E-Publishing:Profitable Massen

In China revolutioniert ein E-Book-Verlag das Buchgeschäft. Kunden zahlen für die im Internet veröffentlichten Werke nur wenig - die Autoren wollen dennoch online publizieren.

Alex Rühle

In China weiß man, dass eine Firma oder Idee wirklich erfolgreich ist, wenn die Regierung anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie regulieren kann. Seit einem Jahr nun interessiert sich die Kommunistische Partei für das System der sogenannten Micropayments.

E-Publishing: In China gibt es 340 Millionen Internetnutzer - Tendenz steigend.

In China gibt es 340 Millionen Internetnutzer - Tendenz steigend.

(Foto: Foto: AFP)

Darunter versteht man die Bezahlung winziger Geldbeträge für das Herunterladen oder Rezipieren einzelner Musikstücke, Buchkapitel oder Artikel im Netz.

In Europa und den USA ist die Debatte, ob Micropayments die Zukunft der Medien retten können, noch keineswegs entschieden. In China dagegen gibt es Geschichten, die zeigen, wie Masse und Macht wirtschaftlich geradezu zwingend zusammenhängen.

680 Millionen Chinesen besitzen ein Handy, es gibt 32 Millionen Blogger und bislang 340 Millionen Internetnutzer. Und alle, die von diesen Zahlen sprechen, betonen das Wort "bislang", schließlich leben fast 600 Millionen Chinesen in Städten, und so schnell wie sich die neuen Mobiltelefone mit internetkompatibler Technik verbreiten, sind alle optimistisch, dass sich die Zahl der Internetnutzer bald verdoppeln dürfte.

Doppelte Geschwindigkeit

Und wenn man in Europa oder den USA das Gefühl hat, dass das Internet mit großer Kraft alle Lebensbereiche aufsaugt, dann war man noch nicht in China: Hier scheint sich alles mit doppelter Geschwindigkeit zu vollziehen.

Kein Wunder, dass die Chinesen auch in Sachen E-Publishing enorme Sprünge machen. Ja, Luc Kwanten, ein ehemaliger amerikanischer Universitätsprofessor, der heute amerikanische Literatur nach Asien verkauft, sieht China als weltweiten Vorreiter für das E-Publishing: "Nirgends wächst das Netz in solch einem Tempo, China wird in Sachen E-Books allen davon galoppieren." Und allen voran galoppiert Shanda.

Die Firma Shanda publiziert 80 Prozent aller chinesischen Internetliteratur. Laut Xiaoqiang Hou, dem Geschäftsführer der Firma, sind auf der eigenen Seite 400.000 Bücher erhältlich. Täglich werden 8000 neue Bücher kapitelweise freigeschaltet. Zehn Millionen User nutzen die Seite täglich.

Da ist es kein Wunder, dass die Firma es schafft, mit einem Micropayment-Modell richtig Geld zu machen: Man darf als Leser die erste Hälfte, manchmal auch die ersten zwei Drittel eines E-Books umsonst lesen. Danach zahlt man pro tausend Schrift-Zeichen einen verschwindend geringen Betrag, am Ende hat man meist nur ein Zehntel dessen bezahlt, was man im Laden für ein gedrucktes Buch ausgeben würde.

Auf der nächsten Seite: Warum es für Autoren attraktiv ist, online zu publizieren.

hilflose Printverlage

Nun ist das Angebot bislang großteils beschränkt auf Teenieliteratur und Actiongeschichten, bei deren Aufbau man eher an Videospiele denkt als an herkömmliche Romane: Ein Held durchläuft verschiedene Levels, kämpft sich Seite um Seite mit einem reichhaltigen Waffenarsenal den Weg frei und wird am Ende belohnt.

Das aber hat Methode: Für die Firma ist Literatur nur ein Nebenerwerb, das wirkliche Geschäft wird seit zehn Jahren mit Onlinespielen gemacht. So sichert sich Shanda denn auch von vornherein sämtliche analogen und digitalen Nebenrechte an den Texten. Wenn diese dann erfolgreich sind, wird ein gedrucktes Buch, ein Onlinespiel und manchmal auch ein Film aus dem Roman gemacht. Die meisten der Texte werden von Laien geschrieben, die vor allem als Online-Spieler an neuen Plots interessiert sind.

Weniger Zensur

Mittlerweile jagt Shanda aber auch den traditionellen Verlagen gute Autoren ab. Für die ist es aus zweierlei Gründen attraktiv, ihre Sachen online zu publizieren: Wenn sie ihren Text bei einem Verlag einreichen, können sie nur hoffen, dass er die verschiedenen Zensurgremien halbwegs unbeschadet durchläuft.

Im Netz dagegen kann man bislang vieles relativ unkontrolliert veröffentlichen. Außerdem kaufen überhaupt "nur" 20 bis 30 Millionen Chinesen regelmäßig Bücher, Tendenz sinkend. Da bietet Shanda den Autoren einen Ausweg ins gelobte Netz. Obwohl sie die Hälfte ihrer Gewinne an die Firma abgeben müssen, gibt es mittlerweile mehrere Autoren, die über das E-Publishing mehr als eine Million Yuan im Jahr verdienen - rund einhunderttausend Euro.

Die chinesischen Printverlage sehen mehr oder weniger hilflos dabei zu, wie dieses eine Unternehmen quasi über Nacht den Buchmarkt revolutioniert: Man hört in Peking Geschichten verzweifelter Verleger, denen die Autoren davonlaufen.

Aggressive Aufkaufpolitik

Der 35-jährige Xiaoqiang Hou sagt auf solche Fragen mit dem freundlichsten Lächeln, er helfe ja nur den Schriftstellern, mit den Verlagen sei man mittlerweile im Austausch, am Ende, da sei er sicher, würden die Verlage mit ihm "kooperieren". Shanda ist berüchtigt für seine aggressive Aufkaufpolitik.

Kürzlich erst hat das Unternehmen mit dem britischen Verlag Penguin einen Vertrag abgeschlossen. Tausende von Penguintiteln werden in Zukunft über die Shanda-Webseite auf den chinesischen Markt gelangen. Nur was dann auch häufig angeklickt wird, wird Shanda auch als Buch verlegen. Xiaoqiang wird übrigens auch auf die Frankfurter Buchmesse kommen. Lachend sagt er, er würde gern die gesamte deutsche Literatur auf seiner Website verkaufen.

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