Facebook Messenger:Zuckerberg schickt die Bots los

In Fernost haben Messenger und Chatbots normale Apps ersetzt. Facebook wittert die Chance, Google und Apple gefährlich zu werden.

Analyse von Johannes Kuhn, New Orleans

Das Smartphone-Zeitalter ist verrückt. Die Menschheit arbeitet seit der Urzeit der Kommandozeile daran, Text-Dialoge mit Computern überflüssig zu machen - und 2016 sind Chatbots plötzlich der Trend der Stunde.

Facebook öffnet seinen Messenger für "intelligente Konversations-Bots" und folgt damit dem Weg, den bereits kleinere Konkurrenten wie Kik oder Telegram gegangen sind. Der Messenger, in westlichen Gefilden eigentlich ein intimer Ort für den Austausch mit Freunden und Bekannten, wird nach Mark Zuckerbergs Vorstellung zur Kommunikationszentrale für ... nun, beinahe alles. Statt mit Partner, Familie und Freundeskreis chatten wir künftig mit Robotern von Marken und Shops, lassen uns Schuhe, Pizza und die Wettervorhersage liefern oder machen Termine aus. So zumindest die Theorie.

900 Millionen Menschen nutzen Facebooks Messenger. Jetzt erreicht sie der erste große Trend aus jenen Regionen, die bei der Digitalisierung Laptops übersprungen und direkt in der Mobil-Zeit gelandet sind: In Asien wickeln Nutzer der App Wechat schon seit Jahren Bestellungen, Job-Suche, Tutorials oder Bezahlungen über Mini-Programme in ihrer Chat-Software ab.

Messenger als Killer-App der Smartphone-Ära

Aus Wechat lässt sich auch Facebooks strategisches Interesse ableiten: Der Dienst des chinesischen Internet-Riesen Tencent hat viele reguläre Apps überflüssig gemacht und sich als "Betriebssystem über dem Betriebssystem" etabliert, dessen Mitteilungen den Homescreen bevölkern. Zuckerbergs blauer Riese könnte also einen entscheidenden Nachteil gegenüber Google und Apple kompensieren: Das Fehlen eines eigenen mobilen Betriebssystems inklusive App Stores.

Facebooks Extra-Zutat besteht aus lernender Software, eine Frühform künstlicher Intelligenz. Dort liegt auch der Paradigmenwechsel, der sich seit der Kommandozeile vollzogen hat: Früher mussten Nutzer erst lernen, mit Computern zu sprechen, um ihnen Befehle zu geben. Nun haben die Rechner gelernt, mit uns zu reden und sich dabei unseren Kommunikationsmustern anzupassen.

Doch warum sollten wir künftig ausgerechnet chatten wollen, wenn es Apps gibt? Facebook interpretiert die Signale des Marktes: Messenger haben sich als wichtigste App-Gattung der jungen Smartphone-Ära entpuppt, vergangenes Jahr benutzten 1,4 Milliarden Menschen mobile Chat-Software.

Chatbots, verbunden mit der physischen Welt?

Zugleich zeigt der Rest des App-Marktes deutliche Symptome der Sättigung. Immer weniger Programme erreichen einen dauerhaften Platz auf dem Homescreen oder werden so regelmäßig aufgerufen, dass sich die Entwicklung lohnt (ein Viertel aller heruntergeladener Apps wird nur ein einziges Mal verwendet). Facebooks Versprechen an die Developer: eine neue Chance, auf Hunderte Millionen neuer Kunden zu treffen - im Messenger, mit einer Chatbot-Anwendung.

Das ändert einiges: Im Gegensatz zu Apps lagern Chatbots nicht auf dem Speicher eines Smartphones, sondern in der Cloud - einer der Gründe, weshalb Microsoft als Rechenkraft-Anbieter seit kurzem Werkzeuge zur Bot-Programmierung zur Verfügung stellt. Es hofft, dass die Bot-Entwickler ihre Software auf Microsofts Servern speichern - und für diesen Service bezahlen.

Theoretisch sinkt damit die Hürde, ein neues Programm auszuprobieren. Telegram experimentiert mit einer aktuelleren Variante von QR-Codes (genau, die Codes, die niemand nutzen wollte), die Bots im Kontext der physischen Welt verankern sollen. Ein hypothetisches Szenario: Im U-Bahnhof ist ein Sticker angebracht. Ein Tourist kann durch das Scannen einen Chatbot aktivieren, der nicht nur über Fahrplan und Verspätungen Auskunft geben kann, sondern auch Tickets verkauft. Der mühsame Download der örtlichen Verkehrsbetriebe-App wird überflüssig.

Bots, nicht für jede Situation

Chatbot Kik

H&M-Chatbot im Kik-Messenger.

(Foto: Screenshot)

Das Beispiel zeigt allerdings auch, dass nicht jede Funktion "verbottet" werden muss. Wenn der Chat mit der U-Bahn-Software länger dauert, als eine Webseite zu öffnen oder eine SMS-Auskunft anzufordern, dann ist er überflüssig. Spart ein Chat im Vergleich zu einer Online-Reisebuchung im Web viele Klicks und die mühsame Eingabe von Kundendaten, hilft er. Erste Mini-Bots lassen sich deshalb weniger über Wortbefehle, sondern über eine Mehrfachauswahl an Antworten navigieren.

Einheitliche Designs zur Nutzerführung gibt es allerdings noch nicht. In den kommenden Monaten dürften - wie schon zu Beginn Apples App-Store - viele interessante und noch mehr schlechte oder überflüssige Chatbots den Messenger erobern, bevor sich wirklich sinnvolle Nutzungsszenarien zeigen.

Wildern im Gebiet von Siri und Google Now

Apps waren dem Web überlegen, sobald sie genuine Smartphone-Funktionen wie Sensoren oder die Push-Funktion nutzen; Chatbots werden Apps und dem Web dort gefährlich, wo sie Nutzern im Hintergrund Arbeit abnehmen, gleichzeitig aber nicht nerven. Damit wildern sie in jenem Gebiet, das eigentlich persönliche Assistenten wie Google Now (Android) oder Siri (iOS) besetzen wollen, die per Stimme bedienbar sind. Das könnte die Dominanz von Google und Apple gefährden.

Es ist es nur eine Frage der Zeit, bis Entwickler für die Betriebssystem-Assistenten eigene Hilfsprogramme schreiben können (auch wenn Apple damit den App Store schwächen würde). Diese Software hätte dann auch Zugriff auf die Systemfunktionen des Smartphones, eine Eigenschaft, die Facebooks Messenger-Assistenen M oder auch Microsofts Assistent Cortana schmerzhaft fehlt. Ob die "dialogische Nutzeroberfläche" (conversational UI) wirklich ein neues Prinzip begründen wird, lässt sich noch nicht seriös prognostizieren. Entkommen werden wir ihr jedoch nicht.

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