E-Sport Computerspiele:Mausklicks statt Fallrückzieher

E-Sport Computerspiele: Mit Klatschpappe vor der 400-Quadratmeter-Leinwand: Das Dota-2-Turnier ESL One in der Frankfurter Commerzbank-Arena.

Mit Klatschpappe vor der 400-Quadratmeter-Leinwand: Das Dota-2-Turnier ESL One in der Frankfurter Commerzbank-Arena.

(Foto: Matthias Huber)

Sie jubeln für Klick-Athleten wie andere für Messi, Ronaldo und Müller: Im Frankfurter Bundesligastadion versammeln sich Zehntausende Fans, um bei einem Computerspiel-Turnier zuzuschauen.

Von Matthias Huber, Frankfurt am Main

Nachrichtensprecher sind ein Musterbeispiel an Seriosität. Sie sitzen hinter ihren Tischen mit Hemd, Krawatte, Anzug und geben sich alle Mühe, ernsthaft und professionell zu erscheinen. Trotzdem oder gerade deshalb hält sich in Filmen und Comedy-Programmen beharrlich der Witz, dass sie womöglich nur in Boxershorts und Kniestrümpfen im Studio sitzen. So wie es Marlon Brando einst bei Fernsehinterviews getan haben soll, um nicht abwärts der Gürtellinie gefilmt zu werden.

Hosen tragen die Moderatoren und Kommentatoren beim Computerspiel-Turnier ESL One im Fußballstadion von Eintracht Frankfurt schon unter ihrem Hemd und der Krawatte. Immerhin darf es schon mal eine ausgefranste Jeans sein. Aber die seriöse Fassade ist hier mindestens so wichtig wie bei der "Tagesschau" im Fernsehen. Auch wenn die meisten Zuschauer eher ältere Jugendliche als strenge Anzugträger sind. Aber professionelles Computerspielen in einer Wettkampf-Umgebung - von seinen Anhängern als E-Sport bezeichnet - ist ein großes Geschäft geworden und ringt um Anerkennung.

"E-Sport ist der größte im Mainstream unbeachtete Sport, den es gibt", sagt Ralf Reichert, Chef und Mitgründer der Electronic Sports League (ESL). Seit 1997 veranstaltet der 39-Jährige mit seiner Kölner Firma Turtle Entertainment Computerspiel-Turniere, seit dem Jahr 2000 unter der Marke ESL. Inzwischen ist die League neben dem zwei Jahre jüngeren US-Konkurrenten Major League Gaming (MLG) einer der größten internationalen E-Sport-Veranstalter.

Besucher aus 60 Nationen, das gibt es sonst fast nur bei Olympischen Spielen

Computerspiel-Turniere erreichen weltweit regelmäßig ein Millionenpublikum - vor allem über den auf E-Sport-Übertragungen spezialisierten Online-Streamingdienst Twitch. 45 Millionen Zuschauer nutzen die Plattform jeden Monat. Kein Wunder, dass die Google-Tochter Youtube an Twitch Interesse haben soll - und wohl bis zu eine Milliarde Dollar für eine Übernahme zahlen würde.

Es ist das erste Mal, dass ein Turnier wie das ESL One in einem großen Stadion stattfindet, in einem, in dem auch schon eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. 25 000 Zuschauer sind in die Frankfurter Arena gekommen, um anderen beim Computerspielen zuzugucken, zu Ticketpreisen zwischen 20 und 180 Euro. Schon auf dem Fußweg vom Bahnhof Frankfurt-Niederrad zum Stadion schallen der Jubel und die Sprechchöre der Fans herüber, als wäre es gerade ein ganz normaler Bundesliga-Samstag.

Besucher aus mehr als 60 Nationen, sagt Reichert, "das gibt es bei der Fußball-WM und bei Olympischen Spielen, aber sonst dürfte das kaum ein Sportereignis schaffen". Mehr als eine halbe Million Menschen sahen gleichzeitig über Twitch im Livestream dabei zu, wie das fünfköpfige Siegerteam, Invictus Gaming aus China, sich seinen Anteil an 200 000 Dollar Preisgeld erspielte. Insgesamt verfolgten laut Angaben der Veranstalter im Lauf des Wochenendes weltweit etwa drei Millionen Menschen die Live-Übertragung aus Frankfurt.

