Süddeutsche Zeitung

Episoden-Spiel "Life is Strange":Was Teenager denken

Was ist wichtiger als die Rettung der Welt? Die beste Freundin. "Life is Strange" holt Videospiele auf den harten Boden der Pubertät zurück.

Von Jan Bojaryn

Dass eine gigantische Katastrophe naht, ahnt Teenagerin Max gleich zu Beginn der ersten Episode von "Life Is Strange". In einer Vision sieht sie sich mit einem Sturm konfrontiert, der ihr verschlafenes Ostküsten-Städtchen zu verschlingen droht. Aber schnell findet sie drängendere Probleme: Wie sie die Attacken des giftigen Alpha-Mädchens Victoria pariert. Und wie sie die Freundschaft zu ihrer alten besten Freundin Chloe wiederbelebt.

Das Download-Spiel "Life is Strange" ist eine interaktive Erzählung in fünf Episoden, und ab sofort für PC, Playstation 3, Playstation 4, Xbox 360 und Xbox One erhältlich. Viele typische Elemente fehlen im Spiel einfach: Es gibt praktisch keine Geschicklichkeitstests. Spieler untersuchen die Spielwelt, führen Multiple-Choice-Dialoge und lösen höchstens mal ein leichtes Rätsel. Seitdem 2012 ein Spiel zu dem Comic- und Fernsehhit "The Walking Dead" das Erzähl-Genre etabliert hat, versuchen sich auch andere Spielehersteller daran. Das französische Studio Dontnod unterscheidet sich von den meisten anderen Anläufen dadurch, dass seine Geschichte in der Realität zumindest verankert ist.

"Life is Strange" mag eine Mystery-Geschichte mit gewissen Horror-Elementen sein, samt Zeitreisen und alternativen Realitäten. Im Vordergrund steht aber die Coming-of-Age-Story der unsicheren Teenagerin Max, und ihre Freundschaft zur rebellischen Chloe. Von der ersten Szene an entfernt sich das Spiel von den erzählerischen Konventionen anderer Videospiele. Die entrückte Bildregie, die musikalische Untermalung mit verhauchtem Indie-Folk, die anfangs schrillen Charaktere, die mit jeder Szene neue Facetten offenbaren: Das erinnert eher an Fernsehserien.

Karikaturen ermüden auf Dauer

Solche Zwischentöne gehen in großen Videospielproduktionen eher verloren. Dort sind die Programmier-Teams riesig, die Kosten gewaltig, die kommerziellen Zwänge erdrückend. Gigantomanie durchdringt die Spiele. Regelmäßig steht das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel. Brücken werden nicht einfach überquert, sie stürzen ein, der Held muss sich mit einem Hechtsprung auf die andere Seite retten.

Solche Karikaturwelten können unterhaltsam sein. Als Regelfall werden sie aber ermüdend. Das Erzählen nuancierter Geschichten bleibt in der Regel unabhängigen Entwicklern mit winzigen Budgets vorenthalten. Und die bleiben für einen Großteil des Publikums unsichtbar.

Nur langsam verstehen auch die großen Spielefirmen, dass sie kleine, kreative Teams fördern sollten, wenn sie ihr Medium nicht in die Erstarrung führen wollen. So hat Square Enix das Projekt von Dontnod finanziert und herausgegeben, das neben all den "Tomb Raiders" und "Final Fantasys" des Spiele-Publishers wie ein Hobby wirkt. Jetzt ist mit der fünften Folge von "Life is Strange" das Finale erschienen.

Spieler mussten lange warten. Die erste Episode erschien Ende Januar. Das ist ein Problem, vor allem weil die Handlung über wenige Tage hinweg spielt. Max mag sich an Dinge erinnern, die sie gestern gesehen oder gehört hat. Spieler müssen aber im Prinzip die vorangegangenen Episoden noch einmal spielen, um wieder im Stoff zu sein. Informiert werden sie immerhin durch das Tagebuch von Max im Spiel. Man kann es genau so studieren wie ihre SMS-Korrespondenz und ihre Fotos.

Dass man Dinge immer wieder ohne erkennbaren Spielnutzen fotografieren kann, ist typisch für diese Mini-Serie. "Life is Strange" findet viele Interaktionen, die sich selbst genügen. Wichtig sind sie in den Augen der achtzehnjährigen Heldin, und nicht, weil sie zu einer Mission des Spielers gehörten. Dazu gehören unzählige kleine Entscheidungen; etwa, ob man den Umweltschützer vor dem Café grüßt oder die Zimmerpflanze gießt. Und immer wieder hat Max die Möglichkeit, sich in Ruhe umzusehen, Musik ein- oder auszuschalten, sich hinzusetzen und nachzudenken. Auch wenn die Dringlichkeit der Handlung im Laufe des Spiels steigt, hat "Life is Strange" sich diese Momente erhalten.

Ein ungewohnt menschliches Spiel

Max stellt früh fest, dass sie plötzlich die Zeit zurückspulen kann. Sie kann verhindern, dass ihre Freundin Chloe auf einer Damentoilette erschossen wird. Auch in den dramatischsten Augenblicken können Spieler dadurch entspannt nachdenken. Ist die Brücke eingestürzt, wird eben zurück gespult. Das Spiel kreist immer wieder um Entscheidungsmomente: Der Spieler fällt eine Entscheidung, ist mit dem Ergebnis unzufrieden, entscheidet sich um. Erst viel später stellt er fest, welche Konsequenzen das Handeln hatte.

Vor allem in den frühen Episoden ist der Stoff nicht besonders originell. In die späteren hat Dontnod ein paar handfeste Überraschungen und Aha-Momente eingebaut. Dabei trifft das Spiel aber nicht immer den richtigen Ton und kippt ins Melodramatische. Das kann schnell respektlos wirken, wenn es um Tod, Trauer oder Gewalt geht. Dazu klingen die Dialoge im Spiel oft, als würde ein älterer Herr den Plauderton heutiger Teenager nachahmen. Aber die kleinen Momente, in denen Max mit sich selbst hadert, oder mit ihrer Freundin die Stadt unsicher macht, sind etwas besonderes. So hat man das vielleicht schon im Fernsehen gesehen - oder selbst erlebt. In einem Videospiel gab es das noch nicht.

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