eSim-Karte:Die Aufholjagd

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Mit den eingebauten Funkchips wird man sich auf Smartphones seinen Netzbetreiber selber auswählen können. (Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

Bei eingebauten Funkchips preschen deutsche Firmen voran. Sie wollen nicht wieder etwas Wertvolles verlieren: Zeit.

Von Varinia Bernau, Düsseldorf

Das iPad, das Apple vor eineinhalb Jahren präsentierte, war nicht nur schlanker und schneller als der Vorgänger. Es hatte auch eine fest verbaute Sim-Karte. Die Kunden konnten auf dem Gerät wählen, mit welchem Anbieter sie ins Netz gehen - und zahlten dafür in Apples digitalem Laden iTunes. Damit hatte der amerikanische Technologiekonzern den Netzanbietern etwas äußerst Wertvolles abgenommen: den Kontakt zum Kunden.

Um so bemerkenswerter ist es, dass die deutschen Mobilfunkanbieter nun die ersten Geräte mit solch einer eingebauten Sim-Karte (auch eSim genannt) in die Läden bringen, ehe die letzten technischen Details festgezurrt sind. Erst im Sommer wollen sich die Fertiger der Funkchips mit den Geräteherstellern und Netzanbietern darauf verständigen. Dass es ausgerechnet die Telekomfirmen eilig haben, die auf den ersten Blick als die Verlierer dieser Entwicklung erscheinen, ist für Marc Ennemann von der Unternehmensberatung KPMG ein Zeichen dafür, dass die Branche dazugelernt hat: "Wenn es etwas gibt, das sie verstanden haben, dann ist es, niemals mehr den Faktor Zeit zu unterschätzen."

In zehn Jahren ist die jetzige Technik überholt, schätzt man bei der Deutschen Telekom

Ob Dienste zum Bezahlen per Handy oder zum Chatten, immer wieder haben die hiesigen Netzanbieter halbherzig neue Angebote lanciert - und wurden dann von amerikanischen Anbietern mit besseren Alternativen abgehängt. Nun wollen sie sich offenbar rechtzeitig in Stellung bringen. Selbstbewusst gibt sich Claudia Nemat, im Vorstand der Deutschen Telekom für Technik verantwortlich: "Wir haben keine Berührungsängste." Bei der Telekom rechnen sie damit, dass es schon in zehn Jahren keine austauschbaren Sim-Karten mehr gibt. Dann sollen Kunden ihren Netzbetreiber auf dem Gerät auswählen können.

Für die Zukunft gilt die eSim allerdings auch deshalb als unabdingbar, weil sie hilft, Smartwatches, Fitnessarmbänder oder sogar Kleidung, in der kein Platz für eine herkömmliche Sim-Karte ist, mit dem Internet zu verbinden. Wenn sich die Menschen jederzeit ins jeweils günstigste oder stärkste Netz einwählen können, wird sich das Verhältnis zwischen Internetanbietern und Kunden grundlegend ändern. In einem weiteren Schritt könnte das Smartphone den Wechsel sogar automatisch erledigen, ohne dass der Besitzer davon etwas mitbekommt.

Das erste Gerät, das nun mit einer eSim in die deutschen Läden kommt, ist eine Armbanduhr von Samsung. Den Chip darin hat die Firma Giesecke & Devrient entwickelt und kürzlich bei der Mobilfunkmesse in Barcelona gezeigt, dass sich die Uhr ins Netz von verschiedenen Anbietern einwählen kann. Vodafone gibt das Gerät beim Verkauf auch für den Gebrauch in anderen Netzen frei, betont aber, dass man derzeit einen reibungslosen Wechsel noch nicht gewährleisten könne, da es noch keinen gemeinsamen Standard gebe. Bei der Telekom heißt es, dass man daran großes Interesse habe. Denn wenn es mit dem Wechsel nicht nach den versprochenen drei Klicks klappt, sondern das Gerät erstmal offline ist, beschweren sich die Kunden beim Netzanbieter - und nicht bei Samsung.

Nach Auffassung von Branchenbeobachter Marc Ennemann könnten die Telekommunikationsfirmen nun verlorenes Terrain gegenüber den mächtigen Technologiekonzernen zurückzugewinnen: Schon jetzt entscheiden immer mehr Verbraucher nach der Qualität eines Netzes und weniger nach dem Preis, zu welchem Telekommunikationsanbieter sie wechseln. Dieser Trend dürfte in einer Welt, in der das Fitnessarmband mit dem Arzt und das Auto mit der heimischen Musikanlage kommuniziert, noch zulegen. Nicht ohne Grund versuchen die Internetkonzerne Apple, Google und Facebook, ein eigenes Netz aufzubauen. Das aber ist teuer - und verlang viel Know-how.

Diesen Vorsprung, so sagt Ennemann, müssen die Telekommunikationsunternehmen nun nutzen - und sich dabei auch neu erfinden: Ein Netzanbieter, der den Kunden über eine Sperre der Sim-Karte an sich binden will, habe verloren. Vielmehr müsste er sich als Dienstleister verstehen. "Wenn der Kunde fünfmal in den Laden kommen muss, weil ihm die Sim-Karte beim Einsetzen zerbrochen ist, werden Sie damit eher Kunden vergraulen als gewinnen. Ganz anders sieht es aus, wenn Sie den Kunden in einem Onlineshop gut beraten, weil Sie die Daten kennen, die die eSim aus seinem Pulsmesser einspeist", beschreibt Ennemann die alte und die neue Welt der Telekommunikationskonzerne.

Kritiker monieren, dass kleinere Netz- und auch App-Anbieter nicht zum Zuge kommen könnten. Weil sie ohnehin nicht viele Kunden haben, könnte sie Apple gar nicht erst in die Liste der auswählbaren Anbieter aufnehmen. Fast ebenso wichtig wie der technische Standard der eSim wird deshalb die Praxis sein: Wer kann auf welche Daten zugreifen und so seine Angebote machen? Das Szenario, das die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie als das wahrscheinlichste skizziert, sieht eine neutrale Stelle in verschiedenen Regionen vor: Sie würde den Server betreiben, über den all die Daten beim Aktivieren und bei späteren Änderungen der eSim laufen. Und sie hätte dann auch die Pflicht, dort jedem Raum zu geben, der einen Dienst anbietet.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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