Süddeutsche Zeitung

Ein Ashley-Madison-Nutzer erzählt:"Ich bete jeden Tag, dass ich meine Familie nicht verliere"

2010 meldete er sich bei Ashley Madison an. Dann wurde die Seite gehackt, und seine Frau erfuhr von den Seitensprüngen - jetzt erzählt er vom "größten Fehler meines Lebens".

Interview von Simon Hurtz

Der Mann, er ist Ende 30, wirkt entspannt: erstaunlich entspannt. Als das Gespräch aber auf seine Frau kommt, fällt es ihm schwer, seine Gefühle in Worte zu fassen. Eine Stunde später sagt er zum Abschied: "Ich war nie ein gläubiger Mensch. Aber ich bete jeden Tag, dass ich meine Familie nicht verliere."

Der Mann, der sich nur unter der Bedingung mit der Süddeutschen Zeitung in einem Café in München traf, seinen Namen nicht in der Zeitung zu lesen, war einer von Millionen Nutzern des Seitensprung-Portals "Ashley Madison". Am 20. Juli wurde die Seite von Hackern angegriffen, vergangene Woche veröffentlichten die Kriminellen mehr als 33 Millionen Kundendaten. Die Betreiberfirma hat eine Belohnung von rund 330 000 Euro für Hinweise ausgesetzt. Ihr selbst droht eine Sammelklage im Umfang von mehr als einer halben Milliarde Euro: Ashley Madison soll die Daten nicht ausreichend geschützt haben. Momentan ermittelt zudem die kanadische Polizei, sie vermutet bei zwei Suizid-Fällen einen Zusammenhang mit den veröffentlichten Nutzerprofilen.

SZ: Wissen Sie noch, was Sie am 20. Juli gemacht haben?

Ja, ich erinnere mich. Das hat aber nichts mit Ashley Madison zu tun - ich war mit meiner Familie im Urlaub in Schweden. Wir hatten drei Wochen lang kein Internet, und ich habe davon überhaupt nichts mitbekommen. Der Tag, der für mich alles verändert hat, kam erst einen Monat später.

Nachdem die Betreiber von Ashley Madison die Webseite nicht wie gefordert abgeschaltet hatten, machten die Hacker ihre Drohung wahr und stellten am 19. August einen Teil der Nutzerdaten ins Internet.

Diesen Morgen werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich war zu Hause, weil ich meine Tochter in den Kindergarten bringen wollte. Meine Frau und ich arbeiten Vollzeit, deshalb wechseln wir uns wöchentlich ab: Einer fährt die Ältere zur Schule, der andere die Jüngere in den Kindergarten. Davor wollte ich noch meine Mails abrufen und die Nachrichtenlage checken. Das Erste, was ich gesehen habe, war die Schlagzeile: "Gehackte Nutzerdaten von Seitensprungportal veröffentlicht".

Haben Sie sofort realisiert, dass Sie betroffen sein könnten?

Zumindest war ich alarmiert. Die ursprüngliche Meldung, dass Ashley Madison gehackt worden war, kannte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht. Aber zwei Minuten später habe ich realisiert, welche Konsequenzen das haben könnte, und saß zitternd vor dem Computer. Danach habe ich meine Tochter im Kindergarten abgeliefert und versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Den Rest des Vormittags habe ich damit verbracht, mich über den Hack schlau zu machen, an Arbeit war überhaupt nicht zu denken.

Wie haben Sie dann erfahren, dass Ihre Daten im Netz stehen?

Es hat nicht lange gedauert, bis es Seiten gab, auf denen man die vielen Gigabyte an Daten nach Mailadressen durchsuchen konnte. Mein Name, meine Anschrift, meine sexuellen Vorlieben, all das ist jetzt öffentlich. Außerdem ein Teil meiner Kreditkartennummer und alle Geldbeträge, die ich an Ashley Madison gezahlt habe.

Was bedeutet das für Sie?

Ich benutze diese Mailadresse seit Jahrzehnten. Jeder kennt sie, und jeder könnte in der Ashley-Madison-Datenbank danach suchen. Kollegen, Eltern, Freunde. Und natürlich meine Frau. Ich komme mir vor, als hätte ich einen Aufkleber auf der Stirn: "Seht her, dieser Mann hat Geld fürs Fremdgehen bezahlt!" Ich traue mich kaum noch vor die Haustür. Wenn mich meine Frau im Bett mit einer anderen erwischt, ist das schlimm. Aber die Veröffentlichung hat nochmal eine andere Dimension. Ich weiß gerade wirklich nicht, wie ich mit diesem Gefühl der öffentlichen Schande weiterleben soll. Aber immerhin habe ich das Schlimmste hinter mir: Ich habe meiner Frau alles erzählt.

