Exoskelette:Mensch-Maschinen gegen Rückenschmerzen

Exoskelette

Abheben kann man mit dem Exoskelett "Mate" nicht, aber es hilft den Trägern, Arbeiten über Kopf auszuführen.

(Foto: OH)

Roboter können den Menschen in der Arbeitswelt noch längst nicht ersetzen. Aber Mensch-Maschinen können ihn unterstützen - als Exoskelette. Deutsche Start-ups mischen im boomenden Markt mit.

Von Mirjam Hauck

Wer sich einmal wie Ellen Ripley fühlen möchte, wenn sie die Alien-Königin dank eines tragbaren Roboters im gleichnamigen James Cameron-Klassiker besiegt, sollte sich den Cray X überziehen. Das Exoskelett des Augsburger Herstellers German Bionic ist zwar nicht ganz so martialisch wie das legendäre Filmobjekt. In ihm stecken aber auch Kräfte, die den Träger ungleich stärker machen. Angezogen wird es wie ein großer Trecking-Rucksack. Im Rückenteil und an den Hüften trägt man dann aber nicht Schlafsack und Wasserflaschen, sondern in den Metall- und Plastikgehäusen sind vielmehr Motoren, Sensoren und ein Akku verbaut.

Festgeschnallt wird die recht schwere Acht-Kilo-Mensch-Maschine mit Gurten an Brust, Rumpf und Oberschenkeln. Metallbügel über den Beinen sollen für mehr Standfestigkeit sorgen. Damit dass Gerät weiß, dass man ein Gewicht man hochheben muss, muss man sich noch eine Smartwatch und einen Sensor über den Arm streifen. Und dieser reagiert sofort, wenn man in die Hocke geht, nach einem Gegenstand greift oder nur eine Faust macht. Das Gerät zieht einen sofort nach oben und in die Senkrechte. Und die Zehn-Kilo-Hantel, nach der man auf dem Boden greift, wird plötzlich federleicht.

Exoskelette wurden einst vom US-Militär erfunden, damit Soldaten schneller laufen und schwere Gewehre einfacher tragen können. Mittlerweile sollen sie vor allem Arbeiter entlasten. Auf dem boomenden Markt gibt es sogenannte passive Exoskelette, die mittels einer Federmechanik den Träger unterstützen, aktive Exoskelette haben einen Motor, der entweder elektrisch, pneumatisch oder hydraulisch arbeitet.

Wenn langes Stehen ermüdet

Die Nachfrage nach den Hilfsmitteln steigt. So prognostizieren die Marktforscher von BIS Research bis 2016 ein Marktvolumen von 4,65 Milliarden Dollar. Die Exoskelette können vor allem da eingesetzt werden, wo sich der Mensch eben nicht durch Roboter ersetzen lässt, weil die Tätigkeit auch für vermeintlich intelligente Maschinen zu komplex ist. Der arbeitende Mensch kann allerdings entlastet werden, weil schwere Lasten den Rücken kaputt machen, zu langes Stehen ermüdet oder über Kopf arbeiten die Arme schwer werden lässt. Und neben den großen Playern wie Panasonic mischen mittlerweile auch deutsche Start-ups bei den futuristisch anmutenden Maschinenanzügen für die Industrie mit.

German Bionics aus Augsburg ist aus einem EU-Forschungsprojekt hervorgegangen, ihr Exoskelett unterstützt den Menschen aktiv beim Tragen von Lasten bis zu 15 Kilogramm. Das heißt, das Exoskelett verstärkt, übernimmt aber nicht vollständig das Gewicht von beispielsweise schweren Waren und Verpackungen, um so auch einen Muskelabbau beim Träger zu vermeiden. Das Modell gibt es in zwei Größen für Menschen zwischen 1,50 und 2 Metern. Das Exoskelett kostet 40 000 Euro, Zielgruppe sind Firmen aus der Industrieproduktion, der Logistik und Automobilhersteller. Umsatz- und Produktionszahlen nennt das Unternehmen nicht, aber die Auftragsbücher seien voll, sagt Unternehmenssprecher Eric Eitel. Man bekomme auch immer wieder Anfragen aus dem militärischen Bereich. Eine Zusammenarbeit lehne man aber ab, weil das nicht den Werten der Firma entspreche.

