Medienpolitik:Europas Traum von der Digitalmacht

Medienpolitik: EU-Tube statt Youtube? Digitaler Protektionismus spielt zwischen China und den USA schon eine große Rolle. Für Europa wird es kompliziert, eine Gegenplattform aufzubauen.

EU-Tube statt Youtube? Digitaler Protektionismus spielt zwischen China und den USA schon eine große Rolle. Für Europa wird es kompliziert, eine Gegenplattform aufzubauen.

(Foto: AFP)

Eine europäische, öffentlich-rechtliche Alternative zu Facebook und Youtube? Das könnte einige Probleme lösen. Politisch müsste sich dafür aber viel tun.

Gastbeitrag von Tobias Gostomzyk

Eine deutsche oder gar europäische Alternative zu Facebook oder Youtube: Schon länger kursiert die politische Idee, auch um heimische Medien unabhängiger gegenüber den US-amerikanischen Tech-Giganten zu machen. Gesellschaftspolitisch scheint hier die Lösung für ein wachsendes Problem zu liegen. Schließlich bestimmen diese privaten Konzerne nicht nur den lukrativen Markt um datengetriebene Online-Werbung, sondern setzen wesentlich Regeln für die digitale Kommunikation: Nutzungsbedingungen für soziale Netzwerke ziehen engere oder auch weitere Grenzen, als durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. Algorithmen legen personalisiert fest, wem welche Inhalte angezeigt werden. Und Benutzeroberflächen definieren, in welcher Weise sich Nutzer äußern können; etwa dadurch, dass die Zeichenzahlen beschränkt sind oder dass sich Posts bewerten lassen.

Facebook, Youtube oder Twitter proklamierten lange Zeit, reine Technologie-Unternehmen zu sein. Tatsächlich beeinflussten sie aber immer schon die Inhalte, die über sie vermittelt wurden. Sie kontrollieren den Zugang zu Informationen, ihre Sichtbarkeit sowie ihre Entfernung und können daher die öffentliche Meinungsbildung machtvoll beeinflussen. Der Gesetzgeber hat dies zum Anlass genommen, Plattformen im aktuell diskutierten Medienstaatsvertrag zu regulieren. Ziel ist es, die Kriterien transparenter zu machen, die über den Zugang und Verbleib von journalistisch-redaktionellen Inhalten entscheiden. Deren Vermittlung darf zudem weder behindert noch diskriminiert werden. Es dürfte erst der Anfang weiterer Regulierung sein.

Außerdem erzeugen die reichweitenstarken Plattformen Abhängigkeiten, da nur Medieninhalte erfolgreich auffindbar sind, die sich der dortigen Aufmerksamkeitsökonomie unterwerfen. Das hat längst Auswirkungen auf redaktionelle Entscheidungen: So liefert etwa das Medienangebot Funk von ARD und ZDF exklusiv Inhalte, die über Facebook, Youtube & Co. vertrieben werden, um jüngere Zielgruppen zu erreichen.

So ist die Idee einer eigenständigen Medienplattform - gerade bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, aber auch privaten Medien - mit der Hoffnung verbunden, digitale Souveränität aufzubauen. Unterstützung hierfür kommt inzwischen aus vielen Richtungen. So sprach etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder davon, dass man überlegen müsse, "wie man eine Art digitales mediales Airbus-Projekt auf den Weg bringt". Der Mit-Vorsitzende von B90/Grüne, Robert Habeck, fordert ebenfalls "eine neutrale öffentlich-rechtliche Plattform".

Die Idee ist verlockend. Doch die Umsetzung einer eigenen Plattform erfordert Kooperation und eine Reform des Kartellrechts

Doch der Teufel liegt im Detail. So existieren in einigen europäischen Ländern bereits öffentlich-private Mediathek-Projekte, wie etwa "Salto" in Frankreich und "BritBox" in England. Die Ansätze unterscheiden sich teilweise deutlich: Mal sind Plattformen regional, mal national, mal grenzüberschreitend ausgerichtet. Und bei einer komplexeren inhaltlichen Ausrichtung oder technischen Ausgestaltung steigen die Ansprüche an Kooperation und Abstimmung. Eine übergreifende Plattform kann beispielsweise bedeuten, eine Art eigenes Facebook oder Youtube zu bauen oder eher ein virtuelles Such- und Empfehlungssystem einzurichten. Dafür muss ein erheblicher Anreiz zur Kooperation sowohl für die öffentlich-rechtlichen als auch privaten Medien geschaffen werden, gerade auch was etwa den Zugang, die Auffindbarkeit oder die Verteilung von Erlösen betrifft.

Fraglich ist außerdem: Können alternative Plattformen tatsächlich Desinformation und Hassrede verringern? Wie soll es gelingen, nutzerfreundlich personalisierte Posts anzuzeigen und zugleich datenschutzfreundlicher zu sein? Welchen Schutz gibt es - Daten sind begehrt - vor staatlichen Zugriffen? Neben all dem ist völlig offen, wie hoch die Akzeptanz einer solchen Plattform bei Nutzerinnen und Nutzern wäre, die aus dem privaten Markt mit immer neuen Plattformangeboten überschwemmt werden.

So verlockend die Vorstellung einer innovativen Alternative also ist, der Weg dahin wird steinig sein. Jenseits der großen Entwürfe wurde bislang kaum etwas publik, wobei eine EU-weite technologische Lösung mit jeweils nationalen Ausgestaltungen am sinnvollsten erscheint. Nicht zu unterschätzen sind außerdem die rechtlichen Hürden: Plattformvorhaben scheiterten in der Vergangenheit oftmals am Kartellrecht. So wurde die gemeinsame Plattform "Amazonas" der Sendergruppen Pro Sieben Sat1 und RTL durch das Bundeskartellamt untersagt. Auch die öffentlich-rechtliche Plattform "Germany's Gold" von ARD und ZDF scheiterte an der Entscheidung des Bundeskartellamts.

Das Kartellrecht wäre deswegen als publizistisches Kartellrecht an die Bedingungen der Plattformökonomie anzupassen: Plattformbezogene Kooperation müsste möglich sein, wenn sie dem publizistischen Wettbewerb nicht schadet, aber wirtschaftliche Vorteile bringt. Hier wäre - wie bereits in Bezug auf die Presse - Kooperation anders zu beurteilen als bei anderen Industrien. Und zunächst sah es auch so aus, als würde die Bundesregierung dies in der aktuellen Novellierung des Wettbewerbsrechts berücksichtigen. Der jüngst veröffentlichte Gesetzesentwurf sieht das allerdings nicht mehr vor. Bewegung ist also notwendig, sonst bleiben Alternativen zu Youtube oder Facebook ohnehin Utopie.

Tobias Gostomzyk ist Professor für Medienrecht an der TU Dortmund

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, der Medienstaatsvertrag sei kürzlich in Kraft getreten. Das ist noch nicht der Fall.

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