EU-Kommission befürwortet Netzsperren:Europas Zensursula-Idee

EU-Innnenkommissarin Cecilia Malmström will europaweit Netzsperren für Kinderporno-Seiten einführen - und beschwört damit eine Zensur-Debatte auf dem ganzen Kontinent herauf.

Johannes Kuhn

Das Gespenst ist zurück: Vor wenigen Wochen rückte die Bundesregierung davon ab, kinderpornographische Inhalte im Internet per Gesetz zu sperren - nun bringt die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström das Thema wieder auf den Tisch.

Der Anlass ist eine am Montag vorgestellte EU-Richtlinie, mit der Malmström schärfere Maßnahmen gegen Sextourismus, Menschenhandel und Kinderpornographie durchsetzen möchte. Viele der Ideen beurteilen Experten als sinnvoll: Unter anderem soll die Polizei im Kampf gegen den Menschenhandel Telefone abhören dürfen; europäische Sextouristen, die im Ausland Kinder missbrauchen, sollen in der EU vor Gericht gestellt werden können.

Künftig soll es auch unter Strafe stehen, Kinder im Internet zu überreden, sich vor Webcams zur Schau zu stellen. Doch das ist nicht, was Netzaktivisten auf die Barrikaden treibt: Malmströms Entwurf zufolge sollen sich die EU-Länder verpflichten, kinderpornographische Inhalte im Netz für Internetnutzer zu sperren. Dies solle "mit den dunklen Ecken des Internets und den kriminellen Bildern von Kindesmissbrauch aufräumen", kündigte Malmström bereits zuvor in einem Gastkommentar für das Internetportal FAZ.net an.

Geflecht von Interessen

Das Sperren von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten ist äußerst umstritten, die Argumente dagegen sind inzwischen längst außerhalb des Internets bekannt: Die meisten Kinderporno-Konsumenten, so das Argument der Kritiker, kämen nicht über das Web, sondern durch Filesharing-Plattformen, Chatrooms oder E-Mail an das Material; eine Blockade wäre zudem leicht zu umgehen, da nur die Adresse, jedoch nicht die Seite selbst gesperrt wäre.

134.000 Deutsche unterzeichneten vergangenes Jahr eine Petition gegen ein solches "Zugangserschwerungsgesetz" der Bundesregierung, der scharfe On- und Offline-Protest brachte das von der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen initiierte Gesetz zu Fall.

Malmströms Vorstoß dürfte europaweit zu Widerstand führen - wieso prescht die Schwedin, die jüngst noch ankündigte, die Vorratsdatenspeicherung der EU zu überprüfen, also nach vorne? Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, muss tief eindringen in das Brüsseler Geflecht von Interessen und Abhängigkeiten.

Spanien macht Druck

Da wäre Spanien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat: Das Land gilt aufgrund einiger Gerichtsurteile als Paradies für Filesharer und will dies nun mit einem neuen Gesetz ändern. Demnach ist eine spanische Behörde dazu berechtigt, Seiten, die urheberrechtlich geschütztes Material bereitstellen oder darauf verlinken, vom Netz zu nehmen. Der Oberste Gerichtshof hat vier Tage, dies zu widerrufen, falls die Schließung Grundrechten wie dem Recht auf Meinungsfreiheit widerspricht.

Auch auf der EU-Ebene versucht Spanien derzeit, eine strikte Linie bei den Mitgliedsstaaten durchzusetzen - und schert dabei augenscheinlich Filesharing und Kinderpornographie über einen Kamm. Im Februar verschickte die Ratspräsidentschaft einen Fragebogen zum Thema Internetkriminalität an die Mitgliedsländer (pdf hier). Diese sollten mitteilen, wie sie gegen "Verletzung von Urheberrechten, fremdenfeindliche und rassistische Inhalte und Kinderpornographie" im Netz vorgehen.