Es müssen nicht immer Motoren sein

Ebenfalls nur für die Industrie fertigt die Firma Noonee aus dem schwäbischen Deizisau ihren "Chairless Chair". Gegründet haben sie vor drei Jahren drei ehemalige Studenten der ETH Zürich. Ein Gründer war bei einem Ferienjob in der Verpackung aufgefallen, wie ungemütlich und unbequem das lange Stehen ist. Gerne hätte er sich ab und an hingesetzt. So entstand die Idee zu dieser Sitzgelegenheit mit zwei Beinen, die sich am eigenen Körper festschnallen lässt. Das Exoskelett wiegt vier Kilogramm und kommt ohne Motor aus, die Sitzhöhe lässt sich individuell einstellen, sodass sich der Körperschwerpunkt verlagert und der Mensch quasi sitzt, weil das Gerät ihm das Gewicht abnimmt. "Acht Stunden stehen ist nicht gesund, acht Stunden sitzen auch nicht", sagt Lars Schilling, CEO von Noonee.

Exoskelette

Dieses Exoskelett enthält Motoren, die beim Tragen von Lasten unterstützen.

(Foto: OH)

Mit Exoskeletten könnten Unternehmen für die Gesundheit und eine gute Work-Life-Balance der Mitarbeiter in der Industrieproduktion sorgen, wie Schilling sagt. "War es früher normal, dass Mitarbeiter vom Acht-Stunden-Tag erschöpft waren, möchten sie heute nach einem Arbeitstag noch mit dem Rad in den Biergarten fahren". Das Gerät kostet 3750 Euro, zum Kundenstamm im mittleren dreistelligen Bereich gehören auch die großen Automobilhersteller.

"Muscular Aiding Tech Exoskeleton"

Weniger Work-Life-Balance sondern die Produktivität der Mitarbeiter hat die italienische Firma Comau, eine Fiat-Chrysler-Tochter, mit ihrem neuen Exoskelett im Blick. Das Exoskelett nennt sich Mate, ein Akronym für "Muscular Aiding Tech Exoskeleton". Das knapp drei Kilogramm schwere Gerät wird über den Kopf angezogen und sitzt dann auch ähnlich wie ein kleiner Rucksack am Körper. In den Bauteilen an Armen und Schultern sind keine Batterien oder Motoren eingebaut sondern Federn. Sie sollen vor allem beim Überkopfarbeiten an einer Fertigungslinie dafür sorgen, dass Schultern und Arme nicht zu schnell erlahmen. Das heißt, die Federn ziehen die Arme nach oben oder halten sie einfacher in der Waagerechten. Das funktioniert erstaunlich gut und das Gerät sitzt bequem und ist leicht. Allerdings merkt ein Nutzer, der diese Körperpartien selten im Einsatz hat, recht schnell, dass es tatsächlich Muskeln in der Schulter gibt.

Entwickelt hat es die Firma in eineinhalb Jahren zusammen mit den eigenen Mitarbeitern aus der Fertigung. Dadurch habe man immer Rückmeldung bekommen, was verbessert werden sollte, sagt Marketingchef Tobias Daniel. So können jetzt beispielsweise die textilen Teile einfach ausgetauscht und gewaschen werden. Das Exoskelett kostet knapp unter 5000 Euro. Rund 2000 bis 3000 Stück will die Firma pro Jahr verkaufen.

Vorbild bei Exoskeletten sind für die Europäer japanische Unternehmen wie Panasonic. Schon seit 2003 entwickelt der Konzern in der eigenen Teilfirma Atoun die Hilfsmaschinen für Menschen. "Wir streben eine chancengleiche Gesellschaft an, in der die Menschen unabhängig von Alter und Geschlecht arbeiten können", sagt Hiromichi Fujimoto, Präsident von Atoun.

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