Süddeutsche Zeitung

Interne Debatte im Daten-Konzern:Facebook, Trump und das Schlangenöl

  • Die New York Times hat ein von Facebook-Manager Andrew Bosworth verfasstes, internes Memo veröffentlicht.
  • Das Memo ermöglichen einen seltenen Einblick in die Gedankenwelt eines Menschen, der maßgeblichen Einfluss auf Facebooks Entscheidungen hat.
  • Bosworth schreibt darin, dass er als überzeugter Liberaler "verzweifelt" in Versuchung sei, eine Wiederwahl Trumps zu verhindern. Dafür dürfe Facebook seine Möglichkeiten, Wahlen zu beeinflussen, aber nie nutzen.

Von Simon Hurtz, Berlin

Was Mark Zuckerberg von Donald Trump hält, ist nicht bekannt. Angeblich soll er dem US-Präsidenten beim privaten Abendessen gratuliert haben, dass dieser "die Nummer 1 auf Facebook" sei. Das behauptet jedenfalls Trump selbst - der allerdings nach Zählung der Washington Post schon mehr als 15 000 Lügen und irreführende Behauptungen in die Welt gesetzt hat, seit er im Amt ist.

Ob der Facebook-Chef Trump eine zweite Amtszeit wünscht, bleibt geheim. Dass sich einer von Zuckerbergs wichtigsten Mitarbeitern nach einem demokratischen Präsidenten sehnt, ist nun bekanntgeworden. Als überzeugte Liberaler sehe er sich "verzweifelt" versucht, alles dafür zu tun, um Trump zu verhindern, schreibt Facebook-Manager Andrew Bosworth in einem internen Memo, das der New York Times zugespielt und später auch von Bosworth selbst verbreitet wurde. Aber er warnt seine Mitarbeiter: Die Werkzeuge, die ihnen zur Verfügung stünden, dürften sie niemals nutzen, um Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen. "Sonst werden wir zu dem, was wir fürchten."

Bosworths "Gedanken für 2020" waren eigentlich nur für Facebook-Angestellte bestimmt. Jetzt sind sie öffentlich und ermöglichen einen seltenen Einblick in die Gedankenwelt eines Menschen, der maßgeblichen Einfluss auf Facebooks Entscheidungen hat.

Bosworth war während der US-Wahl 2016 für Facebooks Anzeigengeschäft zuständig. Heute leitet er die Sparte für virtuelle und erweiterte Realität. Er gilt als enger Vertrauter Zuckerbergs, sein Wort hat Gewicht. Deshalb lohnt es sich, das geleakte Memo genauer zu betrachten - von Selbstkritik über Medienkritik bis zu Lob für Trumps Strategie.

Warum Trump wirklich gewonnen hat

"Ich bin kein Fan von Trump", schreibt Bosworth. Er habe die maximal mögliche Summe an Hillary Clinton gespendet. Dennoch müsse man die "unglaublichen Arbeit" anerkennen, die Trump und sein Kampagnenmanager Brad Parscale geleistet hätten. "Er wurde gewählt, weil er die beste digitale Anzeigenstrategie hatte, die ich je gesehen habe." Trump habe nicht gewonnen, weil er Falschinformationen verbreitete, sondern weil er Facebooks Werkzeuge bestmöglich nutzte.

Analyse: Bosworths Behauptung lässt sich kaum überprüfen, ohne Zugang zu Facebooks internen Daten zu haben. Es ist aber unbestritten, dass Trump 2016 viel Geld in seine Digitalstrategie und insbesondere seine Facebook-Kampagne investierte. Er setze auf emotionale Ansprache und Anzeigen, die Clinton möglichst schlecht dastehen lassen sollten - auch mit unwahren Behauptungen.

Ein aktuelles Beispiel zeigt Trumps Strategie: In den vergangenen Tagen schaltete er Hunderte Anzeigen, in denen er sich damit brüstete, den iranischen General Qassem Soleimani getötet zu haben. "Dank des entschiedenen Handelns unseres Anführers, ist er keine Gefahr mehr für die Vereinigten Staaten" wirbt Trump. Allein in den vergangenen 30 Tagen gab Trump 2,3 Millionen Dollar für Facebook-Anzeigen aus. Das ist deutlich mehr als alle demokratischen Präsidentschaftsbewerber investieren

Welche Rolle Russland und "Fake News" spielten

Die meisten Medien hätten den russischen Einfluss auf den Wahlausgang falsch dargestellt, glaubt Bosworth. Russland habe sehr wohl versucht, Wähler zu manipulieren, doch Wahlwerbung auf Facebook sei dabei nicht der Hauptfaktor gewesen. "100 000 Werbedollar können ein mächtiges Werkzeug sein, aber dafür kann man keine US-Wahl kaufen", schreibt Bosworth. "Erst recht nicht, wenn die Kandidaten selbst ein Vielfaches dieser Summe investieren." Ausländische Propaganda lasse sich niemals ganz verhindern, aber Facebook habe signifikante Fortschritte gemacht.