Auch das Dokument einer Arbeitsgruppe des Ministerrats, das den Weg ins Internet fand, beschäftigt sich mit dem Thema Kinderpornographie im Netz: Das Blockieren von Internetseiten wird hier ausdrücklich als Möglichkeit genannt, gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern vorzugehen.

Wer die Richtlinie jetzt verhindern kann

"Bislang war Malmström als Gegnerin von Internetsperren bekannt", sagt Joe McNamee von der Bürgerrechts-Lobbyorganisation European Digital Rights (EDRI) in Brüssel, "sie wurde durch die spanischen Vorstöße in die Ecke gedrängt und wollte das Thema wahrscheinlich zurück in den Verantwortungsbereich der EU-Kommission holen, um noch weitergehende Entwürfe der Spanier zu verhindern."

Doch in der EU-Kommission stößt die Schwedin auf Widerstände: Die luxemburgische Grundrechtskommissarin Viviane Reding wandte sich in einem Brief an Malmström, um ihre Bedenken gegenüber den Netzsperren zum Ausdruck zu bringen. Malmström verteidigt das Vorhaben in ihrer Antwort vom 22. März, die sueddeutsche.de vorliegt.

Dort heißt es: "Ich weiß, dass Bürgerrechtsgruppen die Frage nach der Redefreiheit stellen, wenn es um die Regulierung des Internet geht. Aber ich halte es für äußerst problematisch, dass Bilder von Kindesmissbrauch als ein legitimer Ausdruck der freien Meinung gelten." Auch sei den Ländern freigestellt, ob sie die Richtlinie in der Praxis von staatlichen Behörden oder den Internet-Providern umsetzen ließen; ein Blockade beschränke zudem das Recht auf Informationsfreiheit nicht.

Nicht nur Kinderpornos gesperrt

Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die Auslegung der Sperrrichtlinien durchaus zum Blocken anderer Inhalte führen kann, argumentieren Bürgerrechtler wie Alvar Freude vom AK Zensur: "In Dänemark klagt die Privatwirtschaft vor Gericht, um bestimmte Einträge auf die Liste zu setzen, in Italien finden sich dort Glücksspielseiten." Ist die Blockade-Architektur einmal vorhanden, so folgert er, wachsen die Begehrlichkeiten, den Nutzern auch andere Inhalte vorzuenthalten.

Bei der Vorstellung erklärte Malmström, die Sperrung von Webseiten ziele vor allem auf Server, auf die man keinen Zugriff habe. "Die größte Quelle für Kinderporno-Seiten sind die USA", sagt Freude, "niemand kann mir erzählen, dass man dort nicht gegen die Verbreitung vorgehen kann. Banken schaffen es doch auch innerhalb von vier bis acht Stunden, Phishing-Webseiten abzuschalten."

Bundesregierung zurückhaltend

Die Bundesregierung will sich augenscheinlich eine neue Diskussion dieser Art ersparen und beharrt inzwischen auf den Löschweg. "Die Bundesregierung geht ausdrücklich einen Schritt weiter, indem sie auf eine Löschung hinarbeitet, statt auf eine Sperrung", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Montag in Berlin. "Ich glaube, dass man mit weitergehenden Regelungen EU-Recht relativ automatisch erfüllt."

Bis es zur möglichen Umsetzung kommt, müssen erst einmal das EU-Parlament und die Regierungschefs der Richtlinie zustimmen. Sozialisten, Grüne und Liberale dürften deutliche Vorbehalte gegen die Regelung haben, zumal der Druck durch die Bürgerrechtsbewegungen immens sein wird.

Alvar Freude vom AK Zensur kündigt bereits an, in den nächsten Tagen die Vernetzung auf europäischer Ebene voranzutreiben, um konzertiert gegen die Netzsperren-Idee vorzugehen. Cecilia Malmström dürften ungemütliche Wochen und Monate bevorstehen: Angelehnt an "Zensursula" hat das deutschsprachige Netz bereits einen Spitznamen für sie erfunden: "Censilia".

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