Entwicklung von Computerspielen:Ein bisschen wie Gott

Crysis

Computerspiel Crysis 3: detaillierte Darstellungen mit hohem Aufwand produziert

(Foto: Crytek)

Computerspiele und ihre phantastischen Welten werden mit einem ähnlichen Aufwand produziert wie Hollywood-Blockbuster. Eines der größten Spielestudios, Crytek, sitzt in Frankfurt. Dort wurde unter anderem das Actionspiel Crysis 3 entwickelt.

Von Helmut Martin-Jung

Der Wind streicht sanft übers wuchernde Gras, kräuselt die Oberfläche eines Teichs. Idyllisch ist an der Szene trotzdem rein gar nichts. Ringsum erzählen verrostete Schrottautos und Flugzeugwracks, halb überwucherte Häuser und marode Brücken davon, dass hier einmal eine Stadt voller Leben gewesen sein muss. Was davon noch existiert, befindet sich unter einer gewaltigen Kuppel, errichtet von der allmächtigen Firma Cell. Blutrünstige Aliens schleichen herum, bereit, sich jederzeit auf Menschen zu stürzen. Aber auch Cell meint es nicht gut mit den verbliebenen Bewohnern in dieser düsteren Zukunftsvision. Weshalb ein Held gebraucht wird, der gegen beide kämpft, gegen die Aliens und gegen das System. Einer, der das scheinbar Unmögliche schafft. Ein Held wie Sie.

Keine Angst, der Nano-Anzug, den Sie tragen, wird Sie aussehen lassen wie eine Mischung aus Super-, Spider-, Iron- und Batman. Gewehrkugeln, Pfeile, Messer? Können Ihnen nichts tun. Und Kraft werden Sie haben wie ein Pferd und sich sogar unsichtbar machen können...

Schon klar, das sind Jungsträume. Ist ja aber auch nur ein Spiel. Eines von denen allerdings, die Millionen auf der ganzen Welt am Computer spielen. Ein sogenannter Ego-Shooter. Ihren tollen Körper sehen Sie also meistens gar nicht, sondern nur die Hände, die eine Waffe halten. Weil dort vorne, hinter dem Baum, oder drüben, im hohen Gras, könnte ja schon wieder so ein Alien lauern. Pamm!

Schwager finanziert die Reise zur E3

Wer denkt sich so etwas eigentlich aus? Er zum Beispiel: Cevat Yerli. Als er noch Teenager ist und bei seinen Eltern in der Nähe des oberfränkischen Coburg lebt, mit einem Raum voller Computer im Keller, schon damals in den Neunzigerjahren tüftelt er gemeinsam mit seinen Brüdern und mit Freunden aus aller Welt an Ideen für Computerspiele herum. Die Ideen sind so gut, dass er damit auf der Spielemesse E3 in Los Angeles, dem größten Treffen dieser Branche, Aufsehen erregt. Für jemanden, der aus der deutschen Provinz kommt, dem der Schwager die Reise finanziert hat, ist das keine Selbstverständlichkeit.

Zeitreise ins heutige Frankfurt, ein modernes Bürogebäude im Zentrum der Bankenmetropole. Beton, Glas, Metall, Zutritt nur mit Chipkarte. 430 Mitarbeiter aus 40 Nationen tüfteln hier an den neuesten Ideen rund um Computer-Spiele, außerdem gibt es noch acht weitere Studios, verteilt über den Globus. Crytek, so heißt die Firma der drei Brüder Yerli. Außer Cevat gehören noch Faruk und Avni Yerli der Leitung der Firma an, einer der größten in dieser Branche in Deutschland. Von ihren Spielen sind Millionen Datenträger verkauft worden, außerdem steckt Technik, die sie entwickelt haben, auch in Spielen anderer Hersteller. Vor Kurzem ist ihr neuestes Produkt auf den Markt gekommen, Crysis 3.

Einen solchen Spiele-Blockbuster zu produzieren, ist heute ähnlich aufwendig, wie einen großen Film zu drehen. "Am Anfang", sagt Cevat Yerli, "ist die Idee. Was macht der Spieler? Sekunde für Sekunde. Wie sieht die Welt aus, in der man sich bewegt? Ist es eine reale Welt oder eine fiktionale?" Ein bisschen, sagt der 34-Jährige mit einem Schmunzeln, seien die Entwickler der Spiele dabei wie Gott.

Computerspiele bestehen aus Dreiecken

"Und dann kommt eine Geschichte." Die Inspirationen dazu holen sich die Entwickler aus allen möglichen Quellen: Aus Büchern, Filmen, aus dem Zeitgeschehen ("9/11 hat viele Spiele beeinflusst"). Auch Musikvideos und deren Ästhetik üben einen großen Einfluss aus.

Befindet die Führungsebene eine Idee für gut, wird ein Pre-Production-Team zusammengestellt, zehn bis 15 Leute, die einen Prototyp entwickeln, ausgehend von visuellen Konzepten. Bereits in diesem frühen Stadium ist es entscheidend zu beurteilen, ob die eingesetzte Technologie dafür geeignet ist, die Spielidee umzusetzen: "Wenn man sich auf eine Technologie einschießt und die funktioniert nicht, wird es sehr teuer", sagt Cevat Yerli.