Autogrammstunden, verkleidete Fans - wie beim Profisport

Dabei ist Dota 2, das Spiel, das beim ESL One gespielt wurde, auf den ersten Blick für Außenstehende nur schwer zu durchblicken. Zwei fünfköpfige Mannschaften treten dabei in einer virtuellen Arena, der sogenannten Multiplayer online battle arena (kurz: Moba, daraus leitet sich auch der Name des Genres ab), gegeneinander an. Sie versuchen, mit geschicktem Teamwork die Festung der gegnerischen Mannschaft zu erobern.

Es gibt mehr als hundert verschiedene Figuren, unter denen die Spieler wählen können, digitale Kämpfer, Zauberer und allerlei Phantasiewesen, jedes von ihnen mit speziellen Fähigkeiten, die sich auf dem Bildschirm in einem Effektgewitter entladen - und von den Zuschauern vor dem 400 Quadratmeter großen Bildschirm begeistert bejubelt werden. Das vor einem Jahr erschienene Dota 2 gehört mit täglich bis zu 800 000 gleichzeitigen Spielern zu den erfolgreichsten Computerspielen der Welt. Das sehr ähnliche und fünf Jahre alte League of Legends (LoL) des Entwicklers Riot Games schafft zu Spitzenzeiten sogar fast das Zehnfache.

E-Sport Computerspiele: Bejubeln schnelle Mausklicks wie spektakuläre Fallrückzieher: Die Fans im E-Sport-Stadion

Bejubeln schnelle Mausklicks wie spektakuläre Fallrückzieher: Die Fans im E-Sport-Stadion

(Foto: Matthias Huber)

Für das Publikum soll sich das ESL One so anfühlen, als handele es sich um ein Sport-Großereignis wie die laufende Fußball-WM. Die Spieler tragen die Logos von PC-Herstellern auf der Brust, geben Autogrammstunden und werden von ganzen Management-Teams begleitet. Zwischen den Spielen analysiert eine fünfköpfige Expertenrunde für Live- und Online-Publikum die Feinheiten des letzten Matches. Fans halten Spruchbanner und Plakate in die Luft oder verkleiden sich von Kopf bis Fuß als ihre Lieblingsfigur aus dem Spiel - so wie sich auch so mancher Fußballfan im Stadion die Farben seines Vereins auf Körper und Gesicht malt. Das ZDF betitelte einen Bericht über die Veranstaltung - wenn auch inhaltlich nicht ganz zutreffend - mit "Public Viewing für Computerspieler".

"Es geht um Geschicklichkeit und Schnelligkeit, man kommt dabei ins Schwitzen."

"Wir sehen uns als ganz normaler Sportveranstalter", erklärt Reichert, "unser Geschäftsmodell besteht aus den gleichen Einnahmequellen": Tickets, Sponsoren, TV-Lizenzrechte - im Fall von Computerspielen eher Rechte für Online-Streaming - und Merchandise. Die Einnahmen verteilen sich zwar nicht zu gleichen Teilen auf diese Bereiche, allerdings trügen alle einen zweistelligen Prozentbereich bei. Allerdings werde die ESL mit solch einem Turnier "noch nicht reich, aber profitabel sind wir schon". Ein Viertel des Preisgelds stammt aus freiwilligen Beiträgen der Fans, die für ihre Spende ein paar digitale Gegenstände erhielten - etwa besondere Kleidung für ihre Dota-2-Spielfigur. Für das Dota-2-Turnier "The International" im Juli in Seattle kamen so mehr als zehn Millionen Dollar Preisgeld zusammen.

