Süddeutsche Zeitung

Judenhass auf Facebook:Keine Plattform für Antisemiten zu sein, reicht nicht

Mark Zuckerberg will nach jahrelanger Kritik Holocaustleugnung auf der Plattform verbieten. Doch der Schaden ist bereits entstanden.

Kommentar von Simon Hurtz

Mark Zuckerberg hat mehr als 800 Tage gebraucht, um es sich anders zu überlegen. 2018 erklärte er, warum Facebook Holocaustleugnung nicht löscht. Zusammengefasst: Alle Menschen machten Fehler. Es müsse erlaubt sein, falsche Dinge zu schreiben. Am Montag gestand Zuckerberg ein, dass er mit dieser Einschätzung wohl selbst falsch lag. Facebook wird es künftig nicht mehr dulden, dass Nutzerinnen und Nutzer die Shoa verharmlosen. Bislang wurden solche Inhalte nur in Deutschland und einigen anderen Ländern gesperrt, in denen Holocaustleugnung als Volksverhetzung gilt. Die neuen Richtlinien gelten nun weltweit.

Aus dem Sinneswandel des Facebook-Gründers lassen sich drei Dinge über ihn und sein Imperium lernen. Erstens: Zuckerberg ist lernfähig. Zweitens: Besser spät als nie kann trotzdem zu spät sein. Drittens: Kein Mensch sollte allein über Regeln bestimmen, die fast drei Milliarden Menschen betreffen.

Als Zuckerberg vor 16 Jahren Facebook gründete, gab er seinem Team einen Leitsatz mit auf den Weg: "Move fast and break things." Wenn man nichts kaputtmache, bewege man sich zu langsam vorwärts, bekräftigte er später in einem Interview. Diese Sorge war unbegründet. Facebook ist rasant gewachsen und hat viele Dinge kaputt gemacht. Doch ausgerechnet mit Entscheidungen, die keinen Aufschub dulden, lässt sich Zuckerberg oft quälend lang Zeit. Er habe seine Meinung geändert, weil er Daten gesehen habe, die zeigten, dass antisemitische Gewalt zugenommen habe, sagt er. Für die Erkenntnis, dass seine eigene Auslegung von Meinungsfreiheit womöglich dazu beträgt, dass sich Vorurteile und Antisemitismus verbreiten, wären keine Daten nötig gewesen. Es hätte gereicht, auf Dutzende Organisationen und Verbände zu hören, die seit Jahren appellieren, Facebook dürfe Menschenwürde nicht der Redefreiheit unterordnen.

Erkenntnisse, die Zuckerberg früher hätte haben können

Das Gleiche gilt für eine Reihe anderer Regeln, die Facebook in den vergangenen Monaten geändert hat. Die Plattform geht nun etwa härter gegen rechtsradikale Milizen vor, schränkt politische Werbung ein und verbannt die zunehmend gewaltbereiten Anhänger der Verschwörungserzählung QAnon. Diese Entscheidungen waren überfällig - und alle kommen zu einem Zeitpunkt, an dem das Problem so offensichtlich wurde, dass Facebook nicht mehr wegsehen konnte. In drei Wochen wird in den USA gewählt. Sollte danach das befürchtete Chaos ausbrechen, liegt das in erster Linie an Donald Trump und Medien wie Fox News. Studien zeigen, dass die Lügen des US-Präsidenten und deren Verbreitung durch rechte Medien maßgeblich zu Verunsicherung und Polarisierung beigetragen haben.

Trotzdem hat Zuckerberg eine Mitverantwortung: Es mag ja sein, dass er wirklich davon überzeugt ist, dass Redefreiheit im Zweifel über anderen Grundrechten stehen solle. Das macht die Konsequenzen aber nicht weniger gefährlich. Die Plattform duldet solche Inhalte nicht nur, teils verschaffen ihnen Facebooks Empfehlungslogiken zusätzliche Aufmerksamkeit. Wer nach harmlosen Hausmitteln sucht, landet mit wenigen Klicks in einer Gruppe militanter Impfgegner. Einzelne Richtlinien zu ändern und Extremisten nicht länger ein Mikrofon unter die Nase zu halten, ist ein Anfang. Facebook muss die neuen Regeln nun auch durchsetzen und seine Algorithmen entgiften, um die Demokratie zu schützen. Es wäre fatal, wenn Zuckerberg sich damit erneut zwei Jahre Zeit ließe.

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