Süddeutsche Zeitung

Elektronikmesse CES:Hype um den Hype

Das nächste große Ding - nichts geringeres erwarten die Besucher von der Technologiemesse CES. Der Anspruch ist völlig überzogen, die Branche überdreht.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Wenn die Götter der griechischen Mythologie geeignete Gerätschaften benötigten, dann gingen sie einfach zu Hephaistos, dem Gott des Feuers. Der tüftelte in seiner unterirdischen Schmiede und stattete seine Kollegen mit allerlei Gadgets aus: Zeus bekam einen Donnerkeil, Artemis einen Bogen, alle Götter brauchbare Wohnungen. Für sich selbst kreierte er zwei goldene mechanische Dienerinnen. Nicht alle Erfindungen allerdings dienten dem Wohle seiner Mitgötter, Hephaistos erfand auch ein kunstvolles Netz, in dem er seine untreue Ehefrau Aphrodite mit Ares beim Liebesspiel erwischte und fesselte.

Auf der International Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas präsentierten sich in der vergangenen Woche mehr als 36 000 moderne Versionen des Feuergottes, der ganz offensichtlich die Ur-Versionen von Robotern, Spionagekameras und Smart Homes erfunden hat. Sie stellten Gadgets vor, die die Menschen künftig brauchen oder unbedingt haben wollen - wobei es meist eher ums Habenwollen denn ums Brauchen ging. Natürlich war der Kerberos los, schließlich müssen heutzutage nicht mehr ein paar Gottheiten mit fortschrittlichem Gerät ausgestattet werden, sondern mehr als sieben Milliarden Menschen, die ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Es gab wunderbare Erfindungen und Entwicklungen zu bestaunen, von sinnvoll bis total abgefahren wurde jede Kategorie bedient. Die Messe erbrachte den Beweis, dass Technologie das Leben der Menschen positiv beeinflussen kann und veritable Antworten auf zahlreiche Probleme hat. Die Teilnehmer verwehrten sich auch nicht den ernst zu nehmenden Debatten um Datenschutz, Privatsphäre und Cyberattacken.

Die Hersteller von Gadgets kennen nur den Superlativ

Dennoch handelten viele Gespräche davon, was nicht zu sehen war auf dieser CES: dieses eine prägende Produkt. The Next Big Thing. Nichts weniger erwarten die Besucher mittlerweile von dieser Technologie-Messe, es gibt einen Hype um den Hype, ein Steigern um des Steigerns willen. Es geht nicht mehr nur um das nächste große Ding, sondern gleich um das allergrößte Ding. Um die revolutionäre Smartwatch, die tollste Drohne und den erstaunlichsten 3-D-Drucker in der Geschichte. So definiert sich diese Branche, sie veranstaltet ein Hase-Igel-Rennen mit sich selbst. Sie kommuniziert ausschließlich in Superlativen wie sonst nur Manager beim Preisboxen, der meistgehörte Begriff in der vergangenen Woche war "The World's Best".

Weil die Kunden nur den beachten, der verzaubert und verzückt, müssen die Hersteller bei jeder Messe ein neues Kaninchen aus dem Hut ziehen - oder zumindest so tun, als wäre das hervorgeholte Ding ein Kaninchen. Wer keinen Hype kreiert, der kann daheim bleiben und sich die oftmals siebenstelligen Kosten für einen Auftritt im technologischen Olymp sparen. Die Besucher allerdings brauchen sich dann nicht zu wundern, wenn ihnen acht beste Fernseher der Welt vorgestellt werden, 50 tollste Fitnessarmbänder und etwa 1500 allerbeste Varianten des Internets der Dinge.

Die Gefahr besteht darin, dass diese Branche überdreht und überhitzt. Was ihr guttun würde, wäre eine Abkehr von der Gier nach dem Hype. Dazu müssen jedoch die Kunden aufhören, in immer kürzeren Abständen etwas Weltbewegendes zu fordern. Nicht alles, was möglich erscheint, ist auch immer sinnvoll oder zum Wohle der Welt.

So war das übrigens auch bei Hephaistos: Der entwarf einen Thron aus Gold und schickte ihn an Hera, die sogleich darauf Platz nahm. Der Sessel sah zwar prächtig aus, fesselte die Göttin jedoch derart kräftig, dass sie niemand befreien konnte. Außer Hephaistos selbst.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2015
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