Damit sie um diese Summen mitspielen können, folgen internationale Teams wie ESL-One-Sieger Invictus Gaming (IG) oder ihr Finalgegner Evil Geniuses (EG) einem strengen Trainingsplan. Acht Stunden oder mehr verbringen sie täglich mit ihrem Spiel, analysieren die Strategien der Gegner und üben ihre Hand-Augen-Koordination. Vor einem Match wärmen sie mit Knetkissen ihre Finger auf. Im Spiel leisten sie konstant 300 bis 400 Tastatur- oder Mausbefehle pro Minute. Also mehr als fünf Klicks pro Sekunde, über das gesamte Spiel, von dem eine einzelne der bis zu fünf Runden zwischen 30 und 90 Minuten dauert. Wenige Fehler können die Niederlage für das gesamte Team bedeuten.

Öffentliche Förderung wie für Schach oder Sportschießen?

"E-Sport hat eine große physische Komponente", bestätigt Reichert. "Es geht um Geschicklichkeit und Schnelligkeit, man kommt dabei ins Schwitzen." Natürlich sei dieser Anspruch geringer als bei Fußball oder Marathon, aber dies werde durch den intellektuellen Anspruch aufgewogen. Deshalb, so Reichert, sei es "nur eine Frage der Zeit", bis auch E-Sport öffentlich gefördert wird. "Schach oder Sportschießen sind auch förderbare Sportarten, und die liegen in fast allen dieser Aspekte deutlich hinter dem E-Sport", findet er.

Allerdings sollten für Schach gerade erst die Fördermittel des Innenministeriums in Höhe von etwa 150 000 Euro jährlich gestrichen werden - weil der Aspekt der körperlichen Ertüchtigung fehle. Der Deutsche Olympische Sportbund ging aber erfolgreich gegen diese Maßnahme vor, auch das Internationale Olympische Komitee erkennt Schach als Sportart an.

Plan B: Warten auf besseres Wetter

Anders als traditionelle Sportarten unterliegen die Disziplinen im E-Sport dem Urheberrecht einzelner Firmen. Und darum entsteht schon mal Streit. Das Akronym "Dota" steht für Defense of the Ancients, ursprünglich eine Modifikation des Strategiespiels Warcraft 3 von Blizzard Entertainment. Entwickelt wurde dieser Grundstein des Moba-Genres überhaupt von einer nur unter dem Pseudonym Ice-Frog bekannten Privatperson. Der Spielehersteller Valve, die Firma hinter Steam, dem weltgrößten Online-Shop für Computerspiele, engagierte Ice-Frog schließlich, um den Nachfolger Dota 2 in ihrem Haus zu entwickeln. Und sah sich prompt erst einmal einer - letztlich erfolglosen - Klage von Blizzard ausgesetzt.

Bislang genießen die Spielehersteller die kostenlose Werbung durch die E-Sport-Szene. Ein Risiko, dass ein Spielehersteller plötzlich in anderem Maße als bisher an den Veranstaltungen mitverdienen will, hält Reichert für unwahrscheinlich: "Immerhin erzählen wir mit unseren Turnieren die beste Geschichte, die um diese Spiele erzählt werden kann. Das wissen auch die Hersteller, und deshalb unterstützen sie uns auch."

So professionell ein Turnier wie die ESL One aber auch aussieht: Von traditionellen Sportveranstaltungen kann es noch etwas lernen, mindestens das Krisenmanagement. Schon am Samstagabend muss wegen der Auflagen der Stadt Frankfurt das letzte Viertelfinale auf den nächsten Tag verschoben werden. Und am frühen Sonntagabend geschah während des zweiten Dota-Halbfinales das, was beim Tennisturnier von Wimbledon eine Regenunterbrechung ist: Ein Netzwerk-Absturz mitten im Spiel ließ die Veranstalter bangen, ob die Partie neu gestartet werden muss oder fortgesetzt werden kann. Dies ist nur unter bestimmten technischen Voraussetzungen möglich. Ein Plan B für solche Pannen existiert bislang nicht. In Wimbledon gibt es dafür seit einigen Jahren ein Dach über dem Center Court. Aber bis dahin wartete man auch dort 130 Jahre lang geduldig auf besseres Wetter.

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