Social Media:Schmeckt uns das Essen nach dem Fotografieren wirklich besser?

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Die Fotografiererei hat bizarre Ausmaße angenommen, vor allem im Restaurant.

(Foto: Jill Senft)

Kaum etwas wird so häufig fotografiert und auf Social Media geteilt wie Essen. Das wäre nicht weiter schlimm, würde dabei nicht etwas Wichtiges verloren gehen: die reale Geselligkeit.

Kolumne von Julia Rothaas

Eine selbst gekochte Hühnersuppe neben einem Schälchen Backerbsen und einer Scheibe zerrupftem Brot. Die halbierte, tieforangene Papaya, auf der ein paar Heidelbeeren und Bananenscheiben liegen. Ein Blech voller Zimtschnecken, ein Fisch im Backpapier und ein Tablett mit Austern. Guten Appetit? Nein, ich habe weder gekocht noch in einem Kochbuch geblättert. Ich war einfach nur kurz auf Instagram.

Es ist zunächst erfreulich festzustellen, dass sich die Menschen in meinem Umfeld so vielseitig ernähren, häufi g für sich und ihre Lieben kochen oder sie zum Essen ausführen. Und es dann auch noch schaff en, Fotos davon hochzuladen. Millionenfach: Der Hashtag "food" hat derzeit 327 Millionen Verlinkungen auf Instagram, #foodporn liegt bei 190 Millionen und #foodstagram bei 50 Millionen Nennungen. Nur mal so: Unter dem Stichwort Altersvorsorge finden sich gerade mal 8536 Beiträge.

Trendforscher wollen in diesem Bilderrausch eine neue Form der Individualität erkennen. Was ein bisschen lustig ist, denn über die Hälfte aller Deutschen zückt am Tisch inzwischen die Handykamera, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Jedes vierte Foto, das dabei geschossen wird, landet anschließend über die sozialen Netzwerke in der Öff entlichkeit. Dafür muss man sich nicht extra ein vergoldetes Steak bestellen wie Franck Ribéry, ein Avocado-Ei-Toast reicht da völlig aus.

Neu ist das Bedürfnis, Essen abzubilden, nicht. Was es wann und wo zu essen gibt, hat die Menschen schon immer fasziniert. Beweise dafür fi nden sich zum Beispiel bei einem Rundgang durchs Museum, dort gibt es jede Menge höfi sche Speisen bei den alten Meistern zu entdecken. Die sogenannten Mahlzeit-Stillleben galten um 1600 gar als eigene Gattung. Die Kuratorin Anna Dannemann, die 2017 eine Ausstellung über das Phänomen #foodporn zusammenstellte, sagte über den Fotorausch der Hobbyfotografen in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel: "Man will sich einschreiben in eine Gemeinschaft, in die Flut der Bilder, aber auch in die Geschichte des Stilllebens." Wir sind Rembrandt! Apple und Samsung sei Dank.

Wie man am besten Teil der Gemeinschaft wird, sprich: wie genau Licht, Hintergrund und Deko-Elemente zu berücksichtigen sind, erklärt im Netz sogar der Supermarktriese Edeka oder der Essensdienstleister Lieferando. Inzwischen hat selbst das "Culinary Institute of America" in New York, eine der renommiertesten Kochschulen, die Food-Fotografie für soziale Netzwerke in seinen Stundenplan aufgenommen. Die Studenten sollen nicht nur kochen, sondern auch kamerafreundliches Anrichten lernen. Ist nicht weiter verwerflich, oder?

Doch. Denn die ganze Fotografiererei hat bizarre Ausmaße angenommen, vor allem im Restaurant. Kaum steht der Teller auf dem Tisch, schnellt mein Gegenüber mit dem Handy in der Hand von seinem Platz wie eine Rakete. Da wird die Serviette noch schnell rechts unten in den Bildrand geschoben, das Glas Wein zurechtgerückt, ein Stück vom Holztisch freigelegt. Gelernt ist gelernt. Einmal mit Blitz, einmal ohne und dann um den Tisch gehen, weil mein Teller sieht ja auch richtig toll aus. Wehe dem, der anfängt zu essen, bevor das Foto perfekt ist.

Manche Restaurants verleihen kostenlos Weitwinkelobjektive und SelfieSticks an die Gäste

Auf die kamerawütige Kundschaft reagieren die Restaurants recht unterschiedlich. Manche haben das Fotografieren gleich ganz verboten, andere hingegen ermutigen ihre Gäste geradewegs dazu. In dem Londoner Lokal "Dirty Bones" zum Beispiel kann man sich während des Besuchs kostenlos eine Ausrüstung ausleihen, bestehend aus tragbarem Kameralicht, Aufl adegerät, Weitwinkelobjektiv zum Aufstecken und Selfi eStick. Und im "Catit" in Tel Aviv, inzwischen leider geschlossen, wurden die Speisen so instagramfreundlich zubereitet, dass es schon fast als Beleidigung galt, das Handy nicht zu zücken. Die Teller mit extrahohem Rand (für den perfekten Hintergrund) standen schließlich auf einem drehbaren Untersatz für den rich tigen Winkel und hatten eine Halterung fürs Telefon.

Mit dem Hochladen ins Netz ist es aber nicht getan. Der Aufwand macht schließlich weder Sinn noch Spaß ohne ausreichend virtuellem Getätschel - und dafür muss man sein Handy eben alle fünf Minuten kurz mal checken. Lange nicht gesehen, viel zu erzählen? Egal. Die Likes fürs Foto von anderen scheinen wichtiger als das Like, das ich an diesem Abend darstelle. Und das ist ein Problem.

Mit dem Motzen muss ich ein bisschen aufpassen, ich habe auch schon Bilder von besonders ansehnlichen Gerichten in meinen virtuellen Bauchladen gehängt. Aber warum glauben wir alle eigentlich, dass die einzig richtige Reaktion auf ein schönes Essen ein Bild davon sein muss? (Im Übrigen lässt sich diese Frage auch auf Sonnenuntergänge, Selbstgestricktes oder Schneemänner übertragen.) Schmeckt uns das Essen nach dem Fotografieren wirklich besser, wie US-Forscher herausgefunden haben wollen - oder glauben wir erst da ran, wenn genügend Leuten unser Foto gefällt? Was ist am pochierten Ei an Avocado auf Sauerteigbrot so besonders? Und erinnert sich jemand noch daran, wie es eigentlich vor Instagram geschmeckt hat? Ja, der Alltag hat etwas Magisches. Leider scheinen wir nur manchmal vergessen zu haben, um was es beim Essen vor allem geht: mit Menschen am Tisch zu sitzen, die man mag, und etwas zu essen, das einem guttut.

Apropos Gutes tun: Wer wissen will, wie Essen ganz ohne Inszenierung aussieht, guckt sich am besten mal auf FacebookSeiten wie "Wir fotografi eren unser Essen" um. Dort landen Bilder von den Gerichten, die Alte, Kranke, Pfl egebedürftige tagtäglich vorgesetzt bekommen: undefi nierbares Gemüse, püriertes Etwas, zwei Scheiben Wurst. Wer also ein echtes Like will, bringt sein hübsches Essen einmal im Monat demjenigen mit, der es wirklich gebrauchen kann. Die strahlende Oma: Ein besseres Bild dürfte es kaum geben.

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