Ohnehin sei in der öffentlichen Diskussion einiges durcheinandergeraten. Der Großteil der Falschinformationen, die auf Facebook im Umlauf waren, sei nicht politisch, sondern ökonomisch motiviert gewesen. Das Unternehmen hätte Facebook-Seiten, die Nutzer mit frei erfundenen Nachrichten auf Webseiten voller Werbung lockten, früher und konsequenter abstrafen sollen.

Analyse: Bosworth ist mit dieser Meinung nicht allein. Auch Facebooks ehemaliger Sicherheitschef Alex Stamos, der heute in Stanford unterrichtet und seinen Ex-Arbeitgeber teils drastisch kritisiert, stimmt Bosworth zu. Tatsächlich wurde viel über russische Trolle geschrieben, ohne dass es Belege für die Wirksamkeit der Propaganda gab, die sie verbreiteten.

Warum Cambridge Analytica überschätzt wird

Seit einigen Tagen ist die dubiose Datenfirma erneut in den Schlagzeilen, weil neue Dokumente veröffentlicht wurden. Sie sollen zeigen, dass Cambridge Analytica nicht nur die US-Wahl 2016, sondern Abstimmungen auf der ganzen Welt manipuliert hat. Bosworth hält die Aufregung für übertrieben: "Tatsächlich ist Cambridge Analytica ein totales Nicht-Ereignis", schreibt er. "Sie haben Schlangenöl verkauft. Ihre Werkzeuge haben nicht funktioniert. Alles, was sie über sich selbst behauptet haben, ist Unsinn." "Schlangenöl" mit angeblich magischen Fähigkeiten verkauften Betrüger im 19. Jahrhundert, heute steht der Begriff in der IT-Szene für teure, aber wirkungslose Software.

Fast alle Details über Cambridge Analytica, die öffentlich diskutiert wurden, seien falsch. "Aber können wir die Presse einfach ignorieren?", fragt Bosworth. "Nein!" Facebook habe es dem Unternehmen zu einfach gemacht, an Nutzerdaten zu gelangen. Der leichtfertige Umgang mit sensiblen Informationen rechtfertige die Kritik an Facebook.

Analyse: Die Schauergeschichte über "Microtargeting", "Psychometrie" und andere zwielichtige Methoden, mit denen Cambridge Analytica massenhaft Wähler beeinflusst haben soll, hält sich schon viel zu lange. Ein Großteil der Behauptungen stammt aus den PR-Unterlagen der mittlerweile insolventen Firma. Es gibt viele Gründe, warum Trump die Wahl gewonnen hat - Cambridge Analytica ist sicher nicht der entscheidende.

Wie Facebook mit Politikern umgehen sollte

Facebook arbeitet mit externen Faktenprüfern zusammen, die Beiträge mit Anmerkungen versehen können, wenn diese Falschbehauptungen enthalten. Das gilt allerdings nicht für Politiker. Wer für ein politisches Amt kandidiert, darf auf Facebook fast alles unwidersprochen behaupten. Im Gegensatz zu Unternehmen wie Twitter und Google macht Facebook nicht einmal Ausnahmen für Werbeanzeigen: Politiker dürfen dafür bezahlen, dass Lügen ein größeres Publikum finden.

Medien vermuten dafür oft ökonomische Motive. Als ehemaliger Leiter von Facebooks Anzeigengeschäft könne er "in diesem Fall mit Sicherheit sagen, dass die Kritiker falsch liegen", schreibt Bosworth. Bei der Regulierung politischer Werbung gehe es nicht um Geld.

Analyse: Hier liegt Bosworth voll auf Linie mit seinem Chef. Zuckerberg betont seit Monaten, dass Facebook nicht selbst über Lüge und Wahrheit entscheiden solle, erst recht nicht bei Politikern. Diese Auffassung teilen aber offenbar nicht alle Mitarbeiter. Der New York Times zufolge hätten Dutzende Angestellte in den Kommentaren unter Bosworths Beitrag widersprochen, nachdem der seinen Text in einem internen Netz geteilt hatte. Für Politiker sollten ihrer Meinung nach dieselben Regeln gelten wie für alle anderen Nutzer.

Alle Macht den Schamlosen

Bosworth sieht die größte Gefahr darin, dass Facebook seine Macht nutzt, um politischen Einfluss auszuüben, und gibt zugleich zu: "Ist Facebook dafür verantwortlich, dass Trump gewählt wurde", fragt Bosworth an einer Stelle seines Memos. "Ich glaube, die Antwort lautet ja."

Die größte Kommunikationsplattform der Welt hat die Macht aus der Hand gegeben - an jenen Politiker, der seinen digitalen Wahlkampf am schamlosesten auf Emotionen, Unterstellungen und persönliche Angriffe ausrichtet.

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