Für den Prototyp werden einige der geplanten Spielfiguren am Computer dreidimensional modelliert, damit man sie nach allen Seiten bewegen oder von allen Seiten betrachten kann. Und die Welt wird gestaltet, das kann ein Dschungel sein oder das metallisch-sterile Innere eines Raumschiffs, eine staubige Wüste. Dafür gibt es zwar Hilfsmittel, doch vieles ist auch noch Handarbeit. Technisch gesehen, bestehen schließlich all die Kämpfer, Monster und Aliens, die Pflanzen und Gegenstände, die ganze Computerspielewelt also, aus Dreiecken. Und je detailreicher die Welt sein soll, aus umso mehr Dreiecken muss sie gebaut sein. Bewegt sich irgendetwas, muss der Computer ohne Verzögerung berechnen, wo die vielen tausend Dreiecke auf dem Bildschirm angezeigt werden. Im fertigen Spiel ist natürlich nichts mehr von diesen Dreiecken zu sehen, sie werden mit Texturen verkleidet - mit Haut, Fell, Rinde, Metall - mit all den Oberflächen eben, die in einer Welt vorkommen.

Schauspieler als Gesichtsausdruck-Lieferanten

Damit die Figuren möglichst natürlich wirken, setzt man auch Kino-Techniken wie performance capturing ein. Dabei wird die Mimik von Schauspielern von Spezialkameras erfasst - bis zu 240 verschiedene Gesichtsausdrücke können die virtuellen Spielfiguren dann reproduzieren.

Spezialisten der jeweiligen Gebiete modellieren am Computer ein paar dieser Spielfiguren, eine Szene aus der geplanten Welt, entwerfen die ersten Soundeffekte. Die Ergebnisse - meist werden verschiedene Varianten des Prototyps entwickelt - bekommen interne Tester, manchmal auch Spielekenner von außerhalb, in einer ersten Testphase zu sehen. 20 bis 30 Prozent aller Prototypen scheitern an diesen Tests und werden verworfen.

Nun, sagt Faruk Yerli, beginnt ein iterativer Prozess: "Die Entwicklung eines Spiels läuft in einer Spirale ab, man wird immer wieder zurückgeworfen." Vor allem eines muss stimmen: der Rhythmus. Von nun an können die Nächte schon mal lang werden, denn um beurteilen zu können, ob der Wechsel von Action und Entspannung ausgewogen ist, muss man das Spiel möglichst am Stück durchspielen. Was gern zwölf Stunden dauern kann, manchmal auch länger.

Bis zu 30.000 Bugs pro Spiel

Wenn der Rhythmus schließlich stimmt, wird am Spielverlauf nicht mehr viel geändert, es beginnt stattdessen die Qualitätssicherung. 10.000 bis 30.000 Fehler, im Fachjargon Bugs genannt, stecken in jedem großen Spiel, und deshalb arbeitet auch eine ganze Abteilung daran, möglichst viele davon zu entdecken und sie dann von den Programmierern beseitigen zu lassen.

Die Fehlersucher diktieren in dieser Phase das Geschehen: Hier funktioniert dies nicht, dort stürzt das Programm ständig ab. Es ist ein nervenzerrendes Ringen, denn jeder Tag kostet Geld, außerdem gibt es Termine, die man einhalten muss. Wenn das Spiel schließlich auf den Markt kommt, haben alle Programmierer in den zwei Jahren, die man im Durchschnitt braucht, gemeinsam etwa 2000 bis 2500 Monate daran gearbeitet, gut 20 Millionen Euro kostet es, einen Blockbuster wie Crysis zu entwickeln.

Aber lohnt sich das heute überhaupt noch, heute, wo mehr und mehr Menschen nicht mehr vor einem Fernseher oder Computer spielen, sondern sich mit kleinen, aber witzigen Spielchen wie Angry Birds beim Warten auf den Bus die Zeit vertreiben? Ist es noch gefragt, die heute schon erstaunlichen Grafik-Fähigkeiten der Spiele mit gigantischem Aufwand noch weiter nach oben zu treiben?

Der Server läuft heiß, nicht der Rechner

Ja, glauben die Yerlis, das schon. Nur ob es auch noch die hochgezüchteten Spielerechner braucht oder Playstations, die vor einem Jahrzehnt noch als Supercomputer durchgegangen wären, das ist eine andere Frage. Und ob sich die Leute auch in fünf, zehn Jahren noch Datenträger mit Spielen drauf kaufen werden. "Die Leistung", sagt Cevat Yerli, "verschiebt sich mehr und mehr zum Server." Nicht mehr der Rechner des Spielers läuft dann heiß, sondern die Server in einem Rechenzentrum. Noch aber, sagen die Yerlis auch, ist es zu früh dafür, dieses Modell wirtschaftlich zu betreiben, frühestens 2016 werde man die ersten solchen Spiele sehen. Cevat Yerli ist sich sehr sicher, dass darin eine große Zukunft liegt. Und so gibt es in der Firma auch ein Projekt, eine technische Basis dafür zu schaffen, dass Spiele in einem Rechenzentrum laufen können.

Wo das steht, ist in der vernetzten Welt nahezu egal - so wie es auch egal ist, wo eine Firma wie Crytek ihren Sitz hat: "Wir sind hier, weil unsere Eltern in Deutschland leben", sagt Faruk Yerli. Aber das Personal ist bewusst international. Was auch ein bisschen daran liege, dass es in Deutschland zwar gut ausgebildete Ingenieure gebe, aber zu wenig Unternehmergeist. Hauptgrund für die bunte Nationalitätenmischung aber ist, dass sich die Spiele weltweit verkaufen sollen. Wer weiß schon, wo die Aliens wirklich landen?

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