Facebook kauft WhatsApp für 19 Milliarden Dollar:Zuckerberg hat verstanden

Facebook verdient sein Geld mit dem Schaulaufen um Aufmerksamkeit - WhatsApp funktioniert ganz anders. Und wird genau deshalb jetzt übernommen. Wieso die Kommunikationssoftware Mark Zuckerberg insgesamt 19 Milliarden Dollar wert ist.

Eine Analyse von Pascal Paukner, San Francisco

In einem Büro in Mountain View im US-Bundesstaat Kalifornien hängt ein bemerkenswertes Blatt Papier. Es ist liniert mit Rand. Man könnte es für einen ganz gewöhnlichen Notizzettel halten. Doch es ist viel mehr. Drei Sätze sind darauf niedergeschrieben, mit blauer Tinte. Jeder von ihnen endet mit einem Ausrufezeichen. No ads! No games! No gimmicks! Also: Keine Werbung, keine Spiele, keine ablenkenden Zusätze.

Es ist das Manifest eines Mannes, der nun zu den Wichtigsten gehört, die es in der Technikindustrie gibt: Jan Koum ist der Erfinder der Kommunikationssoftware WhatsApp. Er hat sich die Sätze an den Schreibtisch gepinnt, jeden Tag wollte er sich dran erinnern. Diese Standhaftigkeit zahlt sich nun aus. Insgesamt 19 Milliarden Dollar - so viel ist das, was Koum geschaffen hat, nach Ansicht von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wert.

Facebook kauft WhatsApp. Seit Jahren hat es in der Technikindustrie keine größere Nachricht gegeben. Noch niemals hat ein Start-up für so viel Geld den Besitzer gewechselt, sagen Analysten.

450 Millionen aktive Nutzer hat WhatsApp laut eigenen Angaben. Mehr als 70 Prozent davon nutzen den Service täglich. Jeden Tag melden sich mehr als eine Million Menschen neu an. 19 Milliarden Nachrichten werden jeden Tag verschickt. Fast doppelt so viele werden empfangen, da viele die App benutzen, um als Gruppe zu chatten.

WhatsApp gibt es seit fünf Jahren - es ist ein Triumph

WhatsApp hat innerhalb von fünf Jahren eine Kommunikationsmaschinerie aufgebaut, die auf wundersame Weise von gerade einmal 31 Software-Ingenieuren am Laufen gehalten wird. Das fünf Jahre alte Unternehmen ist ein Triumph. So gewaltig, dass Facebook ihn schon lange nicht mehr ignorieren konnte.

Seit langem gibt es Übernahmegerüchte. Google hat es versucht, Facebook hat mehrfach angeklopft. Doch lange hatte sich WhatsApp-Gründer Koum geweigert. Er wollte nicht verkaufen, sondern sein Ding machen.

Noch vor wenigen Wochen trat der 37-Jährige bei der Internetkonferenz DLD in München auf. Von einer Übernahme war damals keine Rede. Koum pries seine Unabhängigkeit und er tat es überzeugend. Doch vor wenigen Tagen nun rief Zuckerberg erneut an.

Diesmal hatte er so viel Kohle aufgebracht, dass selbst ein Idealist wie Koum schwach wurde. Er sagte zu. Jetzt gehört WhatsApp zu Facebook - und das Interessanteste an dieser Meldung sind gar nicht einmal die imposanten Zahlen.

Was Facebook von WhatsApp lernen kann

Es ist die Ansage von Mark Zuckerberg, dass er verstanden hat. Dass Facebook mitmacht beim Kulturwandel, den WhatsApp so erfolgreich vorhergesehen hatte: mobile Kommunikation.

Als WhatsApp im Jahr 2009 gegründet wurde, da dachten die meisten Internetunternehmer noch, sie müssten vor allem einen überzeugenden Webauftritt basteln. Das Smartphone? Ja, auch wichtig. Aber erst einmal wollten sie ihr Produkt für den Schreibtischrechner konzipieren. Auch Mark Zuckerberg dachte lange Zeit so.

Koum und sein Mitgründer Brian Acton hielten davon nicht viel. Sie wählten den radikalen Ansatz und bauten nur für das Smartphone. Rechner und Laptops? Egal. Die Macher setzten umso konsequenter auf die mobile Welt. WhatsApp mag nicht hübsch sein, aber es ist gut designt.

Wer schon einmal eine SMS verschickt hat, versteht schnell, wie das Programm funktioniert. Man gibt seine Telefonnummer ein, schon kann es losgehen. Gimmicks und Spielereien - das gibt es nicht. Warum auch? Koum hatte erkannt, dass Kommunikation am besten funktioniert, wenn sie authentisch ist.

Wen schreiben die Menschen in ihr Smartphone-Adressbuch? Ihre besten Freunde. Wie halten die Menschen ihre Erlebnisse fest? Mit der Kamera ihres Smartphones. Wo zeigen sie, wie sie wirklich sind? Im Gespräch unter vier Augen oder in kleinen Gruppen. All diese Ideen sind in WhatsApp verwirklicht.

Das Programm ist viel mehr als der SMS-Ersatz, für den es immer gehalten wird. WhatsApp schlug dort zu, wo Facebook besonders angreifbar war. In Facebooks Zentrum stand nie die private Kommunikation. Es war immer ein Schaulaufen um Aufmerksamkeit. Auf der Startseite, im Nachrichtenstrom, zeigen sich Menschen von ihrer besten Seite. Sie konkurrieren dort mit ihrem sozialen Umfeld um Aufmerksamkeit. Aber auch mit Promis, Modemarken, Nachrichten und Werbeanzeigen.

Doch die meisten Menschen leben keinen Jetset. Sie gehen jeden Tag zur Arbeit, essen Käsebrot und fahren mit 80 Kilometern in der Stunde auf der Landstraße. Nichts von dem ist so spektakulär, dass man es beständig nach draußen posaunen möchte. Aber man möchte es mit seinem Partner besprechen, seinen Geschwistern, Kollegen oder dem Kegelverein. WhatsApp bietet einem die Möglichkeit dazu.

Die Übernahme von WhatsApp zeugt davon, dass Mark Zuckerberg erkannt hat, dass er Facebook auf zwei Prinzipien aufbauen muss. Es wird auch künftig ein halb öffentliches Facebook geben. Dort ist die Heimat für die besten Erlebnisse, die großen Momente im Leben. Dort lässt sich auch Werbung platzieren.

Neben dieses öffentliche Facebook wird aber auch ein privates Facebook treten. Dort ist Platz für den Alltag, Klein-Klein und das Gequatsche. Keine Werbung, keine Spiele, keine Gimmicks. So soll es sein. Nun muss nur noch die Wall Street mitspielen.

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