Wie hat sie reagiert?

Sie überlegt, sich scheiden zu lassen. Und ich habe dafür vollstes Verständnis. Im Moment bin ich einfach froh, dass sie nicht sofort gesagt hat, dass sie mich nie wieder sehen will. Sie ist nicht einmal laut geworden, hat mich nur gebeten, sie alleine zu lassen. Kurz darauf ist sie zu mir ins Zimmer gekommen und hat gesagt, dass sie für ein paar Wochen bei Freunden einziehen wird, bis sie ihre Gedanken geordnet hat. Ich habe ihr angeboten, dass auch ich umziehen könnte, aber das wollte sie nicht.

Haben Sie seitdem noch einmal miteinander geredet?

Wir haben kurz besprochen, was wir den Kindern sagen und wie wir den Alltag organisieren. Seit dem Wochenende herrscht Funkstille, und ich traue mich noch nicht, mich bei ihr zu melden. Jetzt ist nicht der Moment für Entschuldigungen oder Erklärungen, damit mache ich es nicht besser.

Warum haben Sie sich überhaupt bei Ashley Madison angemeldet?

Das war 2010, nach unserem ersten Kind hatte meine Frau eine Fehlgeburt, und unsere Ehe stand kurz vor dem Aus. Wir wussten beide nicht, wie wir mit der Trauer umgehen sollen, und statt uns gegenseitig zu helfen, haben wir uns zerstritten. Es war eine fürchterliche Zeit für uns beide, die Scheidung war jeden Tag ein Thema. Ich habe es nicht ausgehalten und Ablenkung gesucht. Es war der größte Fehler meines Lebens, ich verachte mich selbst dafür.

Wie lange haben Sie das Portal genutzt?

Ungefähr ein halbes Jahr. Ich habe für zwei Seitensprünge gezahlt, und ich bin mir schrecklich dabei vorgekommen. An die Frauen kann ich mich kaum noch erinnern. Eine war deutlich älter, eine deutlich jünger, beide unglücklich verheiratet, keine Kinder. Im Bett haben wir uns gut verstanden, sonst hatten wir uns nichts zu sagen. Aber genau darum geht es ja. Als ich gemerkt habe, dass mich das nicht von meiner Trauer ablenkt, habe ich aufgehört. Meine Frau und ich haben eine Psychotherapie gemacht und beide wieder den Weg zurück in den Alltag gefunden. Ich habe meine Mitgliedschaft gekündigt und alle Daten kostenpflichtig löschen lassen.

Ihre Mailadresse steht nun aber trotzdem im Netz.

Hinter Ashley Madison stecken Betrüger. Sie haben 19 Dollar dafür verlangt, dass der komplette Account entfernt wird - angeblich. Tatsächlich haben sie einfach nur das Geld kassiert und die Daten auf ihren Servern gelassen.

Sind Sie wütend?

Nur auf mich selbst. Letztendlich habe ich mir das doch alles selbst eingebrockt. Jemand anderen für mein Verhalten verantwortlich zu machen wäre Unsinn. Sündenböcke helfen mir jetzt nicht weiter. Ich kann bloß hoffen, dass meine Frau mit mir redet und irgendwann bereit ist, meine Entschuldigung zu akzeptieren. Wir sind seit vier Jahren wieder ein richtiges Paar, eine glückliche Familie. Das zu verlieren ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.

Und die Hacker, was ist mit denen?

Auch da gilt: Schuld bin in erster Linie ich selbst. Trotzdem finde ich das Verhalten der Hacker unverantwortlich. Es sind ja nicht nur Leute wie ich, deren Mailadressen jetzt im Internet zu finden sind; nicht nur westliche Wohlstandsbürger auf der Suche nach dem schnellen Seitensprung, aus welchen Gründen auch immer. In Saudi-Arabien steht auf Ehebruch die Todesstrafe. Angeblich soll es Tausende saudische Nutzer gegeben haben, darunter Homosexuelle. Auf Reddit hat ein verzweifelter Nutzer bereits um Asyl in einem anderen Land gebeten, weil er fürchtet, gefoltert und hingerichtet zu werden. Diese Menschen sind es, die einem leidtun sollten.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2015/sih
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