflösbares Dilemma, dass der Vorgang der Selbstvergewisserung, der Hunderten Millionen Menschen so unverzichtbar geworden ist, untrennbar verbunden scheint mit der Selbstaufgabe, die darin besteht, dass wir uns und unsere sozialen Kontakte freiwillig in ein Unternehmensvermögen überführen.

Dass der Firma Facebook nun ein Milliardenwert zugerechnet wird, der nicht nur größer ist als der von Yahoo oder Ebay, sondern auch als der von Großkonzernen der alten Ökonomie wie BMW, ist vor allem ein Ergebnis von Erwartungen, die daran geknüpft sind, was digitale soziale Netzwerke mit den ihnen anvertrauten Identitäten vielleicht einmal zu tun in der Lage sein werden. Die Investoren setzen darauf, dass bei Facebook nach der rasanten Aufbauphase nun eher früher als später die Erntesaison beginnen muss.

Auswertung der Interaktion

Das Produkt von Facebook ist dabei natürlich nicht die Dienstleistung, die die Nutzer auf der Seite in Anspruch nehmen. Das Produkt sind (angeblich mittlerweile) 600 Millionen Menschen und ihre Kontakte zueinander.

Und der Schlüssel zum Erfolg wird für Zuckerberg anders als für Google wohl nicht allein im Verkauf von Anzeigen liegen, so wunderbar zielgerichtet sie bei Facebook auch eingesetzt werden können. Der IT-Branchen-Blog Business Insider weist auf Aussagen Zuckerbergs hin, nach denen das Rezept der in Form einer Umsatzbeteiligung kostenpflichtige Zugang ausgewählter anderer Anbieter zu diesen Nutzern wäre, basierend auf einer präzisen Auswertung von deren Interaktion.

Seit Monaten tingelt Jonathan Chang, der in der Datenforschungsabteilung von Facebook arbeitet, mit der Botschaft über wissenschaftliche Kongresse, dass Facebook die größte Datenbank angelegt habe - mehr als ein Petabyte - die der Sozialforschung je zur Verfügung gestanden habe.

Der amerikanische Philosophieprofessor Anthony F. Beavers zitiert Chang mit den Worten: "Ist es nicht cool, dass wir die politischen Neigungen jedes Einzelnen in unserem Datensatz von 500 Millionen Personen kennen?" Nun, das Wort "kennen" führt vielleicht etwas zu weit, aber zumindest kann sich Facebook dazu wohl bei jedem Nutzer eine begründete Vorhersage zutrauen.

Über Schlüsselworte in den Statusmeldungen, über die Vernetzung mit anderen Nutzern, deren politische Einstellungen bekannt sind, und die Identifikation von Meinungsführern lassen sich Muster erkennen und statistisch begründbar Annahmen treffen. Und in der Auswertung ist Changs Forschungsabteilung gewieft. So hat sie nach eigenen Angaben einen Algorithmus entwickelt, der zuverlässig den Aufenthaltsort eines Nutzers vorhersagen, und dabei jeden IP-basierten Ortungsdienst hinter sich lassen soll.

Wie Polizeibehörden Facebook nutzen

An Ideen dafür, wie sich die soziale Interaktion bei Facebook auch jenseits des Marketings für Dritte nutzbar machen lässt, mangelt es jedenfalls nicht. In verschiedenen amerikanischen Städten werten Polizeibehörden bereits Facebook- und Myspace-Profile aus, um Schwerpunkte des nächtlichen Partylebens ausfindig zu machen, an denen höhere Polizeipräsenz erforderlich sein könnte. Die sozialen Netzwerke werden auch benutzt, um das persönliche Umfeld von Verdächtigen zu sondieren und so weitere Verbrechen vorherzusagen.

Lightbank, die Investorengruppe, die mit dem Rabattangebote-Dienst Groupon erfolgreich einen weiteren aktuellen Liebling der Marktbeobachter (und einen der wichtigsten Kooperationspartner von Facebook) angeschoben hat, berichtet, dass zu ihren aktuellen Projekten ein Service gehöre, der die Freundeskreise in sozialen Netzwerken für das Erstellen von Kredit-Scorings auswerten könnte.

Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Menschen und ihre sozialen Kontakte sich in wichtigen soziodemographischen Faktoren stark ähneln. Wen die Aussicht schockiert, dass die eigene Kreditwürdigkeit in Zukunft von der Solvenz des Freundeskreises abhängen könnte, der mag sich damit trösten, dass diese Herangehensweise auch nicht ungerechter ist als die Eingruppierung nach Wohnlagen, wie sie bereits jetzt an der Tagesordnung ist.

Noch gar nicht absehbar ist dabei, welche Vermarktungsmöglichkeiten sich durch das Verknüpfen der Informationen aus sozialen Netzwerken mit Datenschnipseln aus der Offline-Welt ergeben.

Geradezu berüchtigt ist unter einer Reihe von vergleichbaren Diensten etwa Spokeo.com, eine vom Stanford-Absolventen Harrison Tang entwickelte Seite, die in den USA soziale Netzwerke und alle Arten öffentlich einsehbarer Register nach persönlichen Informationen durchforstet, und mit einem Mausklick ein Profil liefert, das zum Beispiel private Fotografien mit der Wohnadressse, dem Alter, Kontaktdaten, den verschiedenen Identitäten in Social Networks und sogar einem geschätzten Vermögen verbindet.

Keine Zuneigung zum Unternehmen

Noch sind die Ergebnisse häufig mehr als bescheiden (und mancher vermutet sogar, der eigentliche Zweck von Spokeo bestehe im Sammeln der E-Mail-Adressen all jener erschreckten Nutzer, die sich dort löschen lassen wollen). Aber die real existierende Möglichkeit, mit nur einer einzigen Abfrage bislang verstreute Online- und Offline-Daten verzehrfertig zusammenzuführen, lässt auch viele aus der Generation der Digital Natives mit einem gewissen Unwohlsein zurück. Ontologisches und epistemologisches Ich werden ganz unvermittelt miteinander verschmolzen.

Dabei sind die Nutzer oft widerspenstiger als die Strategen sich das wohl wünschen würden. Jede Lockerung der Voreinstellungen zum Schutz der Privatsphäre, die Facebook mit schöner Regelmäßigkeit und zumeist recht lautlos vornimmt, sendet Wellen von Hinweis-Postings durch das Netzwerk, in denen die Nutzer einander auf die Änderungen und die Möglichkeiten sie zu deaktivieren aufmerksam machen.

Die Nutzer lieben ihr Netzwerk, aber es gibt nicht in Ansätzen eine emotionale Zuneigung zu dem dahinter stehenden Unternehmen Facebook, wie das etwa bei Google oder Apple durchaus verbreitet ist. Zwischen Mark Zuckerberg und der halben Milliarde Menschen, die sich ihm anvertrauen, besteht genau das nicht: Vertrauen. Und David Finchers Film war sicher nicht dazu angetan, daran etwas zu ändern.

Kaum Auswanderer

Dennoch gibt es keine Facebook-Auswanderer. Als Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner im vergangenen Jahr demonstrativ ihren Account abstellte, ging sie allein. Es bleibt vorläufig eine Tatsache, dass Facebook einen Dienst anbietet, dessen Nutzen und Notwendigkeit sich zwar einem (wenn auch schrumpfenden) Großteil der Menschheit bis heute nicht erschließen mögen, der aber für andere in unvorstellbarer Geschwindigkeit zum relevanten Element ihres Selbstverständnisses geworden ist. Die dokumentierte soziale Interaktion, das Schreiben des eigenen Lastenhefts, sie ist zum Teil der Identität geworden.

Ob das allerdings für immer unter dem Dach des Hauses Zuckerberg und nach den Regeln seines Geschäftsmodells stattfinden wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das Internet und seine Ökonomie haben schließlich schon den Sturz ganz anderer Giganten gesehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: