E-Sport-Casting:Schalke sucht den Super-Klicker

Schalke LoL League fo Legends

Der FC Schalke 04 sucht bei einem Casting nach jungen Talenten für seine E-Sport-Abteilung. Mit dabei: der 21-jährige Farid El-Hajjar aus Gelsenkirchen (vorne).

(Foto: Schalke 04)

Als erster Fußball-Bundesligist hat der FC Schalke 04 ein Profi-Team für das Computerspiel "League of Legends". Beim Probetraining konkurrieren internationale E-Sport-Talente um die wenigen Plätze.

Reportage von Caspar von Au, Gelsenkirchen

Der weiße Pfeil zeigt keine Reaktion und das ist eine Katastrophe. Er bleibt einfach auf dem Bildschirm stehen. Farid El-Hajjar zieht mit der Maus ein paar schnelle Kreise über den Tisch. Nichts. Äußerlich zeigt er keine Regung, bleibt ruhig, innerlich bebt er wohl. Denn von seiner Maus, Modell MX 518, hängt alles ab. Ohne sie kann der 21-Jährige seinen Traum vom Profivertrag vergessen, kann er den FC Schalke 04 vergessen.

El-Hajjar sitzt mit elf anderen jungen Männern zwischen 18 und 22 Jahren in der Loge "Libuda" oberhalb der Nordkurve in der Arena auf Schalke. Probetraining. Die Wände in dem hellen Raum sind orange, in der Mitte stehen sich zwei mal fünf Computer gegenüber. Die jungen Männer sitzen auf mit Leder überzogenen Stühlen und starren konzentriert auf ihre Bildschirme. Reinhard "Stan" Libuda, die Schalker Fußball-Legende der Sechziger, lächelt schwarz-weiß auf diese ungewöhnliche Versammlung herab.

Inmitten der zappelnden Konkurrenz ist El-Hajjar der Ruhepol

In einem mehrere Tage dauernden Casting - dem ersten seiner Art weltweit - sucht der FC Schalke 04 neue Spieler für seine League-of-Legends-Mannschaft. In dem Computerspiel, von den Spielern selbst nur LoL genannt, treten zwei Teams von je fünf Leuten gegeneinander an. Jeder steuert einen virtuellen Helden, der stellvertretend für ihn Kämpfe auf dem Bildschirm austrägt: Ein blauhäutiger Zauberer schleudert Bälle aus Blitzen, ein Minotaurus stampft auf, um seine Gegner in die Luft zu schleudern, eine Medusa versteinert andere Helden mit ihrem Blick. Ziel des Spiels ist, die gegnerische Basis zu zerstören. League of Legends ist eine der beliebtesten E-Sport-Disziplinen - bei der sechsten Weltmeisterschaft, deren Finale am Wochenende in Los Angeles ausgetragen wurde, ging es um mehr als fünf Millionen US-Dollar.

El-Hajjar, 21, Abiturient und echter Schalker Jung, hat sich wie Hunderte andere weltweit für das Probetraining beworben. Er möchte Teil des Schalker Teams werden. Viel sagt er nicht, nur: "Ich liebe den Wettkampf. Ich habe schon immer Leistungssport betrieben." Tischtennis, Schwimmen und jetzt eben E-Sport. Das mag man gar nicht so richtig glauben. El-Hajjar ist breitschultrig und fast 1,90 Meter groß, überragt die meisten anderen Bewerber um einen Kopf, aber wie Timo Boll oder Michael Phelps sieht er dann auch nicht aus.

El-Hajjar sitzt aufrecht am Computer, die Augen unter den dichten Augenbrauen starr auf den Bildschirm gerichtet. Die Beine in der grauen Jogginghose hat er von sich gestreckt. Inmitten der anderen Spieler, die hektisch auf ihren Mäusen herumklicken, mit den Füßen wippen oder an ihren Fingernägeln kauen, wirkt El-Hajjar wie ein Ruhepol.

Anders als beim Fußball: Der Deutsche ist der Underdog

Im Feld der Bewerber ist El-Hajjar eher der Underdog. Er ist der einzige Deutsche im Feld, die Konkurrenten um die Plätze im Team kommen aus Dänemark, Schweden, Norwegen, den Niederlanden, England und Frankreich. El-Hajjar wohnt keine zehn Minuten von der Arena auf Schalke entfernt. Viele seiner Konkurrenten haben schon in professionellen E-Sport-Teams gespielt, El-Hajjar nicht. Eigentlich hatte er den Traum, Profi zu werden, schon aufgegeben, aber dann tat sich diese Chance vor seiner Haustür auf.

Den ersten Kampf des Probetrainings verliert El-Hajjar - gegen seine Maus. Er muss sich ein Ersatzgerät leihen. Die liegt ganz anders in der Hand, das macht das Spiel nicht leichter. Auch in der ersten Trainingspartie an dem Tag läuft es nicht gut für ihn. Er muss sich auf seiner Position mit Jørgen "Hatrixx" Elgåen abwechseln. Der 22-jährige Norweger ist sein direkter Konkurrent um den Platz im Team. Er hat schon für Teams in Spanien und der Türkei gespielt.

El-Hajjar spielt die Magierin Syndra, die ihre Gegner im Spiel mit schwarzen Kugeln bombardiert. Zwar hat er schon zwei seiner Gegner ausgeschaltet und musste dabei selbst nur einmal einstecken, aber der Rest seines Teams wird an die Wand gespielt. Reicht das, um den FC Schalke 04 von seinem Können zu überzeugen?

Auch Computerspieler müssen zum Lauftraining

Der Fußballverein hat im Frühjahr die Abteilung für E-Sport gegründet. Dazu haben sie auf Schalke damals ein anderes LoL-Profi-Team aufgekauft. Das war nicht erfolgreich: Gleich nach der ersten Saison in der ersten europäischen Liga für LoL - der League of Legends Championship Series (LCS) - ist Schalke in die zweite Liga abgestiegen. Der Manager und ein Großteil des Teams wurden geschasst. Geblieben sind: Tim Reichert, Leiter der E-Sport-Abteilung, und Trainer Patrick Funke. "Bis Anfang Januar wollen wir dazu ein junges Team auf die Beine stellen", sagt Tim Reichert. "Mit dem Casting wollen wir ein, zwei Jungs finden, die das Niveau haben, uns zum Wiederaufstieg zu führen."

Wiederaufstieg, Profivertrag, Schalke - davon ist Farid El-Hajjar gerade weit entfernt. Sein Team verliert das Spiel. Danach setzt sich El-Hajjars Team im Stuhlkreis zusammen. "Du hast dich zu sehr zurückdrängen lassen", kritisiert sein Konkurrent Jørgen Elgåen. El-Hajjar nickt, hat er selbst gemerkt. In der nächsten Partie sitzt El-Hajjar auf der Bank. Jetzt ist Elgåen dran.

Danach steht das Lauftraining auf dem Programm. Da müssen auch Computerspieler durch. "Wir wollen keine Fußballstars aus ihnen machen", sagt Trainer Funke, "aber zweimal die Woche laufen oder Fitnessstudio tut ihnen ganz gut." Nur fünf von zwölf Kandidaten erscheinen zum Sportprogramm. El-Hajjar und Elgåen sind dabei. Der Norweger sprintet nach 20 Minuten ins Ziel - der Eingang der Viersternehotels, in dem die Kandidaten untergebracht sind. El-Hajjar kommt fünf Minuten später schnaufend angetrottet. "Ich bin eben mehr der Pumper", sagt er.

Der dritte Tag entscheidet alles

Tim Reichert findet es nicht schlimm, dass El-Hajjar bei der Laufeinheit nicht mithalten kann: "Du hast es versucht, da muss man sich auch erst dran gewöhnen", sagt er dem Bewerber. Und andere sind schließlich gar nicht erst angetreten. Beim Casting soll es nicht allein um Leistung gehen. Die Spieler müssen auch zusammenpassen. "Sehr wichtig ist die Kommunikation", sagt Trainer Funke. "Wie gehen die Spieler miteinander um?" El-Hajjar ist zurückhaltend, aber freundlich. Er bedankt sich während des Spiels bei seinen Mitspielern, wenn sie ihm zur Seite springen. Ansonsten ist er eher still, lässt andere die Ansagen machen.

Der dritte Tag entscheidet alles: El-Hajjar muss gegen Elgåen antreten. Der 21-Jährige aus Gelsenkirchen wählt eine seiner Lieblingsheldinnen im Spiel, die Puppenmagierin Orianna. Der Norweger entscheidet sich für den Zauberer Ryze. 21 Minuten und 42 Sekunden hält El-Hajjar gut mit, dann stürzt sich Ryze mit der Hilfe von zwei anderen Helden auf die zierliche Orianna. Innerhalb von einer Sekunde ist El-Hajjars virtuelle Heldin tot. Auch dieses Spiel verliert sein Team.

Vielleicht fällt deshalb die Entscheidung am Ende gegen El-Hajjar. Jørgen Elgåen alias "Hatrixx" hat offenbar beim Trainerstab von Schalke nach drei Tagen Casting mehr Eindruck hinterlassen. Die fünf Spieler um Elgåen fahren am Freitag nach Warschau, als vorläufiges Team des FC Schalke 04. Farid El-Hajjar fährt nach Hause, er hat es ja nicht weit. Und einen Plan B gibt es auch schon: Im Frühjahr macht der Einserschüler sein Abitur und will dann BWL studieren. LoL ist für ihn dann doch nur ein Spiel.

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