E-Mail-Kommunikation:Betreff: Auferstehung

E-Mail-Kommunikation: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Lange sah es so aus, als sei die E-Mail tot, doch mittlerweile erlebt sie eine Renaissance. Denn gegenüber Facebook und Twitter hat sie einen entscheidenden Vorteil.

Von Hakan Tanriverdi

Es ist ein Comeback, mit dem kaum zu rechnen gewesen war. Trotz all der sozialen Netzwerke, die ihr Geschäftsmodell auf einem Nachrichtenstrom aufbauen, der weder Anfang noch Ende kennt: Mehr und mehr Menschen greifen zurück auf eine Alternative, die vielen als hoffnungslos gestrig gilt: Sie verschicken E-Mails, in Form eines Newsletters. Eine Nachricht mit mehr oder minder persönlichem Anschreiben, ab und an gibt es noch ein paar Links dazu - Internet, wie man es von früher kennt.

Das altbewährte Konzept ist mittlerweile wieder so erfolgreich, dass amerikanische Journalisten Millionen Dollar an Risikokapital einsammeln können, indem sie Lese-Empfehlungen sammeln und an Verteiler mit mehreren tausend Mitgliedern weiterleiten. Sie bauen ihr Geschäftsmodell also ausgerechnet auf einem Medium auf, dem im vergangenen Jahrzehnt mindestens einmal jährlich der Untergang vorhergesagt wurde. Eine Prophezeiung, die sich zwar dann doch nicht erfüllt hat, die aber dennoch plausibel gewesen ist. Denn von dem Internet, wie es ursprünglich erdacht wurde, ist schließlich so viel nicht übrig geblieben.

Eine App wie eine Insel

Die einst dezentrale Grundstruktur ist Quasi-Monopolen gewichen, die Google oder Facebook heißen. Sie halten ihre Nutzer so lange wie möglich auf ihren eigenen Seiten, anstatt sie wegzuschicken, wie das ursprünglich mal gedacht war; der Haupt-Algorithmus von Google funktioniert exakt nach diesem Prinzip. Doch heutzutage ist es so, dass jeder Klick auf die eigenen Inhalte erst in Daten und von dort aus in Bares umgemünzt wird. Dieses Geschäft aber wollen die Firmen nicht der Konkurrenz überlassen.

Ein weiteres Grundprinzip des Netzes, der einfache Link, wurde auf Mobilgeräten effektiv durch Apps ersetzt. Zwischen diesen ist ein sinnvolles Verlinken aktuell nicht möglich, da jede App wie eine Insel funktioniert, also alle Daten (Passwörter, Nutzername) von Neuem verlangt. Es hat eine Entwicklung stattgefunden, die neue Regeln definiert hat. Wieso sollte sie also ausgerechnet vor E-Mails Halt machen?

Start-ups brüsten sich, E-Mails überflüssig gemacht zu haben

Facebook zum Beispiel glaubt nicht, dass das passieren wird und wettet mittlerweile angeblich auf den Tod der E-Mail. So soll das Unternehmen an einem Produkt namens "Facebook at Work" arbeiten: eine Art Chat unter Kollegen und Geschäftspartnern, samt gemeinsamer Bearbeitung von Dokumenten. Start-ups wie Slack gehen in eine ähnliche Richtung und brüsten sich damit, Millionen E-Mails überflüssig gemacht zu haben. Firmen mit mehreren zehntausend Mitarbeiten arbeiten daran, E-Mails zu ersetzen.

Doch all diese Versuche haben ein Grundproblem: Sie funktionieren nur intern. Während die E-Mail auf einem System basiert, das nicht unterscheidet, ob das eigene Konto bei Web.de oder Googlemail eingerichtet wurde, gibt es diese Form der Kooperation zwischen all den hippen Start-ups nicht. Auf diese Art und Weise kann zwar eine Firma die interne Kommunikation in den Griff bekommen, aber nicht die Kommunikation an sich. Und Facebook hat bis dato exakt zwei erfolgreiche, selbstentwickelte Produkte: Facebook und die Messenger-App für Smartphones, also die eigene Grundausstattung. Ob neue Ideen angenommen werden: Man wird sehen.

Die E-Mail dagegen zieht ihren größten Vorteil daraus, dass sie sich seit 1971 angepasst hat. Der miese Ruf, der ihr anhängt, hat vor allem mit Marketing-Abteilungen und Spam-Nachrichten zu tun. Es ist eine Ära, in der die E-Mail neben Chat-Systemen als Hauptfenster der Kommunikation genutzt wurde. Ergo landete alles von Werbeprospekten bis hin zu Kurznachrichten von Freunden im Postfach. Auch jeder neue Account wollte die E-Mail-Adresse wissen. Das hat sich mittlerweile geändert.

Spamfilter funktionieren zuverlässiger als früher, es gibt Dutzende Ausweichmöglichkeiten, von Whatsapp zu Skype bis hin zu sich selbst zerstörenden Nachrichten auf Snapchat für kurzlebige Nachrichten. Apps verlangen eher nach der Rufnummer als nach E-Mail-Adressen. Die Konsequenz: Das Postfach ist weniger voll. Doch was seinen Weg noch hinein findet, sollte schnell zu erledigen sein.

Unternehmen wie Google und IBM haben das erkannt. Anstatt nach Alternativen für E-Mails zu suchen, arbeiten sie an Verbesserungen. Bei Google heißt diese "Inbox", bei IBM "Verse". Verse ist noch nicht verfügbar, Inbox funktioniert nur auf Einladung. Dabei werden die E-Mails automatisch in Gruppen vorsortiert - zum Beispiel in Werbung, Einkäufe und Nachrichten von Freunden. Ist die automatische Kategorisierung unerwünscht, kann sie mit einem Klick angepasst werden. Wer Inbox öffnet, sieht auf den ersten Blick, welche gruppierten Mails wichtig sein könnten. Das gesamte Postfach ist auf Schnelligkeit ausgelegt und soll möglichst leer bleiben.

Google räumt das Postfach auf, ohne dass man dafür Regeln einrichten muss

Wichtige E-Mails lassen sich entweder direkt beantworten oder aber sie werden, wenn die Zeit nicht reicht, in ein paar Stunden erneut vorgelegt. Häkchen ermöglichen es hingegen, mit einem Klick alle Nachrichten als gelesen zu markieren - sie verschwinden aus dem Blickfeld. E-Mails wirken nicht länger wie eine Übermacht, vor der man resignieren muss, sondern - dieser Eindruck zumindest entsteht - lassen sich bewältigen. Und das funktioniert sogar, ohne dass man sich mit Filter-Regeln befassen müsste.

Die E-Mail hat viel Kritik überlebt - ganz im Gegenteil ist es mittlerweile so, dass sie ihre Vorzüge erst richtig unter Beweis stellt. Der Boom an Newslettern, die vor allem von Einzelpersonen betrieben werden, zeigt das sehr gut. Denn im Gegensatz zum endlosen Strom von Facebook und von Twitter zeichnet die E-Mail vor allem eines aus: Sie hat ein Ende.

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