Notiz-App Evernote:"Software-Firmen sind wie Haie"

Notiz-App Evernote

Aufgeräumt: Die neue Oberfläche der Notiz-App Evernote für Apples Mobilbetriebssystem iOS.

(Foto: Evernote/Evernote/oh)

Die Notiz-App Evernote war erfolgreich, doch die Weiterentwicklung stockte. Der neue Chef fasste deshalb einen ungewöhnlichen Entschluss - und ließ die App komplett neu schreiben.

Von Helmut Martin-Jung

Der Elefant war schuld, zumindest ein bisschen: "Als ich 2018 überlegt habe, ob ich den Job mache", erzählt Ian Small, "da fragten meine Kinder: 'Ist das die App mit dem Elefanten?'" Eine App für Wissensarbeiter, die sogar Kinder kennen? Also wurde Small Chef von Evernote.

Die Software-Firma mit dem einprägsamen Logo gibt es schon ziemlich lange. Trotz einiger Konkurrenz liefen die Geschäfte gut, die Evernote-App führte die Konkurrenz auf ihrem Feld an, aber dann zeigte sich mehr und mehr: "Wir waren irgendwie stecken geblieben", sagt Small, "technische Probleme mit der App und der Cloud behinderten uns."

Ein Nebeneffekt des Erfolges sei das gewesen, um die Bedürfnisse der bestehenden Kunden zu erfüllen, wurde die technische Weiterentwicklung vernachlässigt. Es gab Unterschiede bei der Bedienung der Apps, abhängig davon, auf welchem Gerät man sie nutzte, die Datenbank genügte modernen Anforderungen nicht mehr.

"Wir konnten unser Geschäft intakt halten"

Small fand, so könne es nicht mehr weitergehen. Und fasste einen sehr ungewöhnlichen Entschluss. Die App sollte von Grund auf neu geschrieben werden, und zwar während der Betrieb der bisherigen Versionen - es gibt die App auch für Computer - weiterlief. Small selber nennt die Entscheidung "unkonventionell", man könnte auch sagen: Wahnsinn. Ein ungeheurer Ritt war es in jedem Fall, und einer, auf den die Nutzer der App auch vorbereitet wurden. "Wir schrieben den Kunden, dass wir uns Zeit nehmen, die Probleme zu beseitigen. Das gab uns den Raum, die ganze Arbeit zu tun." Zwischendrin informierte Evernote die Nutzer auch über den Stand der Dinge, um sie bei der Stange zu halten. Man sei also nicht einfach nur untergetaucht.

Das Erstaunliche: "Wir konnten unser Geschäft intakt halten, im vergangenen Jahr sind wir sogar ein bisschen gewachsen." Das Geschäft von Evernote, eine sehr einfache Sache eigentlich: "Wir verkaufen Software, wir wollen keine Daten zu Geld machen." 90 Prozent der Nutzer sind Privatleute, die den Dienst abonnieren, um sich "eine Art zweites Gehirn" zu schaffen.

Notizen, Fotos, Dokumente - alles geordnet und leicht wieder auffindbar. Die restlichen zehn Prozent sind Firmen-Accounts, die Unternehmen für ihre Mitarbeiter bezahlen. 250 Millionen Nutzer weltweit hat das Unternehmen aus Redwood City in Kalifornien, das 280 Mitarbeiter beschäftigt, die Apps gibt es in 25 Sprachen.

Evernotes Entscheidung, die neuen Apps neben dem laufenden Betrieb zu entwickeln, war nicht bloß wegen der großen Belastung ein Problem, sondern deshalb, weil das Unternehmen ja Unmengen von Daten seiner Kunden gespeichert hatte. "Aber die", sagt Small, "waren in einer Datenbank alter Machart abgelegt, wir mussten sie in eine schnell erweiterbare Cloud transferieren."

Die Menge an Daten war eine Herausforderung

Was nicht so einfach ist, wie sich das anhört. Denn es ging ja um Livedaten. Oft sei es vorgekommen, dass Daten just in dem Moment geändert wurden, als sie auf die neue Infrastruktur kopiert werden sollten. Außerdem war natürlich auch die schiere Menge an Daten eine Herausforderung.

Als erste ist die neue App für Apples Mobilbetriebssystem iOS fertig, sie ist seit Kurzem verfügbar, die anderen für Android, Windows und MacOS sollen bald folgen, vermutlich in einigen Wochen. Die neuen Apps seien benutzerfreundlicher und konsistenter, sagt Small. Es mache keinen Unterschied mehr, ob man eine Funktion auf einem Windows-Laptop oder einem Apple-Handy verwende, sie sei immer gleich zu finden.

Anders als früher haben die Apps nun viel Code gemeinsam, das macht es leichter, sie weiterzuentwickeln. Denn das ist ein erklärtes Ziel von Small, regelmäßig neue oder verbesserte Funktionen anzubieten. "Wir wollen kein Jumbo-Jet mehr sein, sondern eher wie ein Kunstflugzeug, das auch mal ein paar Loopings fliegen kann."

Besonders will Small vermeiden, dass man wieder in Stillstand gerät, das könne man sich heute einfach nicht mehr leisten. Denn: "Software-Firmen sind wie Haie. Wenn sie sich nicht fortbewegen, sterben sie."

Zur SZ-Startseite
Rocketbook Everlast, Bild vom Pressegerät

Braucht man das?
:Wiederverwendbares Notizbuch

Digitalisierung hin, Digitalisierung her, Stift und Papier haben überlebt - aus gutem Grund. Das Rocketbook Everlast will eine Alternative sein, aber so ganz überzeugt es nicht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: