Erfinder des World Wide Web:Ein leiser Computermensch

Mit der Technik, die er erfunden hat, wurden andere zu Milliardären. Tim Berners-Lee jedoch blieb stets bescheiden. Nun ereilt ihn später Geldsegen.

Von Patrick Illinger

Echte Computermenschen sind geduldig. Keine aufgeblasenen Macher, keine geldgierigen Schwätzer. Und ihr Humor ist eher subtil, voller Insiderwitze, für nicht Eingeweihte oft Kauderwelsch.

Tim Berners-Lee

Tim Berners-Lee

(Foto: Foto: AP)

Tim Berners-Lee zum Beispiel, 49 Jahre alt, einer der berühmtesten Computermenschen, seit er Anfang der Neunzigerjahre das World Wide Web erfunden hat, imitiert gern die Geräusche eines 28-Kilobit-Modems.

Dazu piept er zunächst wie ein Mehrfrequenz-Telefon, dann presst er aus dem Gaumen ein krächzendes Rauschen hervor, wie es Analog-Modems taten, wenn sie im Äther der weltweiten Datennetze Anschluss suchten. Und schließlich kommt das erlösende Pfeifen, wenn die Leitung steht und die ersten Bits aus dem Internet eintrudeln.

Klingt amtlich, sagen alle, die früher selbst mit 28k-Modem und Telefonbuchse ins Netz gingen.

Das war Hightech, vor 15 Jahren. Damals begann der Brite Tim Berners-Lee aus London am Europäischen Elementarteilchenlabor Cern bei Genf über hypertext markup language, kurz HTML, nachzudenken - eine Programmiersprache, die heute die sichtbare Oberfläche des Internets, das WWW, dominiert.

Als einer von vielen Software-Dienstleistern arbeitete er in einer Cern-Abteilung, um die Tausenden von Physikern zu unterstützen, die an den gigantischen Teilchenkanonen des Cern die fundamentale Struktur der Materie ergründen.

Das Internet war unter den Forschern längst ein gängiges Instrument, mit dem sie Daten über Kontinente hinweg verschickten. Einiges an Computerwissen war allerdings nötig, um die fernen Rechner zu erreichen.

Berners-Lee dachte über ein intuitives System nach, grafische Oberflächen zum Beispiel und "Links", die sich mit der Maus anklicken lassen und Verbindungen zu anderen Rechnern aufbauen.

Zu seinen Ideen gehörten auch Adressen, so genannte URLs, die Internet-Rechnern erstmals Namen gaben statt Nummern, www.sueddeutsche.de zum Beispiel statt 62.109.133.9. Physiker sollten sich leichter tun mit ihren Datenbergen, das war der Job von Tim Berners-Lee.

Ein leiser Computermensch

Weder er noch andere Cern-Forscher haben die wichtigste Eigenschaft des WWW erkannt: Die neue Technik hat den Cyberspace plötzlich massentauglich gemacht. Heute wird Berners-Lee oft gefragt, warum er die Technik nicht patentieren ließ.

Warum er keine Firma gegründet hat, wie die Großnasen der Online-Ökonomie. Jeff Bezos zum Beispiel, dessen Firma Amazon Sinnbild eines virtuellen Kaufladens wurde. Oder Ebay-Gründer Pierre Omidyar, dessen Online-Auktionshaus das Internet zu einem weltumspannenden Flohmarkt gemacht hat.

Natürlich habe er 1992 und 1993 viel darüber nachgedacht, wie man die Idee kommerziell umsetzen könnte, sagt Tim Berners-Lee. Aber das Web wäre nie das universelle Medium von heute geworden, meint er.

Streitereien um technische Standards sind in der Vergangenheit oft schlecht für den Verbraucher ausgegangen. Ob PC-Betriebssysteme oder Videokassetten - immer wieder hat sich nicht das beste System durchgesetzt, sondern die mächtigste Firma.

Hätte Berners-Lee versucht, das Web zu lizenzieren, wären wahrscheinlich in kurzer Folge mehrere, leicht abgewandelte Systeme auf den Markt gekommen, und das Internet wäre heute kein globales Datennetz, sondern eine elitäre Insellandschaft.

Ein Werkzeug für Physiker wollte Berners-Lee bauen, keine Geldmaschine. Auch auf die Vermarktung seiner selbst legt er nicht viel Wert. Vorträge, die gut bezahlt werden, hält er nur, wenn ihn die Veranstaltung interessiert.

Die meiste Zeit arbeitet er am Massachusetts Institute of Technology bei Boston als Direktor des 60-köpfigen W3C-Konsortiums, einer Schiedsstelle, wo die für das WWW geeigneten technischen Standards festgelegt werden. Eine Mammutaufgabe, schließlich basteln Software-Entwickler in aller Welt unablässig an neuen Tricks, die das Web noch poppiger, schneller und multimedialer machen.

An diesem Dienstag soll Tim Berners-Lee in Helsinki den mit einer Million Euro dotierten Millennium-Technology- Preis erhalten. Eine später Geldsegen ist das, für einen echten Computermenschen, dessen Ideen viele halbechte Businessmenschen zu Millionären, manche zu Milliardären gemacht haben.

Es passt zu seiner Bescheidenheit, wie er die Auszeichnung kommentiert: "Eine sehr nette Überraschung". Schon lange wollte er, wie er sagt, eine neue Küche kaufen.

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