Süddeutsche Zeitung

Enthüllungsplattform in der Krise:Nervenkrieg um Wikileaks

Abgelehnte Aufenthaltserlaubnis, abgedrehte Geldhähne: Wikileaks-Gründer Julian Assange gerät immer stärker in Bedrängnis. Doch das Pentagon bereitet sich schon auf den nächsten Coup der Enthüller vor.

Johannes Kuhn

Es wird einsam um Julian Assange: Noch vor wenigen Monaten als Retter des Investigativjournalismus gefeiert, türmen sich derzeit die Probleme um den Wikileaks-Chef.

Seitdem Ende September bekannt wurde, dass der autoritäre Führungsstil des Australiers zu heftigen Verwerfungen innerhalb der Organisation führte, reißen die Negativmeldungen nicht ab.

Damals verließ der deutsche Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg das Projekt, in einem Spiegel-Interview sprach er davon, dass die Plattform sich in einer "Sackgasse" befinde. Zwischen den Worten herauszulesen ist: In diese hat das Portal vor allem Assange mit seinem autoritären Führungsstil geführt. Schenkt man dem US-Magazin Wired Glauben, war Domscheit-Berg nur einer von sechs engen Wikileaks-Mitarbeitern, die das Projekt aus Ärger über Assanges Verhalten im Spätsommer verlassen haben.

Seitdem sieht sich der Australier unangenehmen Fragen ausgesetzt: Die Organisationsstruktur von Wikileaks ist ebenso unklar wie die Finanzierung, auch zu Kriterien bei der Prüfung von Dokumenten - zum Beispiel, wenn die Veröffentlichungen mögliche Spitzel nennen - gibt es ungeklärte Fragen.

Größere Transparenz vermissen derzeit selbst diejenigen, die Wikileaks wohlgesonnen sind. Assange hingegen sieht sich als Opfer einer Rufmordkampagne, über den Twitter-Account des Portals kritisiert er vor allem das Pentagon und das Magazin Wired, mit dem er seit der Enttarnung eines mutmaßlichen Informanten auf Kriegsfuß steht.

Geldtransfers eingefroren

Die Vorwürfe an die US-Behörden benennt Assange konkret: So kann Wikileaks nach eigenen Angaben derzeit keine Spenden über den Geldtransferdienst Moneybookers entgegen nehmen, weil die USA und Australien die Seite auf eine Liste zweifelhafter Geldempfänger gesetzt habe. Normalerweise werden nur Konten von solchen Organisationen eingefroren, die im Verdacht der Geldwäsche oder der Unterstützung krimineller Vereinigungen stehen. Die Behörden in den beiden Ländern dementieren, eine Sperrung veranlasst zu haben.

Ein weiterer Schlag trifft Assange persönlich: Die schwedische Einwanderungsbehörde hat in dieser Woche den Antrag des 39-Jährigen auf eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Weil in dem skandinavischen Land Pressefreiheit und Informanten unter besonders großem Schutz stehen, hatte Assange mit der Idee geliebäugelt, die Wikileaks-Zentrale dort aufzubauen.

Zu den Gründen für die Ablehnung machten die schwedischen Behörden keine Angaben. Im August war ein Haftbefehl gegen Assange wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und sexueller Belästigung zweier Frauen erlassen worden, der jedoch kurz darauf aufgehoben wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit noch, der Wikileaks-Chef hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und als politisch motiviert bezeichnet.

Bei all den Problemen könnte eine neue Enthüllung für positive Schlagzeilen sorgen. In den vergangenen Tagen war in verschiedenen Medien berichtet worden, für Montag stünde die langerwartete Publikation von 400.000 Geheimdokumenten zum Irakkrieg bevor. Wikileaks ist seit einiger Zeit wegen "Wartungsarbeiten" nicht erreichbar - oftmals ein Indiz dafür, dass Webseiten für ein besonderes Ereignis umgebaut werden.

Kein Blut an den Fingern

Doch am späten Nachmittag deutscher Zeit meldete sich Assange mit einer Botschaft zu Wort, in der er dies dementierte - und wiederum Wired beschuldigte, Gerüchte in die Welt zu setzen, ohne mit Wikileaks-Mitarbeitern zu sprechen. "Wir geben keine genauen Informationen über anstehende Veröffentlichungen heraus", schrieb Assange, "weil das einfach nur Futter für Organisationen ist, die uns schmähen möchten."

Im Pentagon bereitet man sich Berichten zufolge dennoch auf die neuen Enthüllungen vor. Von der Veröffentlichung zehntausender Militärberichte aus Afghanistan war das Verteidigungsministerium Ende Juli noch überrascht worden - das soll offenbar nicht noch einmal passieren.

Damals hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates erklärt, die Publikation werde einen "bedeutenden Einfluss auf die Truppen und Alliierten haben, weil sie Techniken und Abläufe verrät", Vertreter von Militär und Republikanern warfen Assange vor, "Blut an den Fingern" zu haben, weil in den Dokumenten auch Namen mutmaßlicher Informanten zu finden sind.

Bereits Mitte August relativierte Gates allerdings seine Meinung, wie ein nun veröffentlichter Brief (pdf hier) an das Militärkomitee des US-Kongresses belegt. Die Wikileaks-Veröffentlichungen hätten "keine sensiblen Informationsquellen und -methoden aufgedeckt", heißt es da.

Die größte Gefahr, so macht es momentan den Eindruck, stellt Wikileaks derzeit für sich selbst dar.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1013